Lasso: ein europäischer Musiker
Die Seeriedergasse in München wurde 1873 in Orlando-Straße umbenannt. Damit ehrte man einen Musiker, der fast vierzig Jahre seines Lebens in München wirkte und der die Stadt zu einer der führenden Musikmetropolen Europas gemacht hatte: Orlando di Lasso.
Lasso stammt aus dem niederländischen Mons (die Stadt liegt heute in Belgien, 2015 war sie Europäische Kulturhauptstadt). Seine Jugendjahre verbrachte er in Italien, zuletzt als Musikdirektor an der Kirche San Giovanni im Lateran. 1556 holte ihn der bayerische Herzog Albrecht V. als Tenorist an seinen Hof nach München. Dort sollte Lasso (schon bald als Hofkapellmeister) bis zu seinem Tod im Jahr 1594 bleiben.
Am Hof eines kunstsinnigen Fürsten
Herzog Albrecht V. nahm sich die Hofhaltung italienischer Renaissancefürsten zum Vorbild: Er sammelte Antiken und Kostbarkeiten für seine Kunstkammer, kaufte wertvolle Bücher und erweiterte seine Residenz im Stil der Renaissance. Der junge Lasso – er war bei seiner Ankunft in München 24 Jahre alt – konnte bereits zwei erfolgreiche Musikdrucke vorweisen: eine Sammlung mit Vokalmusik, die italienische Madrigale und Villanellen, französische Chansons und lateinische Motetten enthielt, und in ihrer bunten Vielfalt die Vielseitigkeit und Weltoffenheit des Komponisten verrät. Und eine Sammlung mit fünfstimmigen italienischen Madrigalen; derjenigen Gattung, mit der sich die meisten jungen Komponisten der Öffentlichkeit präsentierten – gleichsam als musikalisches Gesellenstück. Der Herzog zeigte sich sehr zufrieden mit seinem Musiker und beförderte ihn 1563 – Lasso war bereits eine europäische Berühmtheit – zum Kapellmeister. Trotz verlockender Angebote von außerhalb hielt Lasso dem Münchner Hof bis zu seinem Tod die Treue und trotzte allen Widrigkeiten: Er überstand die Durststrecke, als Herzog Wilhelm V. den riesigen Schuldenberg seines Vaters mit rigorosen Sparmaßnahmen abzubauen versuchte und die Hofkapelle kurzerhand auf die Hälfte ihrer Mitglieder reduzierte. Trotz Sparkurs: der neue Herzog schätzte Lassos Talent und seine Schaffenskraft außerordentlich. Er ließ seine Kirchenmusik in einer mehrbändigen Prachtausgabe veröffentlichen – ein Unternehmen, das letztlich zu Wilhelms finanziellen Ruin beitrug…
Musicoholic
Orlando di Lasso muss sein Leben lang praktisch jede freie Minute komponiert haben: Über 70 Messen sind aus seiner Feder überliefert, vier Passionen, über 500 Motetten, Hymnen und 100 Vertonungen des Magnificat! Und an weltlichen Werken hat er der Nachwelt mehr als 140 französische Chansons, fast 100 deutsche Lieder und über 200 italienische Madrigale hinterlassen. Lasso hat so virtuos wie kein anderer Komponist die Vielfalt der musikalischen Gattungen seiner Zeit beherrscht: Das scherzhafte und spielerisch-leichte Genre lag ihm ebenso wie die Vertonung einer Liebesklage oder eines geistlichen Textes.
Missa super Bella Amfitrit' altera
Die "Missa super Bella Amfitrit' altera" folgt konsequent dem katholischen Messordinarium mit seinen Teilen: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Der Titel dieser Messe gibt an, auf "Bel Amfitrit altera" zu basieren – vermutlich ein weltliches Madrigal, das Lasso seiner Komposition als Modell zugrundegelegt hat, das bisher aber noch nicht identifiziert werden konnte. Amphitrite ist in der griechischen Mythologie eine Meeresgöttin, Gattin des Meeresgottes Poseidon (respektive Neptun). Sie wurde im 16. Jahrhundert gerne mit der Lagunenstadt Venedig verglichen. Deshalb entstanden Spekulationen darüber, ob der Titel eine Anspielung auf Venedig und seine berühmten mehrchörigen Messen sein könnte.
Die Antwort der Partitur auf solche Spekulationen ist ein klares Nein: Die doppelchörige Komposition (für zwei Chöre à vier Stimmen) hat Lasso eindeutig nicht nach dem antiphonischen Prinzip der Venezianischen Schule angelegt. Die starken Kontraste, von denen dieser Stil lebt, vermeidet Lasso, indem er Zwischenspiele einfügt, in denen Gruppen beider Chöre miteinander in Dialog treten. Um einer abwechslungsreichen Dramaturgie willen setzt Lasso stattdessen kurze Passagen der Messe wie das "Christe eleison", "Crucifixus" und "Benedictus" in eher freiem kontrapunktischen Stil für vier Stimmen. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass die beiden Chöre nicht räumlich getrennt stehen sollten, wie in der Venezianischen Mehrchörigkeit üblich, sondern im Gegenteil: möglichst dicht beieinander. Die Messe ist in einem Manuskript der Münchner Hofkapelle überliefert. Lassos Sohn veröffentlichte die Noten 1610 im Druck.
SWR Vokalensemble Stuttgart
Seit vielen Jahren zählt der Rundfunkchor des SWR zu den internationalen Spitzenensembles unter den Profichören und hat im Lauf seiner 70-jährigen Geschichte mehr Uraufführungen gesungen als jeder andere Chor, viele davon unter Leitung von Rupert Huber, der von 1990 bis 2000 Chefdirigent des Ensembles war. Neben der Neuen Musik widmet sich das SWR Vokalensemble vor allem den anspruchsvollen Chorwerken älterer Epochen – insbesondere der Romantik und der klassischen Moderne. Seit 2003 ist Marcus Creed künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles Stuttgart. Unter seiner Leitung wurde das Ensemble für seine kammermusikalische Interpretationskultur und seine stilsicheren Interpretationen vielfach ausgezeichnet, unter anderem dreimal mit dem Echo Klassik.