Tiere lieben Musik, aber nicht unbedingt die der Menschen
Ulla Zierau: Herr Ullrich, Sie erforschen an der Uni in Nürnberg das Musikverhalten von Tieren. Menschen lieben Musik, aber wie ist es bei den Tieren?
Martin Ullrich: Auch Tiere lieben Musik, allerdings nicht unbedingt die Musik, die wir Menschen machen. Da gibt es inzwischen ausgiebige Versuchsreihen. Unterschiedliche Tiere haben ganz unterschiedliche musikalische Geschmäcker und Vorlieben, wie wir das ja auch von uns selber kennen.
Wie sehen solche Untersuchungen aus?
Es gibt da zum Beispiel einen tollen Versuch mit Liszt-Affen, die die menschengemachte Musik eigentlich nicht mögen. Ein Musiker hat Musik komponiert, deren Melodien, Rhythmen und andere Parameter den Lauten dieser Affen ähnelt. Und diese Musik mochten die Affen.
Das ist ein sinnvoller Versuchsaufbau, aber es gibt auch ganz grauenhafte Versuche, wo Ratten im Labor tagelang immer die gleiche Mozart-Sonate vorgespielt wird. Das wäre für Menschen Qual und Folter, und das ist es sicher auch für Tiere.
Das Gespräch mit Martin Ullrich in voller Länge:
Mäuse singen sehr ausdrucksvoll, doch der Mensch kann sie nicht hören
Gibt es denn Erkenntnisse darüber, wie Tiere Musik wahrnehmen? Sie sagten ja schon, dass sie auf Tonhöhe und Melodie unterschiedlich reagieren.
Darauf kann ich gar keine einfache Antwort geben, weil das bei unterschiedlichen Tieren auch tatsächlich so unterschiedlich ist.
Erst seit gut 20 Jahren weiß man, dass Mäuse sehr ausdrucksvoll singen, das klingt für unsere Ohren wie Vogelgesang. Die singen aber bei etwa 50.000 Herzfrequenz – das ist Ultraschall – das hören wir nicht. Wir müssen uns das mit technischen Mitteln transponieren.
Besitzen Tiere eine Art „musikalische Vorsprache“?
Tiere kommunizieren mit Lauten, aber kann man das mit Musik vergleichen? Nehmen Tiere diese Kommunikation als Musik wahr?
Da müssen wir gedanklich ein bisschen in unsere Stammesgeschichte zurückgehen und fragen, wie Musik und Sprache entstanden sind. Ich neige zu der Hypothese, dass unsere Sprache und unsere Musik eine gemeinsame evolutionäre Wurzel haben.
Nicht alle Wale singen gleich: Tiere haben unterschiedliche Klangkulturen
Es könnte also sein, dass es bei der tierlichen Vokalisation auch eine Art Tonarten-Charakteristik gibt?
Tiere haben Kulturen – das hat nicht die Musikwissenschaft rausgefunden, sondern die biologische Forschung. Sie haben Klangkulturen, „Soundscapes“, wie man neudeutsch sagt, sie leben in einer klanglichen Umwelt, die sich nach den jeweiligen Lebensverhältnissen richtet.
Wir waren ganz stolz, als wir vor Jahrzehnten herausgefunden haben, dass Wale singen. Dann hat man aber herausgefunden: Die singen nicht alle gleich, die haben bestimmte Kulturen, je nach Lebensweise, Sozialverhalten und Standort. Und das kann man sicherlich, wenn man es abstrahiert, mit unterschiedlichen Dialekten, vielleicht sogar Sprachen oder Musikstilen vergleichen.
Geben Kühe mit Mozart mehr Milch? Wohl eher nicht
Kann man dann auch sagen, die Haustiere haben sich dem Menschen auch schon im Musikgeschmack angepasst?
Mit Sicherheit. Jeder von uns kennt Anekdoten, hat vielleicht erlebt, dass Hunde in den Gesang einstimmen, Katzen sich zur Musik verhalten. Die Frage ist halt immer: Was ist wirklich die Wirkung von Musik? Und was ist Wirkung eines die Musik einbettenden Verhaltens?
Auch dass Kühe mehr Milch geben, wenn sie Mozart hören, ist natürlich ein schöner Traum vom Mozart-Effekt, den die Musikforschung lange geträumt hat. Aber nach derzeitigem Forschungsstand ist es wohl so, dass die Kühe dann mehr Milch geben, wenn sie mit den netten Leuten zusammen sind, die so gerne Mozart hören und sich entspannt verhalten.
Komponist mit Vorbildcharakter: Messiaen hat Tiermusik ernst genommen
Es gibt viele Beispiele der Imitation von Tierlauten in der Musik – vom Barock bis in die neue Musik, vom Kuckuck über Pferde bis zu den Elefanten, Haben Sie da ein Musikstück, das Ihnen ganz besonders gefällt?
Man kann die Frage eigentlich nicht beantworten, ohne Olivier Messiaen zu nennen, den Avantgarde-Komponisten im Frankreich des 20. Jahrhunderts. Der hat wie fast kein anderer Tiermusik nicht nur in seine Kompositionen integriert, sondern sie in einer Weise ernst genommen, wie das aus meiner Sicht Vorbildcharakter hat.
Insofern nenne ich das „Quartett für das Ende der Zeit“, das Messiaen als Kriegsgefangener in einem deutschen Lager geschrieben hat. Der Morgengesang einer Amsel und einer Nachtigall hatten ihn inspiriert, in dieser schweren Lebenssituation eine Musik der Hoffnung zu komponieren.
Gekürzte Textfassung des Gesprächs mit Professor Martin Ullrich in SWR2 Treffpunkt Klassik am 27. Februar 2023.