Donaueschinger Musiktage 1999 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 1999: "As I Crossed a Bridge of Dreams"

Stand
Autor/in
Peter Eötvös
Armin Köhler

Armin Köhler:
Vorlage deiner szenischen Musik "As I Crossed a Bridge of Dreams" ist eine Sammlung von Erinnerungen einer anonymen japanischen Frau aus dem 11. Jahrhundert, die später als Lady Sarashina bekannt wurde. Warum hast du gerade dieses Buch als Vorlage gewählt, was reizt dich als Musiker an dieser Vorlage?

Peter Eötvös
Peter Eötvös

Peter Eötvös:
Ich muss dich korrigieren. Sie heißt nicht Lady Sarashina, sondern sie wird nur so genannt; der Name der anonymen Schreiberin ist nach wie vor unbekannt.

Ausgangspunkt für das Projekt war der Wunsch Michael Svobodas nach einem Concerto für Posaune und Orchester. Da ich an dieser Gattung nicht sonderlich interessiert bin, schlug ich ihm stattdessen ein szenisches Projekt vor, bei dem er eine zentrale solistische "Rolle" spielen sollte. Auf der Suche nach dem geeigneten Stoff stieß ich auf Anregung des Chefdramaturgen des Düsseldorfer Opernhauses, Timothy Coleman, auf dieses Buch. Schnell stellte sich heraus, dass es genau das war, was ich suchte. Zum einen, weil es in einer englischen Fassung vorliegt, die mir für den Amerikaner Svoboda geeignet erschien. Und zum anderen, weil sich darin Realität, Traum und unheimliche Ereignisse ständig durchdringen und auf so eigentümliche Weise mischen, dass sie meinen Vorstellungen für einen szenisch-musikalischen Entwurf kongenial entsprechen. Selbst das, was bei Lady Sarashina als Wirklichkeit erscheint, ist keine Realität. Ihr Problem war, dass sie permanent geträumt hat. Ihre Erzählung, gewissermaßen ein Tagebuch, legt offen, daß sie einen Tagtraum lebte und so zwischen Traum und Realität gar nicht mehr zu unterscheiden vermochte. Diese Mischung war genau die richtige Basis für meine "Traumklänge", die die Grundlage der musikalischen Konzeption von As I Crossed a Bridge of Dreams bilden.

Köhler:
Du hast nur sieben Teile aus dem Buch ausgewählt. Nach welchen Kriterien bist du bei der Auswahl vorgegangen?

Eötvös:
Gemeinsam mit meiner Frau habe ich jene Teile ausgewählt, die eine Aktion oder ein Ereignis so klar vermitteln, dass dieses dem Hörer trotz der starken Komprimierung und der poetischen Verfremdung präsent wird. Es handelt sich um sehr kurze Geschichten, die in mir Bilder freisetzen, welche zugleich eine visuelle wie auch eine klingende Seite haben: der Traum mit der Katze beispielsweise oder die erste Begegnung mit einem Mann, einem geheimnisvollen Edelmann. Ganz typisch für das von mir gewählte einfache Prinzip der Kongruenz zwischen Bild- und Klangwelt in diesem Stück ist jener Teil, in dem eine Nacht vom Mondaufgang bis zum Sonnenaufgang beschrieben wird. Gerade dieser Abschnitt hat mich zugleich visuell wie auch klanglich angesprochen und mich auf die Idee gebracht, ein Sousaphon in das Ensemble zu integrieren, dessen großer Schalltrichter mit einer Lampe versehen die Assoziation eines wandelnden Mondes hervorruft.

Köhler:
Ich hatte ja das Glück, die Entstehung verfolgen zu dürfen. Innerhalb von zwei Jahren hast du die Untertitel mehrfach geändert. Anfänglich hieß es "Musiktheater", später "Szenische Musik" und "Monodrama". Vielleicht heißt es am Schluss auch noch ganz anders. Wie auch immer, diese Wandlungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass sich das Stück einer eindeutigen Zuordnung zu einer Gattung zu entziehen scheint.

Eötvös:
Die Klangwelt dieses Stücks vereint in sich einige typische Gattungen und Formen dieses Jahrhunderts: radiophonisches Hörspiel, die Geräuschspuren von Zeichentrickfilmen, also Soundtracks von Cartoons, elektronische Klangtransformationen, Raumklang, Akustische Kunst sowie Film- und Theatermusik. Diese kombinierte ich mit sehr einfachen visuellen Elementen, die dazu beitragen sollen, die komplexen musikalischen Vorgänge leichter einzuordnen. Ich würde es heute "Klangtheater" nennen oder aber in einem engeren Sinne von einem visualisierten, live aufgeführten Hörspiel sprechen. Nicht nur der Text, sondern auch die ästhetischen Prinzipien kommen aus dem alten Japan. Vor diesem Hintergrund ist eines meiner elementaren Anliegen zu sehen: während ich für die Augen die Stille darstellen möchte, bringe ich für die Ohren das Unsichtbare zum Klingen.

Köhler:
Musik zum Sehen, Bilder zum Hören. Beide Wahrnehmungsformen bewegen sich mithin jeweils an ihren ausfransenden Rändern. Die Musik wird überwiegend sehr zurückhaltend sein, sehr kontemplativ, etwas melancholisch (?), und die Bilder werden mehr oder weniger nur angedeutet. Bei allen dramaturgischen und visuellen Ausgangspunkten wird aber eines offenkundig, wenn du das Stück beschreibst: du denkst zu allererst und nahezu ausschließlich musikalisch, und auch die Dramaturgie ist letztendlich rein vom Klang geprägt.

Eötvös:
Genauso ist es. Ausgangspunkt aller meiner Vorstellungen ist der Klang. Deshalb habe ich auch diese spezielle instrumentale und vokale Besetzung gewählt. Da haben wir zunächst einmal einige Solo-Instrumente, eine Altposaune zum Beispiel. Eigentlich wollte ich die Solo-Posaune mit anderen Posaunen kombinieren, die wie ein Schatten im Hintergrund der Bühne stehen beziehungsweise die Funktion haben, eine Vergrößerung des Solo-Instruments darzustellen. Eine vergrößerte Alt-Posaune ist aber zu allererst eine Kontrabassposaune – mit ihren drei Meter Länge bei ausgezogenem Zug ein imposantes Bild. Die Kontrabassposaune gewissermaßen als Verdopplung, Vergrößerung und Schatten der Altposaune.

Derartige Verdopplungen und Vergrößerungen sind ein zentrales dramaturgisches Moment von As I Crossed a Bridge of Dreams.

Gerade bei und mit den beiden Posaunen habe ich dieses Prinzip auf die Spitze getrieben. Denn Gérard Buquet hat seine Kontrabassposaune mit einem Doppeltrichter versehen – ein Trichter nach vorn, wie wir es kennen, und einen nach hinten, umschaltbar mit einem Ventil, so dass der Klang nach zwei Seiten gelenkt werden kann. Daraufhin hat auch Micheal Svoboda sein Instrument um einen zweiten Trichter erweitert. Und schon habe ich, wieder auf sehr einfache Weise, einen "doppelten Schatten", denn jedes der beiden solistischen Instrumente kann über den rückwärtsgerichteten Trichter einen eigenen Klang-Schatten erzeugen, der im übrigen über einen Harmonizer elektronisch transformiert und moduliert wird.

Andere merkwürdige Besetzungen sind die unsichtbaren Spieler auf der BühnEötvös: drei Violinen, zwei Violen, zwei Celli und zwei Kontrabässe, die die volle Breite der Bühne einnehmen und auf diese Weise ein sehr leises Klangdekor bilden.

Im Zuschauerraum finden sich drei elektronisch unverstärkte Klarinetten: links, rechts und hinter dem Publikum. Sie haben die Funktion, einen kontinuierlichen nicht modulierten Klangkreis im Raum zu bilden, der das Publikum umschließt. Über diesem Kreis hängen zwölf Lautsprecher, die die anderen Klangquellen abbilden. Ich teile also den Raum in einen natürlichen Klangkreis und in eine über diesem Kreis hängende Lautsprecherinstallation. Diese Laut-Sprecher müßte ich eigentlich Leise-Sprecher nennen, denn aus ihnen kommen ausschließlich extrem leise KlängEötvös: sehr nah aufgenommene Klänge des Schlagzeugs oder die leise gesprochenen Texte von den drei Sprechern sowie jene der Rezitatorin – eine Rolle, die in Donaueschingen Claire Blum übernommen hat, eine berühmte Shakespeare-Schauspielerin, die u.a mit Laurence Olivier und Charlie Chaplin zusammengearbeitet hat. Während letztere aus allen Lautsprechern gleichmäßig verteilt erklingt, werden die Klänge der Sprecher und des Schlagzeugs im Raum bewegt.

Am Schluss findet sich dann noch ein für dieses Stück typisches klanglich-visuelles Ereignis: das Computerklavier, das ohne Spieler spielt. Der Hintergrund dieser Szene ist der Auftritt eines Edelmanns am Hofe, in den sich Lady Sarashina verliebt. Weil er später nie wieder an den Hof zurückkehrte, sollte diese Begegnung zwischen den beiden die einzige bleiben. Nur einmal hatte sie das Gefühl, er sei wieder da und sie seien sich nochmals begegnet. Aber auch hier offenbart sich wieder die Ambivalenz von Wirklichkeit und Fiktion. Diese "Fast-Begegnung", diese doppelsinnige Situation, wollte ich mit dem Selbstspielklavier in den letzten beiden Szenen umschreiben. Wir sehen die sich bewegenden Tasten, als würde dort jemand sitzen und spielen – wir hören Klänge, obwohl gar niemand spielt.

Köhler:
Diese Lady Sarashina – was ist das für eine Frau? Thea Brejzek, die Regiseurin in Donaueschingen, spricht von einer dem Mythos Melancholie verfallen Frau, die in eben diesem Mythos Tröstung sucht. Wie siehst du sie als Musiker?

Eötvös:
Ich sehe sie als ein immerlebendes Wesen. Für mich ist sie nicht eine eintausend Jahre alte Frau, sondern eine Frau von heute, die auch vor tausend Jahren gelebt hat. Das Verblüffendeste an diesem Buch war für mich, wie selbstverständlich gegenwärtig Sarashina uns heute ist.

Stand
Autor/in
Peter Eötvös
Armin Köhler