DVD-Tipp: Claudio Abbado Edition

Stand
Autor/in
Jan Ritterstaedt
Künstler/in
Gustav Mahler

Claudio Abbado - ein vielseitiger Musiker, der nie die große Öffentlichkeit gesucht hat und dennoch vieles bewegen konnte. Das Label EuroArts jetzt eine 25-teilige DVD-Box herausgebracht, eine Art klingendes, filmisches Portrait des italienischen Dirigenten mit Video-Mitschnitten vor allem aus seiner Berliner Zeit und seinen vielfältigen Aktivitäten danach. Abgerundet wird diese Produktion durch mehrere Dokumentarfilme über die Arbeit und das Wirken Abbados.

sgg

Primus inter Pares

Nur zwei Jahre nach dem Amtsantritt Claudio Abbados als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hat das Orchester die so genannten Europakonzerte ins Leben gerufen. Ein solches fand auch 1998 in Stockholm statt vor der imposanten Kulisse der "Vasa", eines historischen Schiffes aus dem 17. Jahrhundert. Während Wagners Ouvertüre zum Fliegenden Holländer erklingt, fährt die Kamera immer wieder an den kunstvollen Schnitzereien der Aufbauten entlang. Aber auch Claudio Abbado selbst wird regelmäßig fokussiert, allerdings nicht öfter als die Musikerinnen und Musiker der Berliner Philharmoniker. Abbado sah sich eben nicht als der große Pultstar, sondern als Primus inter Pares.

Stille hören

Normalerweise redet er nicht viel mit dem Orchester. Schließlich könne man das ja während des Konzerts auch nicht tun. Alles laufe viel mehr über den Ausdruck durch die Hände, die Augen, den direkten Kontakt zu den Musikern. So äußert sich Claudio Abbado im Film "Die Stille hören - Skizzen eines Portraits" des deutschen Regisseurs Paul Smaczny. In acht Kapiteln versucht er sich der Persönlichkeit des Dirigenten zu nähern mit relativ wenigen eigenen Aussagen, dafür aber umso mehr Statements seiner Musikerinnen und Musiker, wie des Geigers Kolja Blacher.

Insgesamt vier Dokumentarfilme und einen Probenmitschnitt aus den 1980-er Jahren enthält diese DVD-Box, darunter noch ein stärker biografisch ausgerichtetes früher entstandenes Portrait desselben Regisseurs. Dazu kommt ein Portrait von Abbados Orchestra Mozart und eines Chores von Gefangenen im Gefängnis von Bologna, den der Dirigent gegründet hat.

Ein Orchester bestehend aus guten Freunden und Kollegen

Den Hauptteil dieser Veröffentlichung bilden aber verschiedene Konzertmitschnitte - vor allem mit den Berliner Philharmonikern. Aus dem Jahr 2001 stammt ein Konzert mit einem reinen Beethoven-Programm. Ein Jahr zuvor wurde Claudio Abbados Krebsleiden entdeckt und man sieht ihm diesen Schicksalsschlag immer noch deutlich an. Nichtsdestotrotz dirigiert er einen klangstarken, souveränen, aber auch etwas kraftlosen Beethoven. Man spürt deutlich, dass dieser Komponist nicht zu seinen Favoriten zählt. Trotz seiner Krankheit hat Abbado noch große Pläne: die Gründung eines neuen, eigenen Orchesters, bestehend aus guten Freunden und Kollegen. Das gelingt ihm 2003 mit dem Lucerne Festival Orchestra. Abbado blüht sichtbar auf am Pult "seines" Orchesters und liefert gemeinsam mit dem Chor Orfeón Donostiarra eine fulminante Deutung von Mahlers Auferstehungs-Sinfonie ab.

Herausragende Soli und überwältigende Tutti-Passagen

Große Gesten in der Musik - sparsame, aber präzise Bewegungen des Dirigenten: Durch das gesamte Mammutwerk Gustav Mahlers hindurch spürt man die enge Vertrautheit zwischen den Orchestermusikerinnen und -musikern und ihrem Claudio Abbado. Das Ergebnis ist ein ergreifender, fesselnder, immer auf der Stuhlkante musizierter Mahler mit herausragenden Soli und überwältigenden Tutti-Passagen. Etwa parallel zu seinem neuen Sinfonieorchester hat der Dirigent aber auch das Orchestra Mozart ins Leben gerufen. Hier geht es um Alte und ältere Musik in Kammerbesetzung, auf modernen Instrumenten musiziert, aber aus dem Geist der historisch informierten Aufführungspraxis heraus interpretiert.

In flottem Tempo, frisch und lebendig, dazu noch hoch virtuos gespielt - so klingt das zweite Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach mit dem Orchestra Mozart. Bei diesem Mitschnitt aus dem Städtischen Theater von Reggio Emilia wird der Dirigent fast schon zur Nebenfigur, was einen so bescheidenen und noblen Menschen wie Claudio Abbado wahrscheinlich am wenigsten gestört haben dürfte. Abgerundet werden dessen vielfältigen Aktivitäten durch seine Arbeit mit dem 1986 gegründeten Gustav Mahler Jugendorchester. Auch hier zeigt sich der Maestro von seiner besten Seite: gemeinsam mit seinen jungen Musikerinnen und Musikern gelingt ihm eine fesselnde Deutung von Mahlers Neunter Sinfonie.

Eine in vielerlei Hinsicht eine bewegende Produktion

Diese 25-teilige DVD-Box ist ein gelungenes Portrait eines außergewöhnlichen, stillen Dirigenten, dessen Leistungen sich weniger in großen Worten und Gesten, sondern vor allem in der Musik widerspiegeln. Und das umso eindrucksvoller, je stärker sich der Dirigent von äußeren Sachzwängen befreit hat. Das hört und sieht man den zahlreichen, überwiegend sehr hörenswerten Konzertmitschnitten dieser Produktion deutlich an. Einzig sein Engagement für Neue und zeitgenössische Musik, sowie der Operndirigent Claudio Abbado kommen ein bisschen zu kurz. Davon abgesehen aber eine rundum sehr gelungene, informative und in vielerlei Hinsicht bewegende Produktion!

DVD-Tipp vom 21.2.2019 aus der Sendung Treffpunkt Klassik

Stand
Autor/in
Jan Ritterstaedt
Künstler/in
Gustav Mahler