Donaueschinger Musiktage 2006 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2006: "Piano Concerto No. 2 - Part 2"

Stand
Autor/in
Chris Newman
Übersetzung
Lydia Jeschke (aus dem Englischen)
Lydia Jeschke

"Und hier wird dieselbe Transformations-'Technik' zweimal simultan angewandt, um bereits existierendes Material zu transformieren und um seine Charakteristika zur Produktion von 'ursprünglichem' Material zu nutzen."

Wenn man das zuerst Genannte betrachtet, das (aus der "Vergangenheit") neu aufgestellt wird (sich selbst vis-à-vis), um eine neue Art von Syntax zu formen, so dass gleichzeitig wahrnehmbar wird, wo es war (bezogen auf das Material) und wo es ist, dann bietet es ein set-up für eine damals/jetzt-Situation, eine Art fest gefügte Position zur Zeit, die Tonalität in nicht-Tonalität (im Gegensatz zu Atonalität) überführt. Das Modell für das "Kombinierende", wie es uns das Klavier dieses Stückes auftischt, hat mit einem klaren Referenzpunkt zu tun ("wir wissen, wo wir sind") – einem referentiellen Referenzpunkt -, so dass Anfangs- und Endpunkt simultan erscheinen, während jede Hand des Klaviers die obere bzw. untere Hälfte von zwei vorab (230 Jahre zuvor) komponierten Stücken spielt. Es scheint, als ob jede Hälfte beschlagnahmt und durch etwas ersetzt wurde, das die übrig gebliebene Hälfte benötigt, um zu existieren, sinnvoll zu sein, wobei das einzige Problem ist, dass sie für ihre Begriffe keinen Sinn macht. Jede Hälfte wird vertikal fortgeführt (durch die andere Hälfte hindurch), aber auf einer anderen Ebene – doch dies ist die Fortführung.

Dieses "lächerliche" set-up ist ein Weg, Bedeutung "auszutreiben" (man muss Aspekte des Materials in extreme Situationen hinein rekontextualisieren, um die Bedeutung aus dem set-up hinaus zu pressen). So können sie (die beiden Hände) nicht miteinander auskommen, brauchen einander aber trotzdem für ihr eigenes Herzblut (ihre Existenz). Eine "unmögliche" gegenseitige Abhängigkeit ist es, die diese "kombinierende" Technik verdeutlicht. Natürlich interessiert mich hier die "Nahtstelle" zwischen den beiden Händen, das Scharnier; tatsächlich wird der ganze Klavierpart eine "Nahtstelle", und das Material wird in eine Nahtstelle verwandelt, eine Beziehung; das ursprüngliche Material ist nichts in sich selbst, lediglich ein Prätext. Mein Interesse gilt eher dem Phänomen – weniger dem, was wahrgenommen wird, als dem Akt der Wahrnehmung selbst; die Nahtstelle in diesem Klavierpart wird die Nahtstelle im Akt der Erinnerung oder die Nahtstelle im Akt der Wahrnehmung.

Die sich daraus ergebende Dissonanz ist eher eine zufällige (objektive) Dissonanz als eine bezeichnende (subjektive). So kommt ein Modell einer Beziehung zustande, das "äußeres" Material "verinnerlicht".

Es mag aufgefallen sein, dass ich (abgesehen vom einleitenden Streifzug) nur über den Klavierpart schwadroniert habe, aber da dieser einen referentiellen Referenzpunkt hat, hielt ich es für besser, mit der "bekannten Größe" zu beginnen, auch, wenn sie auf subversive Weise bereitgestellt und verwendet wird. Und an dieser Stelle sollte ich auch anfügen, dass ich passende Stücke aus der Vergangenheit nur "stehlen" würde, weil sie diesen referentiellen Referenzpunkt liefern, und dass es sich um Stücke handelt, denen ich mich persönlich besonders nahe fühle und dass es Stücke sind, die es in sich tragen, für mich "zu arbeiten" – es braucht oft recht viel Zeit, das richtige präkomponierte Material zu finden, das den Job erledigt, aber nicht durch sein Auftauchen im Wege steht.

Jetzt bin ich erschöpft, was das Schreiben über den Klavierpart angeht. Ich werde meine Aufmerksamkeit nun dem "Instrumental"-Part zuwenden, der, wie der Streifzug zu Beginn andeutete, sich genau derselben "Technik" verdankt, d.h. dem Verfahren, durch Repositionierung von Material diese "Nahtstellen" von phänomenologischer Bedeutung zu erreichen, in diesem speziellen Fall: die "kombinierenden". Es hat mich schon lange interessiert, wie es sein würde, wenn die "Technik" selbst für mich "komponieren", d.h. Material produzieren würde, aber ich hatte nicht die Mittel, sie dazu zu bringen. Dann, eines Morgens im Bett, kam mir zu Bewusstsein, dass in Zahlen übersetzt werden könnte, wie diese Transformationstechniken arbeiten. Zahlen, die rein referentiell und keine Mengenangaben sein würden. Dass dasjenige, das eine transformatorische Rolle spielt – in der Art, wie die Wahrnehmung oder die Erinnerung als situative Phänomene eine transformatorische Rolle spielen – nun nach eigenen Maßgaben Material produzieren könnte, was nicht seine Natur als Transformer offenbaren würde, sondern seine Form. Die Form eines Transformers. Es ist so, als ob genau das Ding, das das Scharnier zustande bringt, die Nahtstelle, die "Beziehung", das Dazwischen, das konkreteste von allen, etwas Pseudo-Konkretes erschaffen könnte, einen Lückenfüller, Material der Außenwelt, Stellvertreter für seine eigene Bedeutung; ein bisschen, wie wenn der Arzt im Urlaub ist und man einen Vertretungs-Arzt hat. Es gibt Material in die Außenwelt zurück, indem es etwas benutzt, das mit der Verinnerlichung der Außenwelt zu tun hat; es aber zurück prallen lässt, bevor es sein Ziel – das Innere – erreicht. Sagen wir, dass die "Technik" ihre eigene Abstraktheit ausweidet. Sie definiert einen Bereich von Dazwischen, indem sie ihn konkretisiert, genau wie das Scharnier im Klavierpart ein Dazwischen ist. Dies sind die Vorgänge, wie Menschengemachtes gemacht wird.

Ich habe "entladen", was die zwei simultanen Elemente des Piano Concerto No. 2, Part 2 betrifft, und was mich hier interessiert, ist der Kontext, den sie zusammen schaffen, indem sie sich aus derselben Quelle speisen, sie aber in verschiedene Richtungen verfolgen: Das Innen und Außen des Phänomens Beziehung. Das Organische und Selbstreproduzierende, das Synthetische und das Rostende, natürliche Natur und menschengemachte Natur, und das Interessante ist für uns, dass die menschengemachte Natur in dieser Welt realer erscheint als die natürliche Welt; ein Gebäude scheint "realer" als ein Baum. Und in meinem Konzert – welcher Teil scheint dir, dem Menschen, realer zu sein? Der Vogel oder das Flugzeug, die denselben Himmel teilen? Natürlich kann ein Flugzeug einen Vogel töten (oder mehrere), aber Vögel reproduzieren sich selbst, was Flugzeugen bislang nicht gelungen ist. Auch zerstören Flugzeuge die Erde, und Vögel ernähren sie – glaubst du, mein Instrumentalpart könnte schädlich sein für die Erde? Nein – es ist nur eine künstlerische Anstrengung – und das Medium Musik hat die Angewohnheit, alles, was man ihm gibt, miteinander zu verschmelzen.

Und natürlich könnte jemand anmerken: Solltest du nicht auf die Natur der beiden verschiedenen Ensembles achten und sie einander gegenübersetzen? In Anbetracht dieser guten Ensembles, weißt du, wollte ich keine historische Dichotomie. Ich wollte sie aneinander "lehnen" und sie so behandeln, als ob sie dasselbe wären (was sie nicht sind), aber das bedeutet, ihnen dieselben Chancen zu geben. Ich wollte, dass sie ko-existieren, wollte sie in ihrem Zugang zu meinem "Material" gleich behandeln, sie aneinander lehnen, statt sie zu vermischen, so dass sie, obwohl sie beide am Selben teilhaben, es verschieden definieren (auch durch ihre Stimmung und Aufführungspraxis), dasselbe aus zwei "zeitgenössischen" Kulturen (da die barocke für uns genauso zeitgenössisch ist wie die zeitgenössische).