Womit kann man seine Eltern heute noch schocken? Mit Rockmusik sicher nicht, denn die hat ihre revolutionäre Attitüde schon lange verloren. Da ist die Neue Musik doch eigentlich spannender, könnte man meinen. Erst recht wenn sie, wie bei Stefan Prins, mit Spielkonsolen gesteuert zur multimedialen Performance wird. Oder wenn ein junger Komponist wie Johannes Kreidler aus Protest mal eben zwei klassische Instrumente auseinander nimmt. Wie cool, wie angesagt ist zeitgenössische Musik bei jungen Leuten heute? Jan Lehmann hat sich in Donaueschingen mal umgehört.
Wuschelhaare, Sonnenbrille, Turnschuhe – für Leute wie Jakob Bauer ist Donaueschingen lässig. Und spannend zugleich:
"Was musikalisch passiert, kann es das Spannendste sein, was zurzeit als Kunst passiert. Dadurch dass sich die Gesellschaft weiter entwickelt muss sich auch die Ästhetik weiter entwickeln; und das passiert primär in der zeitgenössischen Musik. Das wird dann auch von der Popmusik adaptiert – manchmal auch andersherum. Aber deshalb fühle ich mich da am besten aufgehoben."
Sagt der 21-Jährige und zieht noch mal an der selbstgedrehten Zigarette. Gleich geht es los, im Bartók-Saal der Donauhallen spielt das belgische Nadar-Ensemble. Jakob ist voller Vorfreude, wie vor einem Popkonzert.
"Also das Nadar-Ensemble ist ein sehr junges Ensemble, die allein schon cool sind, wenn sie spielen. Und ja, es kann richtig durchschütteln, man hat Spaß und es kann wirklich total cool sein."
Der Marburger Student ist einer von über hundert Teilnehmern des Workshops "Next Generation", ein Begleitprogramm zu den Donaueschinger Musiktagen. Musikstudierende und Nachwuchskomponisten aus ganz Europa treffen sich hier, um sich mit Fragen zeitgenössischer Musik auseinanderzusetzen. Auch ganz praktisch:
"Also der Workshop, in dem ich war, war ziemlich anregend, weil wir praktisch kreativ werden durften, mit elektronischen Geräten, Instrumenten rumspielen, experimentieren durften, kleine Stücke entwickelt haben – alles in vier Stunden – das hat auf jeden Fall was gebracht."
Erzählt Friedemann Dupelius, Medienkunststudent aus Karlsruhe. Der Einsatz von Computern, die Vermischung von digitalen und analogen Sounds – das Thema der diesjährigen Musiktage – interessiert die Studierenden noch einmal besonders:
"Was mich dran reizt ist eigentlich die elektronische Komponente, wie man die mit alten, klassischen Instrumenten verbindet und was daraus, aus dieser Fusion, Neues entstehen kann. – Ich bin nicht so der Laptop-Typ, aber ich find’s doch interessant zu sehen, was da im Moment geschrieben wird."
Und auch von Wem. In Workshops und Gesprächen trafen die Studenten im Vorfeld auf Komponisten wie Helmut Oehring, Arnulf Herrmann und Martin Smolka, deren Werke sie später bei den Konzerten live erlebten. Für viele eine spannende Begegnung. Längst nicht alle jungen Festivalbesucher sind in der Neuen Musik wirklich zu Hause. Viele studieren klassische Instrumente oder Musikwissenschaften und sind ganz einfach neugierig auf eine Musik, die die Endlosschleife des immer Gleichen, Erwartbaren durchbricht.
"Faszinierend ist vor allem, dass ich in ein Konzert gehen kann und noch nie das Stück gehört hab. Dass ich keinerlei Vorurteile hab und mich einfach so drauf einlassen kann, was gerade so geschrieben wurde. – Da wird man einfach von jeder Sekunde auf die andere überrascht, was kommt. Nicht nur mit Tonarten, sondern auch mit Klängen, Tonarten, etc. Und das ist richtig interessant. Also ich hab jetzt richtig Angst, dass ich gelangweilt werde, von meinem Orchester, wenn ich heimkomme."
Ist Neue Musik also tatsächlich cool und hipp für junge Leute, weil hier noch wirklich etwas Neues passiert? Nein, sagt Anne Holzmüller, Musikwissenschaft-Dozentin aus Freiburg, eher nicht. Zeitgenössische Musik werde nicht mal an den Hochschulen richtig wahrgenommen, klagt sie, und hat deshalb eine fächerübergreifende Exkursion für Studenten nach Donaueschingen organisiert. Allerdings, so glaubt sie, könnten die stärker konzeptuellen, multimedialen Arbeiten jüngerer Komponisten die Tür gerade für junge Leute ein Stück weiter öffnen.
"Ich kann mir vorstellen, dass das was Johannes Kreidler oder Stefan Prins machen, ein bisschen mehr in diese Richtung geht. Dass Verbreitungsmedien wie YouTube oder Vimeo dazu führen, dass man eine größere Zielgruppe anspricht und natürlich auch irgendwie andere Wahrnehmungsbereiche und damit vielleicht auch ein bisschen eine größere Breitenwirkung bekommt. Ob das deswegen cool ist, weiß ich aber nicht."
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