Musikstück der Woche vom 11.07.2016

Ohne Palaver

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Heitor Villa-Lobos: Préces sem palavras

Mit offenen Ohren durch die Welt gehen und aufsammeln, was man so findet – das ist die Devise von Heitor Villa-Lobos. Seine "Préces sem palavras" sind unser Musikstück der Woche: eine Studioproduktion mit den Herren des SWR Vokalensembles Stuttgart. Am Pult: Chefdirigent Marcus Creed.

Villa-Lobos, der Finder-Glückliche

Villa-Lobos findet eigentlich überall etwas, das sich als Rohstoff für seine Musik eignet: Im Urwald von Brasilien, in den Tänzen seiner Heimatstadt Rio de Janeiro, aber auch in der europäischen und russischen Musik. Mit großer Phantasie verwandelt er seine Fundstücke in eine ganz eigene Musiksprache, die so bunt und schillernd ist wie ein Kolibri.

Villa Lobos, der self-made-musician

Ein paar Grundlagen fürs Komponieren liest sich Villa-Lobos aus Büchern an, alles andere probiert er lieber selbst aus. Sein Vater, ein musikbegeisterter Bibliothekar, spielt gut Cello und bringt dem Sohn das Wichtigste bei, um mit Freunden Straßenmusik zu machen. Da zupfen dann noch ein paar Gitarren und Mandolinen mit, Klarinetten und Flöten, und wer gerade sonst noch ein Instrument zur Hand hat – wer keines hat, der schwingt dazu die Hüften.

Villa-Lobos und der Chor

1923 verlässt Villa-Lobos seine Heimat und geht nach Paris. Als er sieben Jahre später wieder zurückkehrt, beauftragt ihn der brasilianische Präsident Getúlio Vargas mit dem Aufbau eines nationalen Musikerziehungswesens. In den Mittelpunkt seines Konzeptes stellt Villa-Lobos den Chorgesang und er bildet hunderte junger Musiklehrer zu Chorleitern aus. Regelmäßig leitet er an nationalen Feiertagen auch selbst immer größere Kinderchöre. An einer Massenveranstaltung 1931 in Sao Paulo nehmen 12.000 Sänger teil, später treten bis zu 40.000 Kinder in Fußballstadien zum Chorgesang an. Diese Gigantomanie im Dienste der Politik trägt Villa-Lobos zunehmend Kritik ein und er selbst scheint erleichtert, als er sich nach Vargas' Sturz 1945 von seinen Pflichten befreit sieht. Aber immerhin sammelt er so wertvolle Erfahrungen mit dem Chorgesang. Sie fließen später ein in sein kompositorisches Schaffen.

Préces sem palavras: kein Text, aber viel Lautmalerei

Die Préces sem palavras – Gebete ohne Worte – komponiert Villa-Lobos 1931 und veröffentlicht sie gut 20 Jahre später in einer Sammlung mit geistlicher Vokalmusik. Die fünf Männerstimmen (2 Tenöre, 2 Baritone, 1 Bass) beten singend, ohne Text. Die Noten sind mit wortähnlichen Silben unterlegt, die voller Zisch- und Summlaute stecken – reizvolle Gestaltungsmöglichkeiten für den Männerchor! Dazu kommt Villa-Lobos' typisch brasilianisch rhythmischer Drive.

SWR Vokalensemble Stuttgart

Die Sängerinnen und Sänger vom SWR Vokalensemble Stuttgart stehen, schwarz gekleidet, in einer lockeren Gruppe auf einem Parkettboden
Das SWR Vokalensemble Stuttgart.

Seit vielen Jahren zählt der Rundfunkchor des SWR zu den internationalen Spitzenensembles unter den Profichören und hat im Lauf seiner 70-jährigen Geschichte mehr Uraufführungen gesungen als jeder andere Chor, viele davon unter Leitung von Rupert Huber, der von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Ensembles war. Neben der Neuen Musik widmet sich das SWR Vokalensemble vor allem den anspruchsvollen Chorwerken älterer Epochen – insbesondere der Romantik und der klassischen Moderne. Seit 2003 ist Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles Stuttgart. Unter seiner Leitung wurde das Ensemble für seine kammermusikalische Interpretationskultur und seine stilsicheren Interpretationen vielfach ausgezeichnet, unter anderem dreimal mit dem Echo Klassik und viele Male mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Auch die Aufnahme der "Préces" ist preisgekrönt: Sie erschien mit weiteren Vokalwerken von Villa-Lobos bei SWRmusic auf CD und erhielt 2011 als "Chor-Einspielung des Jahres" den Echo-Klassikpreis.

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Autor/in
Doris Blaich