Donaueschinger Musiktage 2007 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2007: "The Name of the Song [Dear Me (Bobok)]"

Stand
Autor/in
Francois Sarhan
Übersetzung
Lydia Jeschke (aus dem Englischen)
Lydia Jeschke

The name of the song und Talks Time Nothing sind Teile eines größeren Projekts mit dem Titel Von der Wiige bis zum G., das z. B. noch Testimony, ein Konzertstück für das Ensemble Modern, und l’Nfer (un point de détail) für das Ictus Ensemble enthält.
Das grundsätzliche Thema des Zyklus ist es, Samples von Stimmen oder Texten, die von einer Lebenserfahrung handeln, in einen narrativen Kontext zusammenzufügen. In Testimony geht es um Kurzgeschichten aus dem alltäglichen Leben in den USA, und in l’Nfer handelt es sich um einen Trip, den ich in London unternahm und der als Basis für andere Betrachtungen aus Reality Shows im Fernsehen oder durch religiöse Fundamentalisten verwendet wird.

In The name of the song gibt es zwei Text-Elemente: Eines besteht aus hunderttausend Samples, die ich (seit einigen Jahren) gesammelt habe: Samples aus dem Radio, dem Fernsehen, aus Filmen, Interviews, aus allem, was die Worte "before", "after" oder "never" usw. enthalten kann. Diese Samples werden in eine große "Kyrielle" (eine Kette) zusammengefügt und mit verschiedenen Regeln, Geschwindigkeiten, Fortschreitungen, je nach Zusammenhang, klassifiziert. Die grobe Idee besteht darin, die Sprache, die Gespräche mit einem speziellen Sieb zu filtern, um nur die "Zeitpfeile" zu erhalten, alle diese kleinen richtungsweisenden Worte, die es uns erlauben, zu erinnern oder vorherzusehen, uns zu verorten im Fluss der Zeit, der natürlich unaufhaltsam, unquantifizierbar ist. Sie werden in der Installation mit dem Titel Talks Time Nothing auf eine besondere Weise präsentiert. Hier, in den Donauestuben, wird unterstellt, wir hörten Unterhaltungen von Menschen (unsichtbaren Gästen), aber nur diese Zeitworte. Diese Annahme ist schließlich sehr plausibel, außer dass im wirklichen Leben die Zeitworte durch andere Worte vollgestopft werden.
Der Grund dafür, dass es zwei verschiedene Ereignisse gibt, die Installation und das Stück, ist schlicht, dass für mich die Tradition des Konzertstückes nur schwer aufzufrischen, zu beleben ist. Einen anderen Gebrauch von Zeit in Musik zu integrieren, wie in einer Installation, die keinen Anfang und kein Ende hat, und den Raum und die Erinnerung eines Ortes hineinzuarbeiten, ist für mich voller Potential, "une promesse de nouveaux délices".

The name of the song ist der Konzert-Teil: Dies ist das "Libretto". Ich gebe hier die erwähnten "Zeitpfeile" nicht wieder und werde die Textquellen beschreiben.

Ran und ein kleines Mädchen kommt zu meine Ma zu meine Schwester dran. Da kommt noch ein großer Bruder und mein Mädchen ist meinem Bruder und meine Blätterchen sind so schöne und weiß und tot. Davon hab ich das mein Fester auf und da hab ich das gar nicht mehr auf, und jetzt: ist es zu und ist es zu. Und meine Füßchen sind schlecht und weiß und meine Äpfel sind so schön und die sind alle alt und alt, alt und alt, alt und alt, alt und alt, alt und alt, alt el alt, alte Heizung alte Küche alte Wohnung. Da schmeißen wa alles weg.

- Okay, so what is the title of the song?
- The title of this song is called "...."
- That is the name of the piece ?
- No, no, that is the name of the title. But the title of the piece is Bobok.
- So Bobok is the title of this piece.
- No, you don't understand, Bobok is only how the piece is called. The real name of the piece is "Dear Me". And that's only the name of the song. It's not the song itself.
What IS the song, then?
The song is "The name of the song".
- Is it long?
- It's very long, but it is very beautiful. Everybody that hears it-either it brings tears into their eyes, or else – Or else it doesn't, you know.
And the tune is my own invention.

- Your face is the same as everybody has - the two eyes, nose in the middle, mouth under. It's always the same. Now, if you had the eyes on the same side of the nose, for instance – or the mouth at the top – that would be some help.
- It wouldn't look nice.
- Wait till you've tried.

Der erste Teil ist ein Lied, das ein kleines Berliner Mädchen namens Gerda Krenzlin 2003 improvisierte. Sie war damals zweieinhalb Jahre alt. Die Freiheit und die frische Verbindung von Ideen ist für mich ein Ideal.
Die zwei folgenden Dialoge sind aus Through the Looking Glass von Lewis Carroll entnommen und transformiert worden.
–Aber wie verbindest du diese Zeit-Samples, dieses kleine Mädchen, das in Deutsch singt, und Lewis Carroll?
–Ich unterstelle, dass das Lied und der Dialog Teil derselben Szene sind, wobei der Dialog nach dem Lied kommt. Ein Versuch, es besser zu verstehen, sozusagen. Und das Lied wird, denke ich, von einem kleinen Mädchen gesungen, das perfekt zu Carroll passt. Und schließlich sind die Zeit-Elemente die Samen für diese Szene, denn ich habe eine Menge von Transformationen des ursprünglichen Liedes des kleinen Mädchens und ihrer Stimme verwendet, um das Material für das ganze Stück zu bauen. Diese Transformationen haben die Tendenz, uns das Vorübergehen der Zeit fühlen zu lassen, indem junge und reife singende Stimmen hin und her gehen und indem die musikalische Entwicklung als eine Metapher des Älterwerdens genutzt wird. Im Originaltext von Lewis Carroll ist einer der Titel des Liedes the aged aged man. Ich träume von einem Lied, das von derselben Person in verschiedenen Altersstufen gesungen wird, wobei die Veränderung der Stimme die einzige Variation ist. Klein, aber ausdrucksvoll, und ausreichend, und tragisch!
–Es würde nicht schön aussehen.
–Warte, bis du es versucht hast.