Der Palazetto Bru Zane
Es lohnt sich ein Abstecher zum Palazzetto Bru Zane im Viertel San Polo, nahe dem Campo San Stin. Man sollte sich aber vorher anmelden. Hier wird nämlich hart gearbeitet, man forscht zur französischen Musik! Im Palazzetto Bru Zane ist seit 2009 das „Centre de Musique Romantique Francaise“ ansässig, eine Stiftung, gegründet und finanziert von einer musikverliebten Mäzenin, Nicole Bru. Zur Zeit bereiten die Musikmanager und Musikwissenschaftler der Stiftung fieberhaft das 6. „Festival Palazzetto Bru Zane“ vor, das vom 1. bis 29. Juni in Paris stattfinden soll und einen Komponisten in den Mittelpunkt rückt, einen bekannten Unbekannten, gründlich Mißverstandenen: Er heißt Charles Gounod, demnächst im Juni jährt sich sein 200. Geburtstag. Natürlich war auch Gounod mal in Venedig.
So hat es Charles Gounod in seinen „Memoires d’un Artiste“ notiert, zur Erinnerung an eine Italienreise, die er mit 21 Jahren unternommen hatte – er blieb dann drei Jahre. Rund vierzig Stücke für Klavier hat Charles Gounod komponiert. Fast alles davon ist vergessen. Aber auch nicht alles hat gleichermaßen „Repertoirewert“. Acht dieser Werke finden sich auf der CD, die Roberto Prosseda jetzt auf einem Fazioli-Flügel eingespielt hat: romantische Charakterstücke, Etuden, Präludien und Fugen, eine Sonate.
Vorbildliche Qualität
Anlass der Edition ist das Gounod-Jubiläum, und dahinter steckt der Palazzetto Bru Zane, der diese CD mitbetreut und kofinanziert hat. Denn das ist eines der erklärten Ziele dieser europaweit einzigartigen Musikstiftung von Nicole Bru: Es gilt nicht nur, musikalische Raritäten auszugraben und wissenschaftliche Notenausgaben zu edieren. Es kommt darauf an, die Musik live aufzuführen, wiederholt und mehrfach, und sie für Tonträger einzuspielen, in vorbildlicher Qualität. Das soll helfen, den Ruf der französischen Musik nachhaltig zu liften. „Von Joseph Haydn oder Gaetano Donizetti ist mittlerweile jede Note verfügbar“, sagt Alexandre Dratwicki, der künstlerische Leiter des Palazzetto, „doch bei vielen französischen Komponisten, selbst bei den bekanntesten, klaffen noch große Lücken.“ Stimmt. Gounods Namen kennt man. Aber welche Stücke kennen wir von ihm? Was kennen selbst die Franzosen? Nur dreierlei, wenn’s hoch kommt: Das Ave Maria, die Faust-Oper und, dank Alfred Hitchcock, eventuell auch noch den „Marche funèbre“ für eine Marionette, mit Fugato.
Ich gebe zu, ich bevorzuge die Orchesterversion. Aber bei Gounods Original-Klavierversion fällt sofort das Karikaturhafte ins Ohr, vor allem, wenn es so scharf akzentuiert gespielt wird, wie auf dieser CD von Roberto Prosseda. Gounod hat mit diesem Stück nämlich einen Musikkritiker porträtiert, den er in London Anfang der 1870er kennenlernte, der hieß: H.F. Chorley. Das Thema ist pulcinellaartig, es wird stur durchmarschiert, sempre stakkato, und genau so hat Prosseda das auch gespielt, inklusive der hölzernen, kleinen Fuge mittendrin, denn Kritiker lieben, wie jeder weiß, ganz besonders den Kontrapunkt.
Zu diesem Zeitpunkt, 1870, war Charles Gounod längst ein Mann in den besten Jahren mit langem Bart; ein seriöser Kirchenkapellmeister, zwischenzeitlich erfolgreicher Theaterdirektor. Als junger Student, als es ihn dank dem Prix du Rome nach Italien verschlug, hat er noch ordentliche Sonaten komponiert. Die Klaviersonate Es-Dur CG 617, auf dieser CD vierhändig gespielt von Roberto Prosseda und Enrico Pompili, ist eine Erst-Einspielung. Man hört, dass der junge Gounod seine Ahnengalerie recht gut kannte, seinen Beethoven - aber auch seinen Czerny. Und man hört auch, dass er die musikalische Dramaturgie rhythmisch und melodisch im kleinen Finger hatte: Aus dem, denkt man sich, wird sicher mal ein Opernkomponist! Und so kam es dann auch…
Dieses Album mit Klaviermusik von Charles Gounod wurde eingespielt für das Label Decca, im Vertrieb von Universal. Wahrscheinlich wäre es gar nicht erst dazu gekommen, stünde heuer nicht ein Jubiläum für Gounod im Kalender; und gäbe es nicht die segensreiche Stiftung Palazzetto Bru Zane zur Förderung französischer Musik, die unter anderem auch schon Messager, Gouvy, Dukas, Herold, David, Saint-Saens und Dubois neu auf die Tagesordnung gesetzt hat.
CD-Tipp vom 27.04.2017 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs