Wer nach Orten fragt, die für die Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts bedeutsam waren und sind, wird rasch auf den Namen Donaueschingen stoßen - des Ortes, den schon Thomas Mann als Zentrum neuer Musik literarisch verewigt hat.
Die 1921 unter fürstlicher Protektion neu gegründeten Donaueschinger Musiktage existierten fünf Jahre lang als Zentrum zeitgenössischer Kammermusik - mit Paul Hindemith als prägender Figur, aber auch mit Uraufführungen von Berg, Schönberg und Webern. 1950 gelang ein diesen Blütejahren adäquater Neubeginn in Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk, der sein Orchester zur Verfügung stellte und damit einen neuen Programmschwerpunkt einbrachte. So konnten wichtige Orchesterwerke nicht nur der klassischen Moderne (wie Hindemith, Strawinsky und Schönberg), sondern auch von jüngeren Komponisten bekannt gemacht werden: Von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono und Iannis Xenakis waren in den fünfziger Jahren skandalumwitterte Uraufführungen instrumentaler Werke zu hören. Danach setzten Krzysztof Penderecki und György Ligeti, später auch Wolfgang Rihm in Orchester-Uraufführungen neue Akzente.
Viele renommierte Komponisten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind hier auch mehrfach zu hören gewesen, so daß ihre kompositorische Entwicklung in verschiedenen Stationen dokumentiert werden konnte, sei es in neuen Perspektiven, sei es in der Weiterführung früherer Ansätze. Etwa in Spätwerken Luigi Nonos aus den achtziger Jahren, die sich im Instrumentalen und in der mikroskopisch feinen live-elektronischen Verarbeitung auf das Innenleben der Klänge konzentrieren. Oder im live-elektronischen work in progress "Repons" von Pierre Boulez, das (ähnlich ambitioniert wie die 1958 uraufgeführte, später zurückgezogene vorinstrumental-elektronische Komposition "Poésie pour pouvoir") nach Möglichkeiten der Verbindung vokaler und technisch produzierter Klänge sucht.
In den Donaueschinger Programmen aber finden sich auch Spuren von Ansätzen, die über die traditionellen, vokal-instrumentalen Klangmittel und Aufführungsformen und über die Grenzen der Musik hinausführen: experimentelle Zufallsmusik (John Cage 1954), musique concrète (Pierre Schaeffer und Pierre Henry 1953), Neues Hörspiel, Musikfilme, Multimediaprojekte (Mauricio Kagel, Dieter Schnebel, Josef Anton Riedl), neuerdings auch Klanginstallationen verschiedener Künstler.
Die Vielfalt des Gleichzeitigen verbindet sich in Programmen aus neuester Zeit mit Ansätzen thematischer Strukturierung - wie "Musik und Sprache" oder "Poesie der Abstraktion". Das Konzept bleibt offen - aufgeschlossen für das Unerwartete, Neue.
Gründungszeit
1909
Heinrich Burkard wird Fürstlich Fürstenbergischer Musikdirektor.
1913
Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde Donaueschingen; 1. Präsident Georg Mall. Die Gesellschaft ist seit Beginn des Festivals dessen Träger im rechtlichen Sinne.
Juli 1920
Willy Rehberg, Professor an der Mannheimer Musikhochschule, unterbreitet Burkard den Vorschlag, ein "kleines Musikfest für junge aufstrebende Talente" zu veranstalten.
Frühjahr 1921
Berufung des Ehrenausschusses mit Ferruccio Busoni, Siegmund von Hausegger, Arthur Nikisch, Max von Pauer, Hans Pfitzner, Franz Schreker und Richard Strauss.
1921 - 1923
1. Arbeitsausschuss mit Joseph Haas, Eduard Erdmann und Heinrich Burkard.
31. Juli 1921
Das erste Konzert der "Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst" begründet nicht nur die Tradition der Donaueschinger Musiktage, sondern grundlegend die Kultur der Spezial- und Expertenkulturfestivals. Die Aufführung des Streichquartetts op. 16 begründet den Weltruhm Paul Hindemiths; erstmals vertreten u.a. Alban Berg, Alois Hába, Ernst Krenek, Philipp Jarnach, Anton Webern, Arnold Schönberg, Josef Matthias Hauer.
ab 1924
Paul Hindemith ausschlaggebendes Mitglied des Arbeitsausschusses; Erdmann verläßt den Arbeitsausschuß.
1925
Erweiterung des Programmangebots durch Chormusik; erstmals vertreten: u.a. Igor Strawinsky.
1926
Erweiterung des Programmangebots durch Literatur für Blasorchester. Damit Fortsetzung der Akzentverschiebung auf "Gebrauchs"- und Gemeinschaftsmusik. Gleichzeitig aber auch Präsentation experimenteller Formen und Instrumente wie Jörg Magers "Sphärophon"; mit Oskar Schlemmers "Triadischem Ballett" Ausweitung auf die Tanzbühne; erstmals Originalkompositionen für mechanische Instrumente.
1927
Ortswechsel nach Baden-Baden; Firmierung nunmehr als "Deutsche Kammermusik Baden-Baden". Die Gründe für den Wechsel sind sowohl in den beschränkten Aufführungsbedingungen in Donaueschingen für bestimmte künstlerische Formen zu suchen, wie auch in der Forcierung gebrauchsmusikalischer Aktivitäten - das Festival wird bis 1929 zeitgleich mit dem Flaggschiff der musikalischen Jugendbewegung, der Reichsführerwoche der Musikantengilde, stattfinden; erstmals vertreten: u.a. Hanns Eisler, Kurt Weill, Darius Milhaud.
1928
Neue Akzente: Experimentalvorführungen in Gemeinschaft mit der Gesellschaft für Filmmusik-Autoren Deutschlands, Kammeroper/Zeitoper.
1929
Originalkompositionen für den Rundfunk, Musik für Liebhaber, Filmmusik. Erstmals beteiligt sich der Rundfunk am Festival: die Reichs-Rundfunkgesellschaft gibt finanzielle und technische Unterstützung und der Südwestdeutsche Rundfunk Frankfurt stellt sein Orchester zur Verfügung. Höhepunkte: "Der Lindberghflug" von Bertolt Brecht/Paul Hindemith/Kurt Weill und das "Lehrstück" von Brecht/Hindemith. Finanzielle Schwierigkeiten der Stadt erzwingen das Aus der Baden-Badener Aktivitäten.
1930
Heinrich Burkard verlegt seinen Wohnsitz nach Berlin, wird Programmleiter Musik am Reichsrundfunk; Haas scheidet aus dem Arbeitsausschuss aus, seinen Platz übernimmt Georg Schünemann.
Juli 1930
Unter dem Patronat der "Rundfunkversuchsstelle bei der Staatlich-Akademischen Hochschule für Musik" in Berlin, Gründung des Festivals "Neue Musik Berlin", das die Programmleitlinien der Donaueschinger/Baden-Badener Tendenzen fortführt; thematische Akzente: Rundfunk-Hörspiel, Experimente mit Schallplatten, Lehrstücke und Kinderopern.
1933 - 1945
Die Marmortafel im Rathaus, die zur Erinnerung an die Kammermusikfeste angebracht war, wird beseitigt; unter der künstlerischen Leitung von Hugo Herrmann Gründung eines Musikfestes, das "den nationalsozialistischen Anschauungen" entspricht; Titel der Festivals u.a.: "Donaueschinger Musikfeiern", "Alte und neue Kammermusik aus dem schwäbisch-alemannischen Raum", "Oberrheinisches Musikfest".
Nachkriegszeit und die wilden Jahre
12. Juli 1946
Die französische Militärregierung erteilt die Erlaubnis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit der Gesellschaft der Musikfreunde.
27./28. Juli 1946
Als "Neue Musik Donaueschingen" erstes Festival nach dem Krieg unter Federführung von Hugo Herrmann.
1947
"Neue Musik Donaueschingen"
1948
In Folge der Währungsreform fällt das bereits terminierte Festival aus.
1949/50
Inhaltliche Divergenzen und Kompetenzstreitigkeiten über weitere Gestaltung des Festivals; Hugo Hermann wird die Programmhoheit entzogen.
April 1950
Die Gesellschaft der Musikfreunde nimmt Kontakt mit Heinrich Strobel, dem Leiter der Musikabteilung des Südwestfunks Baden-Baden auf; eine Zusammenarbeit wird vereinbart. Der Südwestfunk trägt seither die alleinige künstlerische Verantwortung, vergibt alljährlich zahlreiche Kompositionsaufträge und trägt die mit Abstand größte finanzielle Hauptlast am Festival. Durch die Zurverfügungstellung seines Sinfonieorchesters inhaltliche Akzentverschiebung auf Orchestermusik.
9./10. Oktober 1950
"Donaueschinger Musiktage für zeitgenössische Tonkunst"; Beginn der bislang dauerhaftesten Periode der Musiktage. Unter Leitung seines Chefdirigentens Hans Rosbaud erster Auftritt des SWF-Sinfonieorchesters. Die Programmverantwortlichkeit liegt in den Händen von Heinrich Strobel.
1951
erstmals vertreten u. a. Pierre Boulez, Olivier Messiaen, Hans Werner Henze
1952
Karlheinz Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann,
1953
Pierre Schaeffer/Pierre Henry, Luigi Nono
1954
Christian Wolff, Earle Brown, John Cage (erster öffentlicher Auftritt in Europa); Erweiterung des Programmangebots durch ein Jazzkonzert.
1955
erstmals vertreten u. a. Henri Pousseur, Iannis Xenakis
1956
Luciano Berio, Roman Haubenstock-Ramati
1957
Elliott Carter
1959
Mauricio Kagel, Edgard Varèse
1960
Krzysztof Penderecki
1961
György Ligeti
1963
Kazimierz Serocki
1964
Heinz Holliger, Friedrich Cerha
Januar 1964
Ernest Bour wird Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters.
1966
erstmals vertreten u. a. Isang Yun
1967
Cristóbal Halffter
1969
Alfred Schnittke
1970
Nach dem Tod von Heinrich Strobel übernimmt Otto Tomek die künstlerische Leitung der Musiktage.
1971
Neue Bezeichnung des Festivals: "Donaueschinger Musiktage".
1972
Innerhalb der "Akustischen Spielformen" wird der Karl-Sczuka-Preis des Südwestfunks erstmals während der Musiktage verliehen; erstmals vertreten u. a. Dieter Schnebel,
1973
Vinko Globokar, Paul-Heinz Dittrich
1974
Wolfgang Rihm
1975
Helmut Lachenmann, Hans Zender, Brian Ferneyhough; Programmverantwortlichkeit liegt in den Händen von Josef Häusler.
1977
erstmals vertreten u. a. Emmanuel Nunes
1979
Peter Eötvös
1980
Walter Zimmermann, Jörg Herchet, Younghi Pagh-Paan
Januar 1980
Kazimierz Kord wird neuer Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters.
1981
Christof Bitter übernimmt gemeinsam mit Josef Häusler die künstlerische Leitung des Festivals.
1983
erstmals vertreten u. a. Klaus Huber
1986
Michael Gielen wird neuer Chefdirigent des SWF-Sinfonieorchesters; erstes Dirigat in Donaueschingen 1987.
1990
erstmals vertreten u. a. Mathias Spahlinger
Neuzeit
1992
An die Stelle von Josef Häusler tritt Armin Köhler; verstärkte Einbeziehung von künstlerischen Formen zwischen den Künsten, Gattungen und Genres.
1993
Christof Bitter scheidet aus; erstmals thematische Akzentuierung: "klangRAUM/RAUMklang""; Verstärkte Einbeziehung von Klanginstallationen an in auratischen Orten in der Stadt; weltweit erste Radiophone Installation "Fmo 99,5" von Martin Orlbrisch; erstmals vertreten Hanspeter Kyburz u.a.; Video Opera von Nam June Paik.
1994
Thema des Festivals: "Poesie der Abstraktion. Musik jenseits von Sprache"; große Ausstellung "musica mechanica" aus der eine weltweite agierende Initiative der Klanginstallateure erwächst; erstmals vertreten Dror Feiler u.a.
1995
Thema des Festivals "Musik und Sprache", in Bill Fontanas "Returning Landscapes" weltweit erstmals satellitengestütze Übertragung von Soundfiles in Echtzeit; erstmals vertreten Antoine Beuger, Olga Neuwirth, Julio Estrada u.a. Mit einem japanischen Gagaku-Ensemble erstmals Einbeziehung anderer Kulturen.
1996
"Das Orchester ist tot – es lebe das Orchester"
März 1996
Die Leitung des Südwestfunks teilt den Mitveranstaltern mit, daß er sein finanzielles Engagement ab 1998 um 50% reduzieren muß; angestrebt wird die Biennalisierung des Festivals. Eine weltweit bislang einmalige internationale Protestwelle erzwingt ein neues Finanzierungskonzept: neben dem Südwestfunk Baden-Baden, dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Donaueschingen konnten mit der KULTUR-STIFTUNG der Deutschen Bank und dem Bundesinnenministerium neue Geldgeber gefunden werden.
18. Oktober 1996
Festveranstaltung "75 Jahre Donaueschinger Musiktage" in der Donauhalle A; Festredner: Bernhard Everke, Oberbürgermeister Donaueschingens, Erwin Teufel, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Friedrich Bohl, Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Fischer, Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde, Helmut Lachenmann, Peter Voß, Intendant des Südwestfunks Baden-Baden, August Everding, Staatsintendant. Thema des Festivals: "Das Orchester ist tot – es lebe das Orchester".
1997
Thema des Festivals: "Live-Elektronik". Erstmals in Donaueschingen vertreten Peter Ablinger, Diego Minciacchi, Bendedict Mason, Silvia Fómina und Frederic Rzewski; mit Pierre Boulez, György Ligeti, und Mauricio Kagel erstmals wieder vertreten jene Autoren, die in den 50er Jahren mit Donaueschingen "groß" geworden sind; erstmals Internet-Café mit weltweiten Live-Diskussionen im Netz; nach 1996 zum zweiten Mal ein Sonderprojekt für Kinder; herausragende Klanginstallation "Empty Vessels" von Alvin Lucier.
1998
Thema des Festivals "Das Prinzip Konzertieren."; herausragendes Konzert mit dem Arditti-Streichquartett, das dreimal wiederholt werden musste; konsequente Fortsetzung in der Einbeziehung neuer Medien.
1999
erstmals vertreten Zoro Babel, Daniel Ott, Peter Eötvös, Misato Mochizuki; bolivianisches Ensemble mit nativen Instrumentarium; seit Jahrzehnten wieder in Donaueschingen ein "Altmeister" der Avantgarde Karlheinz Stockhausen. Sylvain Cambreling tritt erstmals in Donaueschingen als neue Chefdirigent des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg in Donaueschingen auf.
2000
seit 50 Jahren wird das Festival vom Südwestfunk, dem jetzigen Südwestrundfund, unterstützt, auf dieser Basis längste kontinuierliche Periode des Festivals; ca. 400 Auftragswerke sind vom SWR seither für das Festival in Auftrag gegeben worden.
2001
herausragendes Konzert mit dem Radio Kammerorchester Hilversum unter der Leitung von Peter Eötvös; erstmals in Donaueschingen u.a. Jörg Widmann, Wolfgang Mitterer und Liza Lim; konsequente Erweiterung der installativen Aktivitäten in Richtung "Konzert-Installation" u.a. in der F.F. Bibliothek; erstmals Akzent auf Video-Kunst.
2002
Thema des Festivals "Musik und Stimme"; herausragende Konzerte mit dem Experimentalstudio der Heinrich Strobel-Stiftung des SWR und dem SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg (Huber), erstmals vertreten Bernhard Lang, Jennifer Walshe, Karin Rehnqvist u.a.; Einbeziehung der "Pisces Collection" in das Programm des Festivals.
2003
Thema des Festivals: "Hintergrund und Ereignis. InVersionen"; mit der "Musik für Hunde" Versuch einer neuen musikalischen Präsentationsform zwischen Konzert und Installation. Mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France nach 1992 und 1996 zum dritten Mal ein Gastorchester in Donaueschingen.
2004
Unter der Leitung des Komponisten kommt mit "Licht – Bilder" der abschließende Teil des LICHT-Zyklus von Karlheinz Stockhausen zur Uraufführung. Große Beachtung fand zudem die durch das Ensemble Modern interpretierte überdimensionierte konzertante Klangplastik "felt/ebb/thus/brink/here/array/telling" von Benedict Mason. Unter dem Motto "Ferne – Nähe" wurden damit die vielfältigen Raumkonzepte des Festivals und die neuen Präsentationsformen zwischen Konzert, Installation und Performance konsequent weitergeführt. Erstmals in Donaueschingen: u.a. Paul Usher und Rebecca Saunders sowie ein Balinesisches Ensemble mit Musik aus ihrer Heimat. Das Festival wird zum ersten Mal von der Ernst von Siemens Musikstiftung gefördert.
2005
Mit "Fama" kreiert Beat Furrer gemeinsam mit Christoph Marthaler eine neue Opernform, bei der eine das Publikum umschließende modulare Box sowohl zentraler Teil der Inszenierung als auch akustisches Gestaltungselement ist. Ein weiteres herausragendes Ereignis ist das Konzert mit dem Radio Kammerorchester Hilversum mit Werken von Valerio Sannicandro, Samir Odeh-Tamimi, Lars Petter Hagen und Dai Fujikura. Erstmals wird der Kompositionspreis des SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg (an Klaus Ospald) vergeben.
2006
Das Festival wird erstmals durch die Exellenzinitiative der Bundeskulturstiftung gefördert und ist seither einer der acht "Leuchttürme" bundesrepublikanischer Kulturförderung. Mit Alvin Curran "Oh Brass on the Grass Alas" kommt durch 350 Laienblasmusiker eines der berührendsten Klangraumprojekte im Außenraum zur Uraufführung. Besondere Aufmerksamkeit erfährt mit "Hyperion", Konzert für Licht und Orchester von Georg Friedrich Haas/rosalie, die weltweit erste Orchesterinstallation, bei der eine den Konzertraum umspannende Lichtinstallation aus 3000 Leuchtdioden von rosalie die Doppelfunktion als Impulsgeber für die Musiker und eigenständiges ästhetisches Medium zu erfüllen hatte. Herausragend die Konzerte mit dem Arditti Streichquartett sowie mit dem Schönberg Ensemble Amsterdam, in denen u.a. Werke von Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm, Alberto Posadas, Julio Estrada und Ole-Henrik Moe uraufgeführt wurden.
2007
Mit herausragenden Orchesterwerken von Mark Andre, Enno Poppe, Hans Zender, Helmut Oehring und Klaus Huber setzt das Festival seine Tradition als führendes Orchesterfestival aktueller Musik fort. In einem Aufsehen erregenden multimedialen Konzert mit dem ensemble recherche und dem Experimentalstudio des SWR werden die Komponisten wie Francois Sarhan, Simon Steen-Andersen, Michael Pelzel und Francesco Filidei neu entdeckt. Weiterhin erstmals in Donaueschingen: Hans Thomalla und James Saunders.
2008
Pierre Boulez kehrt 50 Jahre nachdem seine Dirigentenkarriere in Donaueschingen begann, wieder an das Donaueschinger Dirigentenpult zurück. Durch die "ensembliade" Etablierung einer neuen Konzertform, die mit dem Prinzip der "Doppeluraufführung" agiert: Die drei aktuell führenden Ensembles für Neue Musik, das Ensemble Intercontemporain, das Ensemble Modern und das Klangforum Wien, wiederholen in einem fünfstündigen Konzertereignis neue Werke von Arnulf Herrmann, Bernhard Gander und Aureliano Cattaneo. Dror Feiler präsentiert mit seinen "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit" eine sich in unterschiedlichen Präsentationsformen und Medien (einschließlich eines Müllautokorsos durch den Stadtraum) artikulierende neue Form politischer Musik. Neuentdeckung für Europa: Ben Johnston, der auch den Kompositionspreis des SWR Sinfonieorchesters erhält.
2009
Im Mittelpunkt des Festivaljahrgangs steht das Sinfonieorchester als Institution. Simultane Uraufführung durch das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg des raumgreifenden, vierstündigen Konzertenvironment "doppelt bejaht" von Mathias Spahlinger und der Installation Opera "Batsheba. Eat The History!" von Manos Tsangaris, die sich über zwei Tage in unterschiedlichen über Donaueschingen verteilten Räumen im Stadtraum erstreckt - damit konsequente Fortführung von Projekten, die nicht die destinktiven Faktoren von Darbietungskunst, sprich Konzert, und Installationskunst herausstellen, sondern in Konzert-Installationen oder Installation Operas alle Formen von der Performance über die Klangkunst das Environment und den Konzerttypus miteinander zu verschmelzen suchen. Erstmals in Donaueschingen: Franck Bedrossian und Raphael Cendo. Der Rohbau des Strawinsky Saals wird erstmals als Installationsort einbezogen.
2010
Durch die Erweiterung um den Strawinsky Saal und die Neugestaltung der Foyers und der Künstlergarderoben Entwicklung des Donauhallenkomplexes in ein modernes Festivalzentrum. Mit der "Quardittiade" steht das Streichquartett im Zentrum des Interesses. Präsentation eines neuen Konzerttypus, der mit dem Arditti Quartet, dem JACK Quartet und dem Quatuor Diotima drei Streichquartette unterschiedlicher Generationen und Spielkulturen vereinte und das Prinzip der Doppeluraufführung fortführte. Besondere Aufmerksamkeit erzielten die Werke "limited approximations" für sechs Flügel im Zwölfteltonabstand und Orchester von Georg Friedrich Haas, Marco Stroppas "Let me sing into your ear", Simon Steen-Andersens "Double Up" sowie die Streichquartette von Philippe Manoury, Brian Ferneyhough, Bernhard Lang und James Dillon.
2011
90 Jahre Donaueschinger Musiktage; erstmals am Dirigentenpult der neue Chefdirigent des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg Francois Xavier Roth; Ensemble in Residence ist die musikFabrik, Köln; Rebecca Saunders komponiert eigens für den neuen Strawinsky Saal und dieses Ensemble eine Komposition für Raum und Ensemble; mit den Neuen Vocalsolisten und der SWR2 NEWJazz Session widmen sich gleich zwei Konzerte der Genderdiskussion: auf dem Programm stehen ausschließlich Kompositionen von Frauen. Dominierendes Werk des Festivals: die "Séraphin Symphonie" von Wolfgang Rihm.
2012
Die instrumentalen Besetzungen von Arnold Schönbergs Kammersymphonie und Edgard Varèses "Octandre" galten lange Zeit als Vorbilder für die Zusammensetzungen von Ensembles der neuen Musik. Tabuisiert war die Frage, ob es sich dabei um eine notwendige oder notdürftige instrumentale Reduzierung handelte, ob sie der institutionellen Situation geschuldet war oder dem Kunstwollen der Autoren entsprang. Heute ist sie ohnehin nicht mehr von Belang. Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren haben sich Ensembles konstituiert, die neue Besetzungstypen in alle Richtungen ausloten. Die Donaueschinger Musiktage thematisieren in diesem Jahr die veränderten Akzentuierungen und Interdependenzen von Musik und Maschine in medialen Mischkonstellationen am Beispiel neuer Ensembleformationen, die auf einen Mix setzen, der auf der einen Seite aus simplen elektronischen Instrumenten besteht, auf der anderen von einer kleinen, aber sehr spezifischen Gruppe akustischer Instrumente geprägt wird, bei der elektro-akustische Instrumente wie E-Gitarre oder E-Geige eine verbindende Funktion zwischen den unterschiedlichen Medien übernehmen. Eingeladen wurden mit asamisimasa, Nikel, Nadar und ascolta vier junge Ensembles aus Norwegen, Israel, Belgien und Deutschland. Ein zentrale Rolle im aktuellen Festival nehmen zudem das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, SWR Vokalensemble Stuttgart sowie das Experimentalstudio des SWR ein. Zum Kosmos der veränderten Ensemblekonstellationen zählt das Ausloten der neuen komplexen Beziehungen von Technik und Körper, zählt die Perspektive der Live-Erfahrung, die trotz aller vielfältiger aktueller Entwicklungen im Bereich der Speichermedien von zentraler Bedeutung geblieben ist bzw. gar an Bedeutung gewonnen hat, zählen die Fragen nach den Handlungsträgern des künstlerischen Geschehens und den medialen Transportformen und Transformationen der einzelnen Medien. Wer bestimmt das Geschehen: der Mensch oder die Maschine? Wie interaktiv-kommunikativ ist das Verhältnis dieser beiden Akteure innerhalb der neuen Ensemblekonstellationen? Zur Uraufführung kommen 28 Kompositionen von Künstlern aus 15 Nationen.
2013
Die Donaueschinger Musiktage umkreisen in diesem Jahr in großen und kleinen instrumentalen Konstellationen musikalische Großformen. Diese beziehen sich entweder auf historische Vorbilder wie Bruckner oder Wagner, loten die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitdimensionen aus oder aber entnehmen ihr Initialpotential den organischen Prozessen der Natur. Auf dem Programm stehen Uraufführungen von Georges Aperghis, Raphaël Cendo, Bernhard Lang, Philippe Manoury, Bruno Mantovani, Georg Nussbaumer, Enno Poppe, Alberto Posadas, Kirsten Reese und Walter Zimmermann. Eingeladen wurden solch renommierte Interpreten wie das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, SWR Vokalensemble Stuttgart, IRCAM, Klangforum Wien, Ensemble modern, Ensemble musikFabrik, Trio recherche, François-Xavier Roth, Emilio Pomàrico, Pascal Rophé, Wolfgang Lischke u. a.
2014
In diesem Jahr konzentrieren sich die Donaueschinger Musiktage auf Komponistinnen und Komponisten, die sich über ihr musikalisches Tun hinaus auch in anderen Metiers äußern und von den Wechselbeziehungen der Disziplinen profitieren. Im Zentrum des Festivals stehen nicht allein hybride oder transdisziplinäre künstlerische Produkte, sondern auch solche Positionen, die auf die Autonomie der jeweiligen Kunstsparte setzen. Neben den üblichen Konzerten, Installationen und Performances gibt es Lesungen, Film- und Videovorführungen sowie eine thematisch begleitende Ausstellung. Auf dem Programm stehen Kompositionen und andere künstlerische Arbeiten von u.a. Peter Ablinger, Ondřej Adámek, Pascal Dusapin, Mazen Kerbaj, Johannes Kreidler, Chiyoko Szlavnics, Salvatore Sciarrino, Manos Tsangaris und Jennifer Walshe.
2015
Björn Gottstein folgt als Künstlerischer Leiter dem im November 2014 verstorbenen Armin Köhler, der die Geschicke der Donaueschinger Musiktage 22 Jahre lang gelenkt hatte.
2016
Die menschliche Stimme taucht in diesem Jahrgang immer wieder auf: Gemeinsam mit der Sopranistin Juliet Fraser präsentiert das Klangforum Wien Rebecca Saunders' "Skin" unter der Leitung von Titus Engel. In der Christuskirche findet die Uraufführung von Joanna Bailies "Music from Public Places" mit dem SWR Vokalensemble und dem Améi Quartett statt. Auch in Klaus Schedls "Blutrausch" für Orchester und Elektronik kommt ein Stimmpart vor – performt von Moritz Eggert. Gleich mehrere Stimmen kommen zu Wort in "Good Morning, Deutschland!" – einem Radioprojekt von Hannes Seidl mit Geflüchteten in Donaueschingen. Weitere Uraufführungen von u.a. James Dillon, Bernhard Gander, Patricia Alessandrini, Georg Friedrich Haas und Franck Bedrossian.
2017
Zwei Konzerte mit performativem Schwerpunkt stechen heraus bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen: Das belgische Ictus Ensemble begibt sich für Martin Schüttlers selbstreflexives Stück "My mother was a piano teacher" in Container einer Nebenhalle – für das Publikum als Live-Videoübertragung zu verfolgen. In einem von Laurent Chétouane inszenierten Konzert wiederum bewegt sich das Berliner Ensembles Kaleidoskop aus einem LKW heraus durch den gesamten Saal und den Zuschauerraum. Es kommen Auftragswerke von Dmitri Kourliandski, Sebastian Claren und Chyoko Szlavnics zur Uraufführung. Alexander Schubert macht das Bühnensetting mit "Codec Error" zu einem Gewitter aus Stroboskoplichtern, digitalen Störgeräuschen und maschinenhaft agierenden Musikern. Außerdem stehen neue Orchesterkompositionen auf dem Programm, u.a. von Bernhard Lang, Andreas Dohmen, Bunita Marcus, Chaya Czernowin und Thomas Meadowcroft.
2018
Roboter, Medienarchäologie, Filterblasen und öffentliche Gewalt spielen in diesem Jahr eine maßgebliche Rolle. Beim Eröffnungskonzert präsentieren Orchester und Vokalensemble des SWR mit dem Pariser Forschungsinstitut IRCAM vier Uraufführungen, die sich mit dem Orchester als komplexes soziales Gefüge befassen – Stücke von Ivan Fedele, Malin Bång, Isabel Mundry und Marco Stroppa. Malin Bång wird für "Splinters of ebullient rebellion" mit dem Orchesterpreis ausgezeichnet. In "21.10.18" des Georgiers Koka Nikoladze sitzen die Mitglieder des Klangforum Wien an interaktiven Notenpulten, die der Komponist mit eigens entwickelter Software wie ein DJ steuert. Technologische Erweiterungen spielen auch in "Ballett for eleven musicians" von Brigitta Muntendorf eine Rolle, das die Musiker des Ensemble Modern zu Akteuren in einem theatralen Szenario mit Livevideo und Elektronik macht. Weitere Uraufführungen von u.a. Georges Aperghis, Enno Poppe und Benedict Mason, der die Musiker der SWR Symphonieorchesters als La-Ola-Welle durch das gesamte Haus schickt.
2019
Zum ersten Mal in der 100-jährigen Geschichte der Donaueschinger Musiktage stehen Big Band, Symphonieorchester und Vokalensemble des SWR gemeinsam auf der Bühne. In Simon Steen-Andersens "TRIO" werden die drei Klangkörper durch einen virtuos zusammenmontierten Film aus SWR-Archivmaterial mit ihren historischen Vorläufern konfrontiert. Ähnlich viel Publikumszuspruch erhält Christian Lillinger mit seinem Impro-Ensembleprojekt "Open Form for Society", das Einflüsse aus Jazz, Pop und Neuer Musik kombiniert. Vor allem die Klangkunst in diesem Jahr bewegt sich in ungewöhnlichen Sphären. Marko Cicilianis Projekt "Anna & Marie" macht Musikerinnen zu Spielerinnen in einer 3D-Computerspielumgebung, "Music for Hotel Bars" spielt sich im Wyndham Garden Hotel ab und Kirsten Reeses Installation "Neglou" findet im Schwimmbad statt – über und unter Wasser. Weitere Uraufführungen von Matthew Shlomowitz, Eva Reiter, Gordon Kampe, Mark Andre, Nina Šenk, Johannes Boris Borowksi und Saed Haddad.
2020
Die Donaueschinger Musiktage finden 2020 zum ersten Mal ausschließlich als Radiofestival statt. Angesichts der im Herbst drastisch steigenden Corona-Fallzahlen muss die Veranstaltung abgesagt werden, aber mit vereinten Kräften können einige der Ensembles ihre Projekte dennoch realisieren – für eine Ausstrahlung bei SWR2 und online am Festivalwochenende. Das SWR Symphonieorchester spielt Orchesterminiaturen von Klaus Lang, Mica Levi, Cathy Milliken, Lula Romero, Oliver Schneller und Michael Wertmüller; das Kölner Ensemble Musikfabrik präsentiert neue Stücke von Carola Bauckholt, Gerald Barry und Peter Ablinger. Außerdem realisiert das Ensemble MAM gemeinsam mit der Stimmkünstlerin Elaine Mitchener das Projekt "On Being Human As Praxis". Für dieses thematisch gebundene Konzert wurden fünf Komponistinnen und Komponisten dazu eingeladen, auf Texte der jamaikanischen Schriftstellerin Sylvia Wynter zu reagieren.
2021
Die Donaueschinger Musiktage feiern 100. Geburtstag. In seinem letzten Jahrgang als Künstlerischer Leiter legt Björn Gottstein mit dem Projekt "Donaueschingen Global" einen Fokus auf zeitgenössische Musik aus Afrika, Asien, dem mittleren Osten und Lateinamerika.
2022
Am 1. März wird Lydia Rilling neue Künstlerische Leiterin der Donaueschinger Musiktage. Mit der Musikwissenschaftlerin und Kuratorin steht erstmals eine Frau an der Spitze des Festivals.