Musikstück der Woche vom 27.01.2014

Die dunkle Seite des Götterlieblings

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert d-Moll KV 466

Zu Mozarts Geburtstag am 27. Januar muss unser Musikstück der Woche natürlich von Mozart sein: das Klavierkonzert d-Moll KV 466, schon immer – und bis heute – ein Lieblingskonzert aller Pianisten und des Publikums. In unserem Live-Mitschnitt spielt Roger Muraro den Klavierpart, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg begleitet unter Emilio Pomàrico. Das Konzert fand am 12.04.2013 in der Rhein-Mosel-Halle Koblenz statt.

Die Neigung zur Aufschieberitis – oder "Prokrastination", wie der psychologische Fachbegriff heißt – gepaart mit chronischer Arbeitsüberlastung und Erwartungsdruck von allen Seiten: was die meisten Menschen als Vorhölle zum Burnout erleben würden, war für Mozart der ganz normale Alltag. Den Großteil seiner Werke hat er in letzter Minute und mit höchstem Adrenalinpegel komponiert.

Beim Klavierkonzert d-Moll wissen wir’s genau, denn zur Uraufführung in Wien war der strenge Vater Leopold zu Gast, der seiner Tochter diesen Aufenthalt en detail in Briefen schilderte. Am 10. Februar 1785 hatte Mozart die Komposition fertiggestellt, tags darauf (am Tag der Aufführung) reiste Leopold Mozart von Salzburg nach Wien und schreibt an Tochter Nannerl: "Den nämlichen Freitag abends fuhren wir in sein [Wolfgangs] erstes Subscriptionsconcert, wo eine große Versammlung von Menschen von Rang war… Das Concert war unvergleichlich, das Orchester vortrefflich. Außer den Symphonien sang eine Sängerin vom wälschen Theater 2 Arien, dann war ein neues vortreffliches Clavierconcert vom Wolfgang, wo der Copist, da wir ankamen, noch daran abschrieb, und Dein Bruder das Rondo noch nicht einmal durchzuspielen Zeit hatte, weil er die Copiatur übersehen mußte." Im Zeitalter des Fotokopierers ist das alles wesentlich bequemer, zu Mozarts Zeiten musste jede Orchesterstimme von Hand abgeschrieben werden; Notenkopist war ein eigener Beruf…

Don Giovanni sitzt am Klavier
Dem verwöhnten Wiener Publikum gefiel Mozarts Konzert – was nicht unbedingt selbstverständlich ist, denn Mozart schlägt hier völlig neue Töne an. Dieses Konzert hat nichts zu tun mit gefälliger Gesellschaftskunst oder unterhaltsamer Tastenakrobatik. Es ist das düsterste und vielleicht abgründigste von Mozarts 21 Klavierkonzerten, seine dunkle Leidenschaft, sein Pathos, seine Kompromisslosigkeit sind für Musiker wie Hörer eine Herausforderung.
Nur zwei Klavierkonzerte von Mozart stehen in Moll-Tonarten, dieses ist eines davon. Später wird Mozart die Tonart d-Moll als Grundtonart für sein Requiem wählen, der Don Giovanni ist ebenfalls in der d-Moll-Welt angesiedelt, die bei Mozart immer mit Finsternis, Tod, Schmerz und Verzweiflung in Verbindung steht. Schon die ersten Takte verraten es: Hier gibt es nichts Strahlendes, Brillantes, klar Strukturiertes – im Orchester nur raunende Motivfetzen, die sich zu keiner rechten Melodie fügen mögen und in einer rhythmisch instabilen, wankenden Synkopenlandschaft hin und her irren.

Eine Musik der Einsamkeit
Der Solist und das Orchester – im Solokonzert stehen sie sinnbildlich für den Einzelnen und die Gruppe – treten sich wie Fremde gegenüber, nur selten haben beide die selben musikalischen Motive. „Es bedarf“ – so der Mozart-Forscher Alfred Einstein – „lediglich der Beobachtung, daß das Orchester niemals das erste Thema des Solos, ein „Recitativo in tempo“, oder die zweite Hälfte des zweiten Themas übernimmt. Die Auseinandersetzung erlaubt keine Verständigung; sie verschärft sich nur noch in der Durchführung. Auch die Reprise bringt keine Lösung – wenn der Satz im Pianissimo ausklingt, ist es, als ob die Furien sich lediglich ermüdet, aber immer noch grollend, zur Ruhe legen, bereit in jedem Augenblick wieder aufzufahren.“

Achtung, zerbrechlich!
Auch in die Idylle des zweiten Satzes brechen ohne Vorwarnung die schicksalhaften finsteren Mächte ein. Und der D-Dur-Schluss des Finales erscheint nach allem, was vorausging, höchst zerbrechlich.
Die Romantiker liebten den subjektiven Ton und den dramatischen Ausdrucks dieses Konzerts. Im 19. Jahrhundert war es das berühmteste Mozart-Konzert und oft auch das einzige, das die Pianisten im Repertoire hatten. So haben denn auch etliche Musiker mit großem Namen Solokadenzen beigesteuert: Beethoven, Hummel, Mendelssohn, Brahms, Clara Schumann, Anton Rubinstein und Ferruccio Busoni.

Der Solist: Roger Muraro

Roger Muraro, 1959 in Lyon geboren, lernte zunächst Saxophon. Im Alter von 11 Jahren wechselte er zum Klavier und erhielt Unterricht am Konservatorium von Lyon. Mit 17 bewarb er sich am Pariser Konservatorium, scheiterte aber an der Aufnahmeprüfung. Zugleich wurde die Pianistin Yvonne Loriod auf ihn aufmerksam, die Ehefrau des Komponisten Olivier Messiaen. In ihrer Klavierklasse am Conservatoire de Paris studierte Muraro dann doch noch. Bei zahlreichen Wettbewerben erspielte er sich Preise, u.a. beim Liszt-Wettbewerb in Parma und beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Die Klaviermusik von Olivier Messiaen bildet einen Schwerpunkt in seinem Repertoire: Er hat sämtliche Klavierwerke Messiaens auf CD eingespielt und hier auch schon mehrfach mit dem SWR Sinfonieorchester zusammengearbeitet.

Das Sinfonieorchester Baden-Baden Freiburg
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Die Geschichte des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg reicht in das Jahr 1946 zurück. Sie ist geprägt von unroutiniertem Umgang mit der Tradition, Aufgeschlossenheit für das Neue und Ungewöhnliche: Tugenden, über die auch Chefdirigent Sylvain Cambreling in ungewöhnlichem Maße verfügt, der seit 1999 viele Jahre lang mit dem Orchester arbeitete. 2011 hat Francois-Xavier Roth seine Nachfolge angetreten.

Dass man mit hohen Ansprüchen Erfolg haben kann, beweist das Orchester bis heute. Mehr als 300 von ihm eingespielte Kompositionen sind auf CD erschienen, und es reist seit 1949 als musikalischer Botschafter durch die Welt. Zahlreiche Gastspiele verzeichnet die Orchesterchronik, darunter regelmäßig zum Festival d’Automne Paris, den Salzburger Festspielen, nach Wien, Berlin und Edinburgh, Brüssel, Luzern, Strasbourg und Frankfurt. 

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Doris Blaich