Demonstration für Menschlichkeit
Vor zwei Jahren verschlug es vier junge Musikerinnen aus dem Pittsburgh Symphony Orchestra in das Memorial Center in Terezin, vormals Theresienstadt. Sie waren überrumpelt und ergriffen. Sie hatten gerade ein Streichquartett gegründet, und beschlossen nun, diese Formation, die sie „Clarion“ (d.h. Fanfare) nannten, in den Dienst der vergessenen Komponisten zu stellen und jedes ihrer Konzerte, als Demonstration für Menschlichkeit und Menschenrechte, fortan mit einer Quartett-Version der Hymne „Eli, Eli“ zu beschließen. Auch die erste CD, die sie jetzt herausgebracht haben, endet so.
Ausdrucksstarkes Lamento
Das Debut-Album des Clarion-Quartets, namentlich sind das Jennifer Orchard und Marta Krechkovsky (Violinen), Tatjana Mead Chamis (Bratsche) und Bronwyn Banerdt (Violoncello), trägt den Titel „Breaking the silence“, zu deutsch: „Das Schweigen brechen!“ Es präsentiert „Fünf Stücke für Streichquartett“ von Erwin Schulhoff sowie je ein Streichquartett von Viktor Ullmann und Erich Wolfgang Korngold. Das gewichtigste unter diesen drei Werken ist zweifellos das 3. Streichquartett op. 46 von Ullmann: eine ultimative Auseinandersetzung mit der klassischen Form, ein ausdrucksstarkes Lamento auf die Zeitläufte, die vier Sätze gehen attacca ineinander über. Ullmann hat dieses Quartett 1943 im Lager Theresienstadt geschrieben, kurz vor seinem Tod. Zur Zeit gibt es sieben verschiedene Einspielungen davon im Katalog, darunter sind hervorragende Vergleichsaufnahmen vom Nash Ensemble, vom Dover Quartet und vom Casals Quartet, auch eines vom Schulhoff Quartett, die allesamt die schöne, forsche Anstrengung der neuen Konkurrenz aus Pittsburgh in den Schatten stellen.
Sieben ist nicht viel, gewiß. Von den Klaviersonaten Viktor Ullmanns zum Beispiel kursieren mehr als ein Dutzend Aufnahmen. Aber, dass es in Sachen Ullmann immer noch „ein Schweigen“ zu brechen gelte, ist schon ein bisschen dick aufgetragen. Man möchte den vier Musikerinnen nichts unterstellen. Sie meinen es ernst. Ihr politisches Pathos ist kein PR-Gag. Aber vielleicht ist dies ja doch letztlich eine Generationenfrage, mag sein, jede Generation muss ihr Verhältnis zum Massenmord in den KZs neu definieren, neu formulieren und sich erneut empören und engagieren. Das Clarion Quartet spielt engagiert, leidenschaftlich, ein wenig undifferenziert, und in Balance und Intonation gibt es noch Luft nach Oben. Herausgekommen ist diese CD beim Label Klanglogo, im Vertrieb von Naxos.
CD-Tipp vom 27.04.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs