Donaueschinger Musiktage 2000 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2000: "The State Paintings With Anti-Abstract"

Stand
Autor/in
Chris Newman
Übersetzung
Lydia Jeschke (aus dem Englischen)
Lydia Jeschke

I. Teil

Der Punkt ist, dass es für ein Kunstwerk nicht ausreicht, "wahr zu klingen" – das Werk muss einen wegführen von dem, was man schon kennt – es darf nicht bloß etwas sein, das man wiedererkennt: tatsächlich kann dieser Wiedererkennungseffekt einem großen Werk im Wege stehen, indem er einen nur zu den eigenen Emotionen zurückführt. Daran anknüpfend würde ich sagen, dass die direkte Umsetzung eigener Lebenserfahrungen im Kunstwerk irreführend ist – ich würde sagen, dass so etwas bloß Unordnung stiftet und von tieferer Wahrheit wegführt, während man lediglich im Reich der Selbstzufriedenen operiert. Man kann nicht einfach diese Dinge erzählen, als wäre eine größere Wahrheit in ihnen. Das Werk muss mit dem Stadium des bereits-einen-Schluß-gezogen-Habens verbunden sein. Der einzige Weg aber, der uns meiner Meinung nach zur Verfügung steht, um zu irgendwelchen Schlüssen zu kommen, ist derjenige über Assoziationen, das Zusammenbringen von zwei Dingen (die bereits in der Vorstellung existieren / die beide in der äußeren Welt vorkommen / von denen eines außen, eines in der Vorstellung existiert), um einen Gedanken zu bilden: die konkreteste Sache und diejenige, die Gott (als Quelle betrachtet) am nächsten kommt. Ein Künstler sollte "im Bilde sein" und nicht herumkriechen und das Beste hoffen.

II. Teil

Um sich selbst zu verwirklichen, bilden Menschen Beziehungen zu anderen – Liebe ist die höchste Form der Selbstverwirklichung -; Beziehungen an sich sind die am wenigsten abstrakten aller menschlichen Bestrebungen, weniger abstrakt als der körperliche Teil des Daseins. Dies würde bedeuten, dass Beziehung und Kunst viel gemeinsam haben, dass Kunst eine Art konkretisierte Beziehungsform ist – nicht eine Beziehung, sondern die Sache selbst.

III. Teil

Ein Auto ist abstrakt, weil es mit der Abstraktion unseres Lebens verbunden ist. Alles, was wir tun, abgesehen von Kunst, ist "funktional". Alles, was "funktional" ist, ist mit der Abstraktion unseres Lebens verbunden. Wir nehmen ein Material "in Gebrauch" und machen daraus etwas anderes außerhalb unserer selbst. Der Stahl, der zur Produktion eines Autos benutzt wird, ist nicht länger Stahl, er ist die Karosserie eines Autos. Dieser Stahl ist das Produkt unseres Verstandes. Abstrahierter Stahl, wenn man so will. Natürlich nimmt auch Kunst Materialien in Gebrauch, aber sie macht daraus etwas, das uns von der Abstraktion, die für die Produktion notwendig war, zurückführt. Das uns zurückführt zum Gedanken, indem die Abstraktion der Materialien einen notwendigen Zwischenschritt bildet, um die Gedanken weiter zu bringen als unser Verstand allein es vermocht hätte, und um dann auf uns und andere zurückzustrahlen, um unseren Verstand zurechtzurücken. Kunst ist dazu da, unseren Verstand zurechtzurücken.

IV. Teil

Es ist meiner Meinung nach offensichtlich, dass die Differenz zwischen dem Ding selbst und jemandes Wahrnehmung des Dings im Akt der Wahrnehmung liegt, der abhängig vom Wahrnehmenden variiert, aber grundsätzlich dasselbe Phänomen bleibt. Gleichwohl bleibt die Frage, wie dies in künstlerischen Begriffen dargestellt werden kann. In bezug auf meine niedergeschriebenen Improvisationen geht es darum, dass das Niederschreiben jener Aufnahmen keine Bearbeitung ist wie die Niederschrift eines komponierten Stückes, sondern vielmehr die Notwendigkeit, überhaupt etwas zu schreiben. Es ist keine Bearbeitung. Das heißt, dass, bezogen auf Anti-Abstrakt, unbearbeitetes Material, das mich als Quelle nutzt, mit bearbeitetem Material kombiniert wird, das jemand anderen als Quelle verwendet. Mich mit meiner Wahrnehmung von jemand anderem. Das, was ich an mir selbst verachte, kombiniert mit dem, was ich liebe in meiner Wahrnehmung von jemand anderem. Zu versuchen, sich selbst niederzuschreiben, steht für unbearbeitetes "Quellen"-Material. Zu versuchen, jemand anderen niederzuschreiben für bearbeitetes Material, weil es immer "durch" einen selbst geschieht. Eines durch das andere zu führen, könnte den Effekt haben, dass das Material verschwindet.

V. Teil

Über ein spezifisches Verhältnis zu sprechen, mit künstlerischen Mitteln ein Modell dafür zu entwerfen: es ist eine Frage der Kombination des Quellenmaterials, des spezifischen, mit der verallgemeinerten Form des Verhältnisses an sich. Sie löst das Quellenmaterial auf und macht daraus ein Verhältnis, eine Beziehung, und das Material macht die verallgemeinerte Beziehung spezifisch.