Donaueschinger Musiktage 2013 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2013: "Situations"

Stand
Autor/in
Georges Aperghis
Übersetzung
Birgit Gotzes (aus dem Französischen)

Meine Idee war es von Anfang an, über das Individuum und seinen Platz in der "Gruppe" zu arbeiten.

Ich beginne damit, kleine fragmentarische Formen in den Raum zu werfen (Momente, die nur für sich selbst existieren), und denke dabei nicht an ihre Anordnung und noch weniger an eine übergeordnete Form. Diese Fragmente scheinen sich durch ihre Texturen, Farben etc. aneinanderzustoßen, obwohl sie alle aus demselben Material stammen. Sie wirken schwerelos, ohne Richtung, ohne Entwicklung. Anschließend gilt es, eine Matrix (einen Antrieb) zu erfinden, die sie in Bewegung setzen wird bis zu dem Augenblick, da sie ihren Platz finden werden, nachdem sie sich zunächst da aneinander gerieben haben, wo sie zufällig aufeinandertrafen. Doch dieses Mosaik ist provisorisch. Nun müssen die "Stereotypen", die aus bestimmten Anordnungen, Übergängen stammen können aufgespürt werden. Entweder ich vermeide "Kausalzusammenhänge", den linearen Zusammenhang einer Erzählung oder psychologische Prozesse, oder ich akzeptiere solche nur, um sie als "falsche Spuren" zu nutzen: den Eindruck zu erwecken, dass endlich etwas Klares erscheint, um dem augenblicklich zu widersprechen. Ich suche nach der Diskontinuität, dem Zickzack, nach der Absurdität mancher Begegnungen. Ich denke oft an einen Akrobaten, der von einem Seil zum anderen geht oder springt und sich im letzten Moment fängt. Diese Zerbrechlichkeit, diese Gefahr ist es, die ich suche. Aber auch wenn alle diese Elemente heterogen bleiben, zum Schluss müssen sie einen einzigen "Organismus" bilden – oft widersprüchlich, manchmal paradox, aber ein einziger Organismus. Darum geht es für mich bei dem, was man die "Großform" nennt.

"Situations" erweist sich damit aus meiner Sicht als eine "Maschine", mit der Ordnung und Chaos verteilt werden, Jahrmarkt und Intimität, Paroxysmus und Trägheit.
Das ist unter anderem die Herausforderung, die mich dazu gebracht hat, an diesem Werk zu arbeiten. Ich möchte, dass der Zuhörer diese Partitur jeweils im aktuellen Augenblick verfolgt und dass er erst ganz am Schluss eine Vorstellung von einer gewissen Form hat. Ob mir das gelungen ist?

Stand
Autor/in
Georges Aperghis
Übersetzung
Birgit Gotzes (aus dem Französischen)