Don't call him Neoklassiker!

Kai Schumacher: Ein Komponist, der sich in keine Schublade stecken lassen möchte

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Autor/in
Steffen König
Steffen König, Autor und Redakteur, SWR Kultur

Es ist das geteilte Schicksal vieler junger Künstler und Künstlerinnen mit klassischer Musikausbildung: Sie wollen etwas Neues erschaffen, aber nicht als Neoklassiker abgestempelt werden, einem Genre, das innerhalb der Klassik gerne belächelt wird. Dieser Spagat gestaltet sich allerdings nicht immer einfach, wie man am Beispiel des Pianisten Kai Schumacher aus Baden-Baden sehen kann.  

Rebellion gegen die konservative Kurstadt

Der in Baden-Baden geborene Pianist Kai Schumacher weiß, wie es sich anfühlt, wenn neue musikalische Wege pauschal kritisiert werden. Und er weiß, wie viel Mut es erfordert, sich davon nicht einschüchtern zu lassen.

Schon als Kind hat Kai Schumacher Kassetten mit Komponistenbiografien und klassischer Musik gehört. Anfang der Neunziger kam er als Teenager dann dank MTV mit Guns n' Roses in Kontakt.

Später folgten mit Punk und Hardcore die Subkulturen. Diese Subkultuen zu zelebrieren war dann auch seine Rebellion gegen das konservativ geprägte Umfeld in der Kurstadt.  

Rockmusik trifft auf Klassik

Schubert und gleichermaßen Guns n' Roses zu mögen, war und ist für Kai Schumacher kein Widerspruch. Aber mit diesem Mindset war er schon während seines Studiums an der Folkwang Universität der Künste ein Exot. Eine seltsame Erfahrung sei das gewesen, meint er heute. 

Ich bin mit Rockmusik sozialisiert worden und kam dann in ein Umfeld, das wirklich sehr, sehr wenig außerhalb klassischer Musik kennt. Wo die Scheuklappen also wirklich noch sehr, sehr eng sind und wo Musikgeschichte oft vor dem Zweiten Weltkrieg aufhört. Also alles, was moderner als Strawinsky ist, kennen die Leute auch gar nicht. Und dazu gehört leider auch Popkultur.

Besonders skurril wurde es, als er Mitstudierende zu einem Konzert seiner Band einlud und gefragt wurde, ob bei einem Rockkonzert denn Notenständer auf der Bühne seien, oder ob da auswendig gespielt würde. Solche Fragen würden entstehen, wenn man Jahre lang nur auf das klassische Repertoire und die entsprechende Literatur fixiert sei, erklärt Schumacher kopfschüttelnd.  

Spagat zwischen zwei Welten: Tagsüber Klassik, abends Rockband 

Bis sich Kai Schumacher überhaupt getraut hat, seine eigene Musik auf die Bühne zu bringen, war es ein langer Weg. Zu groß sei der Druck gewesen, gegen die alten Meister bestehen zu müssen. Dem Genius eines Beethoven nicht angemessen begegnen zu können, hätte ihn sehr gehemmt, räumt er ein.  

Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es eine Möglichkeit gibt, diese beiden Welten, die ich da musikalisch in mir habe, zu verbinden. Franz Liszt hat Lieder von Schubert bearbeitet. Warum sollte ich nicht mal anfangen, Lieder von Bands wie Slayer oder Rage against the machine aus meiner Jugend zu bearbeiten?

Die Schublade, dass musikalische Genres nichts miteinander zu tun haben dürfen, war nur die erste, aus der sich Schumacher in seiner Karriere befreien musste.

Ein klassisches Instrument, aber ohne Klassik zu spielen

Doch Schumacher fand Gefallen daran: Er erkannte, dass er im Stilmix viel mehr Selbstverwirklichung in seiner Musik realisieren kann.

Kai Schumacher
„Also ich kann wesentlich mehr erzählen, als wenn ich jetzt versuchen würde, der tausendste Pianist zu sein, der die letzte Beethoven-Sonate interpretiert, dieser Ansatz ist bis zu einem gewissen Maße auserzählt. Und da könnte ich persönlich nichts Neues mehr hinzufügen.“ 

Schumacher hat schließlich einen Weg gefunden, mit seiner Musik etwas Neues zu erschaffen: Er spielt Klavier, ein klassisches Instrument, allerdings ohne Klassik zu spielen. Außerdem präpariert er seinen Flügel. Das ist nicht neu, das muss es ja auch nicht sein, aber es ermöglicht dem Komponisten, den Sound zu generieren, den er haben möchte.  

Mit der Neoklassik landet Schumacher direkt in der nächsten Schublade

Als Kai Schumacher schließlich seine Visionen von Musik realisierte, steckte man ihn schnell in die Neoklassik-Schublade. Aber was ist das eigentlich?

Neoklassik zelebriert die neue Einfachheit, zeichnet sich vor allem durch simple Melodien aus, verzichtet auf übereinander geschichtete Strukturen und lehnt sich an die Minimal Music aus den 70er-Jahren an, so erklärt Malte Hemmerich aus der SWR2 Musikredaktion. Für viele sei es vor allem gut konsumierbare und verkaufbare Musik.   

Doch das Genre ist vor allem innerhalb der Klassik negativ konnotiert, weshalb sich viele Musikerinnen und Musiker gegen dieses Label wehren.

Trotz aller Kritik, Neoklassik ist vor allem eines: erfolgreich. Vertreter wie Ludovico Einaudi, Nils Frahm, Ólafur Arnalds, Max Richter und Hauschka füllen Hallen und werden millionenfach gestreamt. Vielleicht werden sie gerade deswegen auch so scharf kritisiert. Was sich verkauft, kann nicht taugen, so das Vorurteil. Dabei trifft die Musik offensichtlich den aktuellen Zeitgeist. 

Neoklassik wird vor allem als Nutzmusik konsumiert. Viele hören sie beim Sport, beim Yoga oder im Zug. Die Musik regt allerdings häufig nicht dazu an, sich mit der Musik selbst auseinanderzusetzen.

Cover des Albums "Tranceformer" von Kai Schumacher
Auf seinem neuen Album „Tranceformer“ nutzt Kai Schumacher Kompositionstechniken aus der elektronischen Musik und erzeugt so ein Flow-Gefühl.

Musikalische Grenzen gibt es für Kai Schumacher nicht

Für Kai Schumacher ist Neoklassik ein Unwort. Seiner Meinung nach wird diesem Begriff viel zu viel zugeschrieben.

Neoklassik ist im Grunde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts definiert worden und für mich keine richtige Genrebezeichnung. Es gibt natürlich eine gewisse Klangidee, die man mit Neoklassik verbindet: ein sehr flächiges ambient-artiges, fahrstuhlhaftes Klavierspielen, das mir persönlich überhaupt nicht liegt. 

Kai Schumacher will sich und seine Musik jedenfalls nicht kategorisieren lassen: Für ihn existieren keine musikalischen Grenzen. Maßstab sei am Ende eben immer der persönliche Geschmack – seiner und natürlich auch unserer.  

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