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Vollgas von Anfang an
Als Michel Petrucciani an diesem Juliabend die Bühne betritt, lässt er seinen Mitspielern keine Zeit, warm zu werden. Er fackelt nicht lange, greift beherzt in die Tasten, während Gary Peacock vor lauter Überraschung erst noch seinen Bass auf die passende Tonhöhe bringen muss.
Auch Schlagzeuger Roy Haynes muss sich sputen, dem Tempo Petruccianis zu folgen. Doch nach diesem flatterhaften Aufschlag sollte es ein großartiger Abend werden.
Ein Leben auf der Überholspur
Er war ein Getriebener. Petrucciani, der mit der gefürchteten Glasknochenkrankheit auf die Welt kam, hat die Zerbrechlichkeit des Lebens täglich vor Augen gehabt. Vielleicht legte er deshalb schon von Kindheit an den Turbogang ein. Während andere Jungen Ballspielen gingen, übte er am Klavier wie ein Besessener, manchmal 12 Stunden am Tag. Als gefeierter Pianist gab er später mehr als 100 Konzerte im Jahr. Gewaltig auch sein Output als Komponist. Die Melodie müsse einfach aus ihm raus, erzählte er einmal in einem Interview. Und so war es auch an diesem Abend in Karlsruhe.
Ein explosives Lautgemälde
Mit einer Mischung aus Standards und eigenen Werken beginnt dieser Abend, an dem sich drei Musikergiganten mit ihrem Können gegenseitig potenzieren. Wie ein Maler greift Petrucciani geradezu verschwenderisch zu den unterschiedlichsten Klangfarben. "Rot, Grün, Blau", er nutze alle Farben und Schattierungen, um seine Musik so facettenreich wie möglich zu gestalten, betont der Pianist. Aber er sei kein Maler, der ein Bild gestalte. "Ich versuche ein Musiker zu sein, der seinen Gefühlen Ausdruck gibt".
Gleichgesinnte auf Augenhöhe
Petruccianis Mitspieler sind alles andere als Staffage. Sie bieten dem Meister am Piano auf kongeniale Weise Paroli. Gary Peacock, Urgestein des Modern Jazz, schlägt den Bass nach allen Regeln der Kunst, während Schlagzeuger Roy Haynes noch einmal an Tempo zulegt, das Trio gehörtig aufmischt, aber auch wieder gekonnt zusammenhält.
Petrucciani - ein echter Teamplayer
Er war ein gefeierter Pianist: 1983 wurde der französische Jazzmusiker mit italienischen Wurzeln zum Jazz Man of the Year gewählt. Dennoch war Petrucciani kein Künstler, der nur um sich selbst kreiste. Wenn er mal eine Woche frei habe, dann denke er an die Leute, mit denen er noch Konzerte geben wolle, erklärte Petrucciani. "Dann schreibe ich für sie. Denn ich habe das große Glück, ganz unterschiedliche Künstler zu treffen."
Auch in Karlsruhe dabei: der geliebte Steinway-Flügel
Der Konzertmitschnitt aus dem Jahr 1988 beeindruckt durch seine Frische und Lebendigkeit. Petrucciani und sein Trio schalgen mit jedem Stück eine Brücke zum Publikum, so dass die Live-Atmosphäre dieses Abends hautnah zu spüren ist. Und auch für diese Performance im Jugend-und Begnungszentrum Karlsruhe hatte der Musiker seinen geliebten Steinway-Flügel auf die Bühne stellen lassen. An ihm konnte er sich dann in gewohnt brillanter Manier austoben.
1999 ist der Ausnahmemusiker mit gerade einmal 36 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. "One night in Karlsruhe" ist ein Konzertdokument, das seine Kunst in einer faszinierenden Momentaufnahme eingefangen hat.
CD-Tipp am 8.2.2019 von Georg Waßmuth aus der Sendung "SWR2 Journal am Mittag"