Tschaikowskys Klavierkonzert in b-Moll op. 23 zählt heute zu den beliebtesten Klavierwerken überhaupt. Es gibt praktisch keinen großen Solovirtuosen, der es nicht im Repertoire hatte und hat - dabei hatte Tschaikowsky keinen leichten Start mit dem Stück.
Allseits beliebt
Tschaikowskys Klavierkonzert in b-Moll op. 23 zählt heute zu den beliebtesten Klavierwerken überhaupt. Es gibt praktisch keinen großen Solovirtuosen, der es nicht im Repertoire hatte und hat. Von vielen Tastenlöwen der vergangenen Jahrzehnte gibt es gleich mehrere Einspielungen, in unterschiedlichen Lebensphasen und mit diversen Orchestern.
Das Werk hat einen unwiderstehlichen Sog. Tschaikowksy hat in ihm einiges zusammengebracht, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als höchst Erfolg bringend erscheinen musste. Der Klavierpart knüpft an hoch virtuose Techniken eines Franz Liszt oder Edward Grieg an. Dazu gehören schnelle Läufe genauso wie glitzernde Kaskaden, diabolische Sprunghaftigkeit und rauschhafte Klangwolken. Der fortgeschrittene Klavierbau und die ausgereifte pianistische Technik der Zeit waren es, die diese effektvolle Kunst ermöglichten.
Überschäumender Melodiereichtum
Eine zweite wichtige Ingredienz des Konzerts ist sein überschäumender melodische Reichtum. Vor allem die Themen des ersten und dritten Satzes zeigen Tschaikowsky als großen Melodiker. Dass es ukrainische Volkslieder sind, die diesen Themen als Grundlage gedient haben sollen, wird angesichts des euphorischen, schwärmerischen Pathos, mit dem die Melodien ausgestaltet sind, nahezu unwichtig. Oft bemängelt worden ist, dass Tschaikowsky das weit schweifende Des-Dur-Thema des Kopfsatzes im späteren Verlauf nicht wieder aufgegriffen hat. Dem ersten Satz folgt dann ein fast kammermusikalischer zweiter Satz (Andantino), dessen Mittelteil auf einem französischen Chanson basiert. Das so brillante wie stürmisch dahinjagende Finale knüpft seinerseits an russische und ukrainische Folklore an.
Und schließlich klingt das Klavierkonzert gerade an seinen leiseren Stellen unglaublich zart. Das gilt in besonderem Maß für das nachdenkliche zweite Thema des Kopfsatzes, das viele Hörer an die romantische Tonsprache Schumanns denken lässt. Zur Ausgestaltung nutzt Tschaikowsky die Nuancen des gesamten Orchesters. Von den verhaltenen Klängen der gedämpften Streicher bis zum eruptiven, dramatischen Blechbläserklang fächert sich eine berauschende Farbigkeit auf.
Gute Nachrichten aus Boston
In einer frühen Fassung zeigte Tschaikowsky seinem Freund Nikolai Rubinstein im Dezember 1874 sein neues Werk. Doch der konnte sich nicht vorstellen, dass dieses Konzert jemals gespielt werden könne, nannte es „unspielbar“, ja sogar „völlig wertlos“. Tschaikowsky war von diesem Urteil natürlich schwer getroffen. Trotzdem entschied er sich, das Konzert nicht zu verwerfen, sondern änderte kurzerhand die Widmungspläne. Der Pianist Hans von Bülow zeigte sich über die Zueignung hoch erfreut und führte das Klavierkonzert als Erster am 25. Oktober 1875 während einer Amerika-Tournee in Boston vor begeistertem Publikum auf. Anschließend schickte Bülow ein Telegramm nach Moskau (vielleicht eines der ersten überhaupt, das diesen Weg nahm) und berichtete dem Komponisten von seinem großen Erfolg.
Wenig später folgte die russische Erstaufführung in Sankt Petersburg. Der Dirigent der ersten Aufführung in Moskau war niemand anderes als Nikolai Rubinstein. Offenbar hatte er seine Meinung über das Werk doch noch einmal geändert …