Glosse

„Das allergeilste Medium für Musik“ – Happy Birthday, Radio!

Stand
Autor/in
Gordon Kampe
Onlinefassung
Teodora Mebus

Gordon Kampe bezeichnet sich selbst als Rampensau. Als Glossenschreiber und Komponist kaue er gerne an Mikrofonen, die ihm vor die Nase gehalten werden, herum. Das Radio hat Kampe aber auch als Hörer geprägt und ihm, der aus einer Elektrikerfamilie kommt, klassische Musik nähergebracht.

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Gelegentlich kommt es vor, etwa im Rahmen einer Uraufführung, dass ich etwas in ein Radio-Mikrofon quatsche. Warum das Stück denn so und so ist und nicht anders. Ich bin ja 'ne Rampensau und kaue folglich an jedem Mikrofon gerne herum, das mir ins Gesicht gehalten wird.

Erste Sendung am 29. Oktober 1923 Der Rundfunk feiert Geburtstag – 100 Jahre Radio in Deutschland

Das Radio in Deutschland feiert seinen 100. Geburtstag – und Gründe zum Feiern gibt es genug: historische Ereignisse, technische und künstlerische Meilensteine und ein Erfindungsreichtum, mit dem sich das Radio immer wieder neu erschaffen hat. Was macht das Radio aus? Wie wird es sich in Zukunft verändern?

Eine Stimme, die ich gefühlt tausend Jahre kannte – sonor und verschmitzt

Eines Tages aber, konnte ich meine zweieinhalb Gedanken vor Schreck gar nicht mehr recht sortieren und habe vermutlich keinen Satz unfallfrei zu Ende gebracht. Denn aus dem Redakteurskopf, den ich noch nie nicht live und in Farbe gesehen hatte, drang eine Stimme, die ich gefühlt tausend Jahre kannte und die doch sowohl sonor als auch verschmitzt eigentlich immer Dinge zu mir sagte wie: »Sie hören die Sinfonie Nr. 3 in F-Dur op 90 von Johannes Brahms. Es spielen die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Claudio Abbado...«

Was hat mir diese Stimme nicht alles über Musik erzählt und mich Stücke hören lassen, an die ich niemals vorher gedacht hatte! Der »Bildungsauftrag«, wie es so schön heißt, wurde bei mir – dem Brahms nicht an der Wiege gesungen ward – doch ganz schön gut eingelöst.

Haben Radiostimmen wirklich auch einen Körper?

Und nun sitzt mir diese Stimme – an der plötzlich ein Körper dran ist –, gegenüber, kramt ein Mikrofon für unser Gespräch hervor und fragt mich nebenbei, ob die Bahn pünktlich war und ob ich auch gerade nass geworden bin. Ich war völlig irritiert: haben Radiostimmen also wirklich auch einen Körper und können sogar nass werden?

Radio geht direkt ins Ohr und regt die Fantasie an

Radio – ich kann das hier so frei von der Leber weg sagen und möchte präzise zusammenfassen: ist das allergeilste Medium für Musik überhaupt. Die Übertragung einer Klassikgala oder derlei im Fernsehen, ist für mich stets ein ästhetisches Mordor. Ich benötige keine Nahaufnahmen von rotierenden Zäpfchen beim hohen C.

Aber Radio ist immer dufte. Auf Schnickschnack kann verzichtet werden, hier gilt’s ohne Umwege dem Ohr allein und die Fantasie malt sich aus, was es zu sehen geben könnte! Ich gehöre zu jenen merkwürdigen Radionerds, die früher sogar Sendungen auf Kassette mitgeschnitten haben. Ich glaube, das haben nur der Archaeopteryx und ich so gemacht.

Im Radio wird auch Musikgeschichte geschrieben

Gerade für so Leute wie mich, die – was immer das auch ist – „Neue Musik“ machen, ist das Radio nicht nur als schniekes Medium, sondern auch als Institution zentral. Der Jahreslauf ist bei uns nicht nur durch Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter gekennzeichnet, sondern durch die Abfolge der liebsten Festivals – dem Neue Musik-Grand-Slam –, der stets in Berlin beginnt und irgendwo im Schwarzwald endet.

Diese Festivals wären allesamt kaum ohne Radio, ohne Rundfunk möglich. Hier wird allerdings nicht einer, zugegeben – manchmal auch etwas kuriosen – Szene Raum gegeben, hier wird Musikgeschichte nicht bloß übertragen oder produziert: hier wird sie, sehen Sie mir mein Pathos nach, geschrieben.

Ist das nicht toll? Möchte man Zweiflern zurufen. Ich kann mir gar nicht denken, dass es Zweifler gibt. Schade nur, dass das Radio keine Gerüche übertragen kann. Denn dann würden Sie riechen, dass ich ihm zu Ehren gerade mehrere hundert Wunderkerzen abgefackelt habe! Also – Radio – bleib mindestens so, wie Du bist! Happy Birthday!

29.10.1923 "Achtung! Achtung!" – So begann die erste Rundfunksendung

Am 29. Oktober 1923 begann der Rundfunkbetrieb. Friedrich Georg Knöpfke sprach die berühmten Worte "Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400!". Knöpfke war Direktor der Funkstunde Berlin. | http://swr.li/erste-rundfunksendung

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Teodora Mebus