Jörg Widmann und das Irish Chamber Orchestra

Brillant und sinnlich-klangschön

Stand
Autor/in
Dorothea Bossert
Künstler/in
Irish Chamber Orchestra
Jörg Widmann

CD-Tipp vom 1.6.2018

Felix Mendelssohn hat seine Seereise auf den Spuren von Sir Walter Scott zu einer Orchesterouvertüre inspiriert, die er ursprünglich – „die Fingalshöhe“ nannte. Heute ist sie besser unter dem Namen Hebridenouvertüre bekannt. Das abweisend graue Meer mit seinen ruppig gegenläufigen Wellen hört man darin, und einen veritablen Seesturm, der Mendelssohn nachdrücklich in Erinnerung geblieben sein wird, weil er ihm eine schwere Seekrankheit bescherte. Man meint, in dieser Musik auch die Landschaft zu hören, schwarze, schroff aufragende Basaltfelsen, die wie Säulen eine Hochebene aus Fels und anmutigen Grasmatten in die Höhe stemmen. Darüber vielleicht ein klarblauer Himmel mit lichten, schnell dahinsegelnden Federwolken. Ganz sicher aber hört man Mendelsohns jugendlich-romantische Empfindsamkeit, die gefärbt ist von Ossians phantastischen Geschichten von keltischen Kriegern und edlen Wilden, die hier in mythischer Vorzeit um ihre Königreiche gekämpft haben sollen.

Dramatische Bilder

Jörg Widmann lässt in seiner Einspielung mit dem Irish Chamber Orchestra die dramatischen Bilder und kontrastierenden Stimmungen und Farben mit all ihrer Wucht aufeinanderprallen. Die cantablen Melodiebögen am Anfang schweben bei ihm mit Tempo und Eleganz über die gegenläufig akzentuierte Streichermotorik wie Albatrosse über Kabbelwellen. Die Blechbläser fauchen rau und elementar dazwischen, wie man es sonst von historischen Instrumenten her kennt. Die Crescendi peitschen die Streicher auf zu immer größeren Wellenbergen.

Perfekt synchrone Virtuosität

Die lyrische Episode badet er dann geradezu genüsslich aus, nur um umso furioser in den virtuosen Schluss zu gehen. Blitzsauber, brillant und sinnlich-klangschön ist dieses Orchester. Im nächsten Moment klar, kantig und unnachgiebig und dann wieder von jugendlich-kraftvoller Biegsamkeit und einer perfekt synchronen Virtuosität, die keine Schwierigkeiten zu kennen scheint. Einfach toll. Man glaubt förmlich, den Spaß zu hören, den diese Musiker miteinander haben. Von Routine keine Spur.

Seit 2011 leitet Jörg Widmann das Orchester. Nicht genug, dass er der vielleicht weltbeste Klarinettist ist und ein großartiger und sehr erfolgreicher Komponist, wollte er sich auch als Dirigent ausprobieren und wählte das ferne Limerick in Irland als Basislager. Im fernen Norden arbeiteten sie zusammen, mit Mozart, Mendelssohn und Schubert als Kernrepertoire, dazu Jörg Widmanns eigene Musik - und plötzlich waren sie da, der Dirigent und sein irisches Orchester, und machen seit etwa zwei Jahren auf den Musikfestivals Musik auf einem Niveau, wie man es sich erträumt.

Überschäumend musikantisch

Dieses Orchester spielt, als wären es lauter Kammermusiker. Leidenschaftlich und riskant, sensibel musikalisch und überschäumend musikantisch. Wer Jörg Widmann kennt, hört hier seinen Zugriff auf die Musik und auf den Sympathikus der Musiker. 2016 entstand diese Aufnahme, die jetzt gerade bei Orfeo erschienen ist. Sie konserviert ein Programm des Orchesters, wie es wohl in seiner Konzertreihe in Dublin gespielt wurde und für Widmanns Programmgestaltung typisch ist. Es beginnt mit Mendelssohns Hebridenouvertüre, endet mit der Schottischen Symphonie, und dazwischen gibt es zwei Werke von Jörg Widmann, die er 1993 geschrieben hat – da war er zwanzig, ebenso wie Felix Mendelssohn bei seiner Reise nach Schottland. Die schroffen, herben Tonfälle stehen neben temperamentvollem Überschwang und lyrischem Schwelgen und geben den „schottischen“ Orchesterwerken“ von Felix Mendelssohn bei aller genialischen Reife eine jugendliche Ungebärdigkeit zurück. So kann man glauben, dass diese Musik von einem Zwanzigjährigen auf Abenteuerreise stammt. Bei Orfeo ist diese Platte erschienen.

CD-Tipp vom 1.6.2018 aus der Sendung Treffpunkt Klassik - Neue CDs

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Autor/in
Dorothea Bossert
Künstler/in
Irish Chamber Orchestra
Jörg Widmann