Donaueschinger Musiktage 2003 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2003: "Final Dance"

Stand
Autor/in
James Clarke
Übersetzung
Lydia Jeschke (aus dem Englischen)
Lydia Jeschke

In meinem Tagebuch, das ich als Achtzehnjähriger schrieb, finden sich die Worte: "Es ist meine Absicht, in meiner Musik auf einen Stil hinzuarbeiten, der die Subtilität und Komplexität bestimmter Post-50er-Jahre-Musik beibehält, der aber eine klarere, direktere, kommunikativere Form und Struktur hat."

Ich hatte damals bereits ein Ziel ausgerufen, das ich nie verändert habe und von dem ich nie abgewichen bin. Es erscheint mir essenziell, dass wir die Reichhaltigkeit der menschlichen Errungenschaften feiern, die Komplexität des Denkens, der Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, Präzision. Jene Kunstwerke, die das Primitive nachahmen oder banale Vereinfachungen der Komplikationen des Lebens versuchen, erscheinen mir sinnlos, manchmal gar schädlich, denn sie führen zur Akzeptanz der Idee einer direkten, einfachen Antwort auf Probleme, zu einem Mangel an Wahlmöglichkeiten, schließlich zu der politischen und kommerziellen Herrschaft Weniger über den Rest.

Einige Komponisten scheinen eine rigorose und klare philosophische Forschung eng mit der daraus resultierenden Musik zu verbinden, so sehr, dass sie eloquent über philosophische oder wahrnehmungspsychologische Belange sprechen können und die Musik, im besten solcher Fälle, nicht nur aus jeder unabhängigen Perspektive als großartige Musik erscheint, sondern auch als Beispiel für die verbal ausgebreiteten Forschungen, die gerade dargelegt worden sind.

Dafür habe ich nichts als Bewunderung. Aber mein eigener Zugang ist vielleicht weniger klar von philosophischen Ideen geleitet, die zweifellos im Nachhinein zentral sind für die Musik, die ich schreibe, ebenso stark wie auch musikalische Impulse leitend sind, die als klares intellektuelles Argument während des Komponierens zerschmelzen und erst nachträglich beschrieben werden können. Musikalische Ideen haben die Form von Magma, brechen aus wie Lava, verbreiten sich wie ein Virus, explodieren, splittern, ziehen einander an wie Magneten, schwellen an wie erkrankte Haut, erst nachher ist klar, was es mit der Musik auf sich hat, nicht, wohin sie geht, aber, wohin sie gegangen ist.

Meine Musik zwingt mich dahin, sie zu treten und ihr hinterher zu schreien.
1991 schrieb ich ein Werk mit dem Titel La violenza delle idee, Die Gewalt der Ideen. Wir sprechen normaler Weise über die Kraft der Ideen, jedoch nicht von ihrer Gewalt. Es war in einem Buch des sizilianischen Philosophen Nunzio Incardona, wo mir dieser Ausdruck begegnete. Er fasste perfekt zusammen, was gerade in meiner Musik passiert war. Ich machte Festlegungen auf einem bestimmten Weg, arbeitete die Verbindungen von Instrumentengruppen und Material heraus, nur um entführt, gekidnapped und auf den Rücksitz eines schwarzen Autos verfrachtet zu werden: durch die Noten selbst - Gangster, verdammte! -, die mich, den Komponisten, dorthin lenkten, die Musik zu schreiben, die sie, die Noten, forderten.

2001 schrieb ich ein Werk mit dem Titel Delos. Die griechische Insel wurde in den Texten erwähnt, die ich von dem finnischen Dichter Pentti Saarikoski gesetzt hatte, welcher nicht nur ein großer Autor war, sondern auch ein großartiger Übersetzer vieler wichtiger Werke, von Joyces Ulysses zurück zu den alten Griechen, Eurypides' Herakles in diesem Fall. Der Satz: "Auf Delos tanzen die Mädchen vor dem Tempel zu Ehren Apolls.", erscheint zwischen vielen anderen Fragmenten in meinem Werk Deformierte Texte.

Dieses Bild führte zu einem eigenen Stück für Ensemble, das ich Delos nannte und das Tanzrhythmen "ausgräbt", als ob sie zwischen alten archäologischen Ruinen gefunden worden wären. Genauso viel, wie mich die Kraft oder Stärke, oder vielleicht wäre es besser zu sagen, die "Unabhängigkeit" der musikalischen Ideen als Komponisten auf neue Wege geleitet hat, so vereinnahmen mich auch neue Faszinationen, manchmal Obsessionen, und meine Arbeit besteht darin, bestimmte Pfade entlang zu reisen und dabei immer verschiedene Wege zu finden, um sie zu erkunden.

Dies ist, wie mir scheint, in der Arbeit fast aller Komponisten zentral, und es ist der Achsnagel dessen, was wir als ihre individuellen Ziele und Interessen verstehen. Aber es sind immer noch musikalische Ideen und ihr Potential, die mich zu leiten scheinen, zuerst und vor allem zu Zielen, die sie selbst bestimmt haben, auch wenn sie zunächst verschwommen sind wie ein Bild, das durch Konfusionen der Erinnerung verzerrt wird, in diesem Fall seltsame und alte Tanzrhythmen, die hervorquellen und wieder versickern.

Für mich ist Komponieren ein Akt des Reisens und Entdeckens, den Klängen, Ideen, Verbindungen zu Leibe zu rücken. Es ist vor allem höchst logisch und genau. Es legt keine Theorie aus; Theorien und Erklärungen folgen der Musik nach wie eine Seemöwe dem Schleppnetzfischer.

Ich verstehe die Künste, Wissenschaften und Philosophie als Gefährten, die sich gemeinsam bewegen, Seite an Seite, sich gegenseitig Nahrung geben auf oftmals verschwommene Weise, was nicht in Worten erklärt werden sollte und kann. Die Substanz ist verschieden. Musik kann in uns ein größeres Verständnis für die Verbindungen innerhalb der anderen Disziplinen wecken, mit demselben Recht, wie andere Disziplinen uns zu unserem Verständnis vom Musik führen können.
Meine Arbeit beinhaltet es, Feuerwerksraketen in die Luft zu schleudern und den Versuch, sie zu fangen. Wenn die Musik weiß glühend ist, verbrennt sie meine Ohren und meine Augen: Ich muss von meinem Schreibtisch aufstehen und sie zurücklassen. Dann kehre ich an den Tisch zurück und resümiere die Reise.

So stellte ich mir Final Dance vor, ein krankhafter Tanz über das Ende, das Echo einer zerbrochenen Zeremonie, ein Endspiel, ein Totentanz, ein Lamento für jene Kulturen, deren Musik und Tanz, Wissen und Philosophie durch die neue globale Uniformierung begraben wurden.
Wie in einer Reihe meiner anderen Werke gibt es eine Anspielung an musikalische Formen und Zeremonien, die über die Welt verteilt in vielen verschiedenen Manifestationen zu finden sind.

Der Eröffnungsruf oder die Erklärung des Beginns können die Form einer klaren Exposition einer Skala annehmen, die die Basis der Musik in vielen Kulturen (solchen wie in Indonesien) ist, oder ein Solist (hier eine Solo-Bassklarinette) ruft, wie in diesem Fall, als lüde er zu einer Antwort ein, bevor das ganze Ensemble tumultartig in Aktion ausbricht.
Tanzrhythmen erscheinen und werden zerschmettert, zersplittert, verzerrt, deformiert, zusammengeworfen, auseinander gerissen. Sie wallen auf, schwellen, verringern sich, lösen sich auf, zerfallen, schmelzen, verschwinden.

Final Dance wurde 2002/2003 für das Klangforum Wien geschrieben und vom SWR für die Uraufführung bei den Donaueschinger Musiktagen in Auftrag gegeben. Es soll Bestandteil einer entstehenden Gruppe von Kompositionen sein, die den Titel trägt: The Sea coloured Black and Red.

Festivaljahrgänge
Donaueschinger Musiktage 2003
Themen in diesem Beitrag
James Clarke, Final Dance für Kammerensemble