Moskau, 1866. Der junge Mann, der da zu nachtschlafender Zeit am Schreibtisch sitzt und aufs Papier starrt, hätte eigentlich allen Grund, selbstbewusst und lebensfroh zu sein. Ein Sohn aus sehr gutem Hause, außerdem ein musikalisches Wunderkind. Gerade mal 26 ist er, sein Musik-Diplom hat er seit einem Jahr in der Tasche und selbst eine Professur am Konservatorium übernommen. Aber da ist noch etwas, was er erreichen will.
Dass die erste Sinfonie von Peter Tschaikowsky so ein Schmerzenskind war, hört man ihr nicht besonders an. Und vielleicht ist das ja auch gerade ein Grund, warum sie heute zu den weniger beliebten Werken des russischen Komponisten zählt.
Auch die unbekannteren Sinfonien sind dabei
An drei Konzertabenden kombiniert Jordan jeweils eines der populären späten Schlachtrösser mit einem der so gut wie unbekannten frühen Stücke. Zum Beispiel der zweiten Sinfonie, der sogenannten „Kleinrussischen“. Sie ist inspiriert von ukrainischen Melodien und Tänzen.
Die dritte Sinfonie ist von den frühen sicherlich die bekannteste. Sie trägt den Beinamen „Polnische“. Das ist ein bisschen irreführend. Denn der polnische Einfluss ist eigentlich nur im Finale spürbar, das als Polonaise komponiert ist.
Die vierte Sinfonie läutet Tschaikowskis zweite Lebenshälfte ein. Das in dieser Sinfonie vielzitierte „Fatum“ (eine postum veröffentlichte sinfonische Dichtung von Tschaikowsky) wird meist auf Tschaikowskis Homosexualität und seinen Hadern mit dieser gesellschaftlich nicht akzeptierten Neigung in Verbindung gebracht. Hat all das auch schließlich auch zum plötzlichen Tod geführt, der Tschaikowski kurz nach Abschluss seiner berühmten sechsten Sinfonie, der Pathétique, ereilte?
Mageres Bonus-Material auf der DVD
Im leider sehr mageren und lieblos gestalteten Bonus-Material der DVD spricht Philippe Jordan über eine der Legenden um Tschaikowskis Tod, in der Version von Klaus Manns Roman „Symphonie pathétique“. Wegen einer Affäre mit einem Studenten in eine gesellschaftlich heikle Lage geraten, habe Tschaikowski sozusagen mit seinem Schicksal russisches Roulette gespielt. Während einer Cholera-Epidemie sitzt Tschaikowski bei einem Abendessen und soll gesagt haben: "Ich trinke jetzt dieses Wasser. Ich weiß nicht, ob es verseucht ist oder nicht. Das Schicksal soll entscheiden".
Philippe Jordan stellt sich in die Tradition der russischen Einspielungen. Tschaikowsky klingt hier straff gespannt, durchsichtig, oft leicht und elegant, lässt aber auch Wucht und Wärme nicht missen. Dass der Schweizer Dirigent und sein Pariser Orchester nun schon im zehnten Jahr zusammenarbeiten, das spürt man beim Ansehen dieser klanglich hervorragenden Livemitschnitte.
DVD-Tipp vom 06.05.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik