Rebellion gegen die konservative Kurstadt
Der in Baden-Baden geborene Pianist Kai Schumacher weiß, wie es sich anfühlt, wenn neue musikalische Wege pauschal kritisiert werden. Und er weiß, wie viel Mut es erfordert, sich davon nicht einschüchtern zu lassen.
Schon als Kind hat Kai Schumacher Kassetten mit Komponistenbiografien und klassischer Musik gehört. Anfang der Neunziger kam er als Teenager dann dank MTV mit Guns n' Roses in Kontakt.
Später folgten mit Punk und Hardcore die Subkulturen. Diese Subkultuen zu zelebrieren war dann auch seine Rebellion gegen das konservativ geprägte Umfeld in der Kurstadt.
Rockmusik trifft auf Klassik
Schubert und gleichermaßen Guns n' Roses zu mögen, war und ist für Kai Schumacher kein Widerspruch. Aber mit diesem Mindset war er schon während seines Studiums an der Folkwang Universität der Künste ein Exot. Eine seltsame Erfahrung sei das gewesen, meint er heute.
Besonders skurril wurde es, als er Mitstudierende zu einem Konzert seiner Band einlud und gefragt wurde, ob bei einem Rockkonzert denn Notenständer auf der Bühne seien, oder ob da auswendig gespielt würde. Solche Fragen würden entstehen, wenn man Jahre lang nur auf das klassische Repertoire und die entsprechende Literatur fixiert sei, erklärt Schumacher kopfschüttelnd.
Spagat zwischen zwei Welten: Tagsüber Klassik, abends Rockband
Bis sich Kai Schumacher überhaupt getraut hat, seine eigene Musik auf die Bühne zu bringen, war es ein langer Weg. Zu groß sei der Druck gewesen, gegen die alten Meister bestehen zu müssen. Dem Genius eines Beethoven nicht angemessen begegnen zu können, hätte ihn sehr gehemmt, räumt er ein.
Die Schublade, dass musikalische Genres nichts miteinander zu tun haben dürfen, war nur die erste, aus der sich Schumacher in seiner Karriere befreien musste.
Ein klassisches Instrument, aber ohne Klassik zu spielen
Doch Schumacher fand Gefallen daran: Er erkannte, dass er im Stilmix viel mehr Selbstverwirklichung in seiner Musik realisieren kann.
Schumacher hat schließlich einen Weg gefunden, mit seiner Musik etwas Neues zu erschaffen: Er spielt Klavier, ein klassisches Instrument, allerdings ohne Klassik zu spielen. Außerdem präpariert er seinen Flügel. Das ist nicht neu, das muss es ja auch nicht sein, aber es ermöglicht dem Komponisten, den Sound zu generieren, den er haben möchte.
Mit der Neoklassik landet Schumacher direkt in der nächsten Schublade
Als Kai Schumacher schließlich seine Visionen von Musik realisierte, steckte man ihn schnell in die Neoklassik-Schublade. Aber was ist das eigentlich?
Neoklassik zelebriert die neue Einfachheit, zeichnet sich vor allem durch simple Melodien aus, verzichtet auf übereinander geschichtete Strukturen und lehnt sich an die Minimal Music aus den 70er-Jahren an, so erklärt Malte Hemmerich aus der SWR2 Musikredaktion. Für viele sei es vor allem gut konsumierbare und verkaufbare Musik.
Doch das Genre ist vor allem innerhalb der Klassik negativ konnotiert, weshalb sich viele Musikerinnen und Musiker gegen dieses Label wehren.
Trotz aller Kritik, Neoklassik ist vor allem eines: erfolgreich. Vertreter wie Ludovico Einaudi, Nils Frahm, Ólafur Arnalds, Max Richter und Hauschka füllen Hallen und werden millionenfach gestreamt. Vielleicht werden sie gerade deswegen auch so scharf kritisiert. Was sich verkauft, kann nicht taugen, so das Vorurteil. Dabei trifft die Musik offensichtlich den aktuellen Zeitgeist.
Musikalische Grenzen gibt es für Kai Schumacher nicht
Für Kai Schumacher ist Neoklassik ein Unwort. Seiner Meinung nach wird diesem Begriff viel zu viel zugeschrieben.
Kai Schumacher will sich und seine Musik jedenfalls nicht kategorisieren lassen: Für ihn existieren keine musikalischen Grenzen. Maßstab sei am Ende eben immer der persönliche Geschmack – seiner und natürlich auch unserer.