Musikstück der Woche vom 06.05.2013

Poesie als Zufluchtsort

Stand
Autor/in
Kerstin Unseld

Wohin, wenn ringsum alles einstürzt? Robert Schumann verließ vor dem Dresdner Maiaufstand 1849 die umkämpfte Stadt und floh an einen Ort, der ihm restlos sicher schien: in die Poesie seiner Musik

Conradin Brotbeck (Violoncello) und Cornelis Witthoefft (Klavier), beide als Professoren der Musikhochschule in Stuttgart verbunden, spielten Robert Schumanns Fantasiestücke op. 73 in einem Ettlinger Schlosskonzert am 19.02.2012.

Kammermusik im Hause Schumann

Während 1849 in Dresden vor seiner Haustür die Barrikadenkämpfe tobten, floh Robert Schumann tief verstört vom Anblick des Chaos und der Toten aus der Stadt und fand im Dorf Kreischa in einem Herrenhaus Zuflucht. Hier kehrte wieder Ruhe ein, und Schumann schwärmte: "Niemals war ich tätiger, nie glücklicher in der Kunst." Tätig wurde Schumann vor allem für 'Poesie' in der Musik. Nicht den tradierten Genres und Formen wandte er sich zu, sondern er experimentierte mit freien Formen, außermusikalischen Gedanken, der musikalischen Darstellung von Seelenzuständen und lyrischen Empfindungen. Schumann wählte den 'Zufluchtsort Poesie' und zog sich in einen Kokon zurück, der vor allem von kammermusikalischen Miniaturen umwickelt war: von Hausmusik im besten Sinne, zerbrechlich und voll wehmütiger Erinnerungen.

Gelegenheit für Kammermusik gab es im Hause Schumann viel. So musizierten Mitglieder der Sächsischen Hofkapelle regelmäßig mit Clara Schumann; unter ihnen auch der Klarinettist Johann Gottlieb Kotte, mit dem Clara am 18. Februar 1849 erstmals die Fantasiestücke op. 73 aufführte. Sechs Tage zuvor hatte Schumann sie vollendet. Sie wirken wie "Lieder ohne Worte", die nahtlos ineinanderfließen. Ihre rätselhafte, verschwiegene Poesie braucht kein literarisches Programm, sondern spricht unmittelbar. Von Stück zu Stück steigert sich op. 73 im Tempo, vor allem das Schlussstück stellt hohe Ansprüche im Klavierpart. Schumann war 1849 bereits ein gefragter Komponist: Hatten ihm zehn Jahre zuvor seine "Kinderszenen" ganze drei Louisdor eingebracht, so bekam er für die Fantasiestücke zwölf. Er selbst war auch geschäftstüchtiger geworden und genehmigte oft Alternativfassungen seiner Werke, was ihren Marktwert und ihre Popularität steigerte. So gibt es op. 73 auch in Ausgaben für Violine oder – wie es hier erklingt – für Violoncello.

Die Interpreten:

Der Schweizer Cellist Conradin Brotbek, 1960 in Biel geboren, studierte unter anderem bei Stanislav Apolin und Marek Jerie an der Musikhochschule Luzern, wo er 1985 das Solistendiplom erlangte und ihm der Edwin-Fischer-Gedenkpreis der Stadt Luzern verliehen wurde. Es folgten weitere Studien bei Pierre Fournier in Genf, bei Janos Starker in Wien und bei Jacqueline du Pré und Wiliam Pleeth in London. Nachhaltige Impulse durch das LaSalle Quartett, Amadeus Quartett und Franco Rossi (Quartetto Italiano). Seit 1987 unterrichtet Conradin Brotbek an der Hochschule der Künste Bern eine Konzert- und Solistenklasse für Violoncello und eine Kammermusikklasse sowie seit 2001 an der Internationale Sommer-Akademie Lenk. 2007 wurde er als Professor für Violoncello an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart berufen.

Conradin Brotbek ist Violoncellist des Aria Quartetts Basel. Als Kammermusiker und Solist konzertiert er an vielen wichtigen Festivals und Musikzentren der Welt. Konzertreisen führten ihn durch Europa, den Nahen und Fernen Osten, Australien, China und die USA. Conradin Brotbek ist auch als Komponist tätig. Er spielt das Joseph filius Andrea Guarnerius-Cello „ex Jules Delsar, André Levy“ aus dem Jahre 1700. 

Cornelis Witthoefft wurde in Hamburg geboren und studierte zunächst Evangelische Kirchenmusik an der Musikhochschule Hamburg, anschließend Orchesterdirigieren, Chorleitung und Korrepetition an der Universität der Künste Wien sowie Liedgestaltung bei Professor Dr. Erik Werba. 1989 trat er sein erstes Engagement als Solorepetitor an der Wiener Staatsoper an. In Ergänzung seiner musikalischen Ausbildung studierte er von 1991 bis 1997 an der Universität Stuttgart die Fächer Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Philosophie. 1991 wurde Cornelis Witthoefft als Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung an die Staatsoper Stuttgart berufen. Dirigierverpflichtungen und Einstudierungen führten ihn an wichtige Opernhäuser wie die Opéra de la Bastille Paris, die Flämische Oper Antwerpen, das Teatro di San Carlo Neapel, das Teatro Massimo Palermo, die Salzburger Festspiele und an das New National Theater Tokio.

Cornelis Witthoefft pflegt eine umfangreiche Konzerttätigkeit im In- und Ausland mit den Schwerpunkten Lied und Kammermusik und einem umfangreichen, stilistisch breit gefächerten Repertoire. 2004 wurde Cornelis Witthoefft als Professor für Liedgestaltung an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart berufen.

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Kerstin Unseld