Musikstück der Woche mit dem Vocalconsort Berlin

Claudio Monteverdi: Salve Regina primo

Stand
Autor/in
Habakuk Traber
Kerstin Unseld

Musikstück am 15.5.2017

Am 15. Mai 1567 wird in Cremona ein kleiner Junge auf den Namen Claudio Zuan Antonio getauft. Er ist der älteste Sohn des Wundarztes Monteverdi, dem trotz bescheidener Verhältnisse eines wichtig war: die musikalische Ausbildung seines Kindes. Vierzig Jahre später - 1607 - komponiert Monteverdi mit "L'Orfeo" die erste Oper der Musikgeschichte.

450 Jahre später feiert die Musikwelt ein großes Musikgenie der Renaissance. Bei den Schwetzinger SWR-Festspielen gab es 2017 einen Monteverdi-Schwerpunkt. Am 29. April sang das Vocalconsort Berlin das "Salve Regina primo", begleitet vom Ensemble Daimonion, in der Orangerie des Schwetzinger Schlosses.

Moderne aus Mantua

Der Aufbruch ins 17. und ins 20. Jahrhundert ähneln sich trotz fundamentaler Unterschiede in Wirtschaft und Gesellschaft: Zu beiden Zeiten steuerte Europa auf einen großen Krieg zu und erlebte zugleich eine intensive kulturelle Blüte. Die Künste wirkten ineinander, beflügelten und befeuerten sich; Dichter, Maler, Musiker bildeten Gruppen, tauschten Ansichten und Visionen aus; Komponisten wandelten ihre Tonsprache, schufen neue Gattungen, fanden neue Formen.

Um 1600 entstanden die ersten Opern und Oratorien, Vokal- und Instrumentalmusik begannen eigene Wege einzuschlagen und wurden dadurch auf neuer Ebene wieder interessant füreinander. Die rasante Entwicklung vertritt ein Name: Claudio Monteverdi, der zwischen 1590 und 1612 in den Diensten des kulturversessenen Herzogs Vincenzo Gonzaga in Mantua stand. Als Monteverdi im Jahr nach dessen Tod zum Maestro di Cappella an den Markusdom in Venedig berufen wurde, lag die konzentriert experimentelle Phase hinter ihm; nicht aber die Bereitschaft zum ästhetischen Wagnis. 

Musik für die Serenissima 

Drei Jahrzehnte wirkte Monteverdi in Venedig. Anders als in Mantua stand nun die Kirchenmusik im Vordergrund, auch wenn sie sein Schaffen keineswegs ganz bestimmte. Als Kapellmeister an San Marco war er für das repräsentative Gotteshaus an der Schnittstelle von Staat und Kirche zuständig. Man pflegte dort – ähnlich wie in Mantua – eine eigene Liturgie, die den Konzilsbeschlüssen und den Anweisungen aus Rom nicht bedingungslos folgte. Geistliche Stücke wie das "Salve regina" gehören jedoch zum Allgemeinbestand der Horen, der Gottesdienste zu bestimmten Tageszeiten. Es ist ein Marienhymnus, stand entweder am Ende der Vesper oder der mitternächtlichen Complet.

Dass Monteverdi neben dem Gesang auch Instrumente verlangt, war nicht neu; neu war deren selbstständiger Part nicht nur in Zwischenspielen, sondern auch in der Interaktion mit den Stimmen. Sie emanzipierten sich aus der Funktion der 'Mitläufer' zur eigenen Klanggruppe. Der konzertante Stil tritt im "Salve regina" besonders deutlich hervor. Dem Solotenor gesellt Monteverdi eine Generalbassgruppe, zwei obligate hohe Instrumente – und eine zweite Singstimme als Echo hinzu.

Text des Salve ReginaDeutsche Übersetzung
Audi coelum, audi verba mea plena desiderio, et perfusa gaudio. Audio.Dic, quaeso, mihi: Qua est ista quae consurgens quasi aurora rutilans et benedicam? Dicam. 
Dic nam ista pulchra ut luna electa ut sol, replet laetitia terras, maria. Maria. Maria, virgo illa dulcis praedicata a propheta Ezechiel porta orientalis. Talis. O Maria virgo, o mater misericordiae, vita, dulcedo et spes nostra, salve. Illa sacra et felix porta, per quam mors fuit expulsa introducta autem vita. Ita.Ad te clamamus exules filii Evae, ad te suspiramus gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Illa quae tutum est medium inter homines et Deum pro culpis remedium. O mediatrix, o advocata nostra, illos tuos misericordes oculus ad nos converte. Et Iesum benedictum fructum ventris tui nobis post hoc exilium ostende. O pulchra ut luna electa ut sol, o clemens, o pia, o dulcis virgo Maria.
Höre, Himmel, höre meine Worte voll Verlangen und mit Freude übergossen. Ich höre. Bitte sage mir: Wer ist diese, die im Emporsteigen rötlich schimmert wie die Morgenröte, so dass ich sie preisen kann? Ich werde sagen. Sag, denn sie ist schön wie der Mond, strahlend wie die Sonne und sie füllt mit ihrer Fröhlichkeit die Länder, Himmel, Meere. Maria. Maria, jene liebliche Jungfrau, angekündigt vom Propheten Hesekiel, die Pforte des Ostens. Eben jene. O Jungfrau Maria, o Mutter der Barmherzigkeit, Leben, Süßigkeit und Hoffnung, sei gegrüßt. Jene heilige glückliche Pforte, durch die der Tod vertrieben wurde, führte sie das Leben doch herein. So ist es. Zu dir rufen wir, verbannte Kinder Evas, zu dir seufzen wir, Trauernde und Weinende in diesem Tränental. Jene, die sichere Mittlerin zwischen Mensch und Gott, ist Heilung für die Schuld. O Mittlerin, unsere Fürsprecherin, wende jene deine barmherzigen Augen zu uns. Und zeige uns Jesum, die benedeite Frucht deines Leibes, nach dieser Verbannung. O schön wie der Mond, erlesen wie die Sonne, o milde, o gütige, o süße Jungfrau Maria.

Das ganze Konzert mit dem Vocalconsort Berlin zum Nachhören:

Vocalconsort Berlin

Das Vocalconsort Berlin gilt als einer der besten und flexibelsten Chöre Deutschlands, 2013 wurde es mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet. 2003 gegründet und damit der jüngste der drei Profichöre Berlins, hat das Vocalconsort keinen Chefdirigenten, sondern arbeitet projektweise mit unterschiedlichen Dirigenten, aber vor allem mit festen künstlerischen Partnern wie Daniel Reuss, Folkert Uhde und Sasha Waltz zusammen. Es ist neben der Compagnie Sasha Waltz & Guests und der Akademie für Alte Musik Berlin eines der drei "Residenzensembles" des innovativen Konzertorts Radialsystem V in Berlin.

Wandlungsfähig in Besetzung und Repertoire, dabei aber stets stilsicher und von beeindruckender Homogenität, konnte das Vocalconsort Berlin Erfolge auf ganz unterschiedlichen Gebieten feiern: von Monteverdis "L’Orfeo" unter René Jacobs bei den Innsbrucker Festwochen über Haydns "Vier Jahreszeiten" unter Christopher Moulds in Rotterdam und Bernsteins "A Quiet Place" unter Kent Nagano bis hin zu Peter Ruzickas "Inseln, Randlos" unter Leitung des Komponisten selbst. Bei Schönbergs "Moses und Aron" unter Vladimir Jurowski verstärkte das Vocalconsort Berlin in der Inszenierung von Barrie Kosky den Opernchor auf der Bühne. Und auch an vielen erfolgreichen szenischen Produktionen von Sasha Waltz & Guests war das Vocalconsort Berlin maßgeblich beteiligt, etwa an "Dido & Aenes" von Purcell, "L’Orfeo" von Monteverdi, "Medea" von Dusapin und "Matsukaze" von Hosokawa.

Bei den Schwetzinger SWR-Festspielen 2017 trat das Vocalconsort Berlin in folgender Besetzung auf:

Lore Agustí, Lotta Hultmark, Cécile Kempenaers, Katja Kunze (Sopran)
Edzard Burchards, Wiebke Kretzschmar, Dorothee Merkel (Alt)
Stephan Gähler, Florian Schmitt, Markus Schuck (Tenor)
Christoph Drescher, Stefan Drexlmeier, Johannes Wijers (Bass)

Ensemble Daimonion

Inspiriert von der sokratischen Idee der "Daimonion", die innere Stimme, widmet sich das Ensemble Daimonion der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts in einer flexiblen Formation um die beiden Gründer Anaïs Chen und María González. Sie wurden von u.a. von Radio Suisse Romande, Altstadt Serenaden Basel, Regen Sacred Music Festival, Freunde Alter Musik Basel, Braunwald Musikwoche, Muri Kultur, Residenzen Musicals de Caixa Catalunya (Barcelona) und nun auch vom Davos Festival eingeladen. Das Ensemble hat eine tiefe Bindung zu den Musikstilen vergangener Epochen. Es stellt diese Alte Musik den eigenen musikalischen Erfahrungen als Musiker der heutigen Zeit gegenüber. Im Jahre 2011 wurde das Ensemble Daimonion mit dem 1. Preis und dem Sonderpreis der künstlerischen Jury des Premio Bonporti, Rovereto ausgezeichnet. Ensemble Daimonion spielt in der Besetzung: Anaïs Chen, Eva Saladin (Violinen), Marco Lo Cicero (Violone), María González (Orgel), Andreas Arend (Theorbe), Florian Helgath (Leitung).

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Habakuk Traber
Kerstin Unseld