Ein Requiem für sein anderes Ich
Felix und Fanny Mendelssohn – das waren mehr als nur Geschwister. Denn neben ihrer Liebe füreinander teilten sie auch die wohl größte Leidenschaft in ihrem Leben: die Musik. Fanny war genauso talentiert wie ihr kleiner Bruder, erhielt bei den gleichen Lehrern Unterricht und begeisterte jeden mit ihrem Klavierspiel. Als Kinder träumten beide von der großen Karriere, von Reisen quer durch Europa und von Konzertplakaten, auf denen ihre Namen standen. Doch nur für Felix wurde aus dem Traum Realität, denn getreu der damaligen Zeit und den Worten ihres Vaters, konnte für Fanny die Musik "stets nur Zierde, niemals Grundbass [ihres] Seins und Tuns werden".
Obwohl ihr die Realität oft zusetzte, hörte Fanny nie auf Musik zu machen. Im Gegenteil. Sie komponierte und spielte, wenn auch nicht für die Öffentlichkeit, sodass sie und Felix Kollegen wurden, die sich regelmäßig künstlerisch austauschten. Als er vom unerwarteten Tod seiner geliebte Schwester 1847 erfuhr, soll Mendelssohn ohnmächtig zusammengebrochen sein. Ohnehin schon "sehr erschöpft" von einer Englandreise zurückgekehrt und von labilem Gesundheitszustand hoffte er, in der Schweiz wieder Kraft zu tanken. Im September weilt er in Interlaken und schreibt sein letztes Streichquartett, das eine Art instrumentales Requiem für Fanny werden sollte. Im November des gleichen Jahres starb er, nur wenige Monate nach seiner Schwester.
Das Streichquartett Nr. 6 in f-Moll ist das düsterste Werk, das Mendelssohn je zu Papier gebracht hat: Zwischen dunklen und rasenden Tönen klingt kein bisschen Versöhnung. Alle Regeln der Streichquartettkunst, die bisher gültig waren, bricht er auf, um seinen Schmerz und seine Verzweiflung auszudrücken. Man kann vielleicht nur vor dem Hintergrund seiner Biographie verstehen, was Mendelssohn hier komponiert hat: ein sehr orchestral gedachtes Quartett mit Ausnahmecharakter. Es beginnt mit einem Flirren in Tremoloflächen, es bebt förmlich und bricht dann aus sicher heraus mit großer Direktheit. Im zweiten Satz kann Mendelssohn einen Tritonus nicht loslassen, nimmt kahle Unisono-Passagen und andere Mittel seiner Musiksprache, um dem Trost- und Sinnlose einen Ausdruck zu geben.
SWR2 New Talent - vision string quartet
Das vision string quartet wurde 2012 gegründet. Jakob Encke, Daniel Stoll, Sander Stuart und Leonard Disselhorst spielen nicht nur Werke der konventionellen, klassischen Literatur, sondern haben auch Eigenkompositionen und Arrangements aus Jazz, Pop und Rock im Repertoire. Ihre Auftritte reichen dabei vom klassischen Konzert im Gewandhaus Leipzig über Festivals wie dem Rheingau Musik Festival oder Ballett-Kooperationen unter John Neumeier beim Heidelberger Frühling bis hin zu Klanginstallationen wie "360 Grad Streichquartett" bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Kammermusikpartner waren bisher unter anderem Jörg Widman und Haiou Zhang.