Eine Person dreht den Türknauf, ein dunkel schimmernder Akkord klingt aus, die Tür schwingt leise auf, und zögernd wird das Treppenhaus betreten. Wir hören das Knistern des Filmtones und leise Schritte auf dem Flur, bevor die Tür wieder ins Schloss fällt. Dazwischen nichts zu hören. Oder war da noch etwas im Rauschen des Raumes verborgen?
Kurze Audioausschnitte aus Filmen, TV-Werbung, Studioaufnahmen und Field Recordings bilden die Grundlage des Hörstücks Interstitial Spaces. Fokus bei der Auswahl des Materials lag dabei auf Zeiträumen zwischen den "eigentlichen" Ereignissen: das "Noch-Nicht" oder "Nicht-Mehr"; die Ränder der Musik; ein letzter Nachklang, der im Raum verhallt; das Einatmen, bevor der erste Ton erklingt; die Nachdenkpausen, das Zögern, die Stille, die während der Suche nach den richtigen Worten entsteht. Eine Lücke also, ein Mangel, der schnell behoben werden sollte, oder ein Zwischenraum, in dem wir verweilen können? Die musikalische Pause ist so ein Ort. Ein Ort an dem scheinbar nichts passiert. Hören wir also in die Stille, zoomen wir in das Rauschen. Was entdecken wir dort?
Die klingende Vielheit eines Orchesters, das sich einstimmt; eine Bahnhofshalle, in der die Klänge von hunderten Menschen und Gerätschaften vibrieren; können wir in dieser Vielheit einzelne akustische Ereignisse heraushören, die unser Interesse wecken, die uns auf eine Fährte führen? Das scheinbar Nebensächliche rückt hier in den Vordergrund. Räume zwischen Anwesenheit und Abwesenheit werden akustisch erkundet, und es wird in die scheinbare Stille hineingeleuchtet. Verschiedene Schattierungen von Rauschen entstehen, und verborgene, ansonsten oftmals überhörte Klänge tauchen daraus auf, werden zu neuen Ankerpunkten des Geschehens.
Interstitial Spaces beginnt mit einer der ersten Tonaufnahmen überhaupt, in der im Rauschen des Phonographen versteckt kaum verständlich Johannes Brahms angekündigt wird, und darauf ein kurzer Ausschnitt seines eigenen Klavierspiels zu hören ist. Wir bewegen uns im Laufe des Stückes durch unterschiedliche akustische Räume. Da - zwischen das Geräusch von sich öffnenden und schließenden Türen, Telefone, die abgehoben werden, Verbindungen werden hergestellt und wieder getrennt. Es entsteht Kommunikation quer zu Raum und Zeit und über die Grenzen von Sprache und Musik hinweg.
Ein Komponist bespricht sich mit einem Dirigenten, während sich das Orchester einstimmt; Sprachfetzen, die aus dem Gewirr der Instrumente und Unterhaltungen auftauchen und wieder verschwinden.
Aus den Fenstern der umliegenden Wohnungen strömen Klänge in einen Hinterhof in New York. Hier die scheppernden Geräusche von Geschirr, dort eine Streiterei, hier Radio, dort Klavierspiel. All diese Klänge machen es uns unmöglich, einer Unterhaltung im Hof zu folgen, die scheinbar im Vordergrund steht. Es bleiben uns nur einzelne Wortfetzen und Silben. Aus der Entfernung Straßenlärm.
Wir hören Rauschen. Ein leerer Raum? Hier ein Atmen, ganz nah; die Klänge einer Hand, wie sie in einem Buch blättert und sachte über eine Seite streicht.
All diese Ereignisse haben etwas gemeinsam: Die "Signal to Noise Ratio" ist in der Schwebe, und Hierarchien sind ungeklärt. Es stellt sich die Frage, was denn nun "wertvolle" Information sei – was ist hier das "Nützliche" und was das Störsignal, was im Vordergrund und was im Hintergrund? Wo legen wir den Fokus hin? Was ist das Wesentliche, um einer Handlung folgen zu können? Müssen wir orientiert sein? In Interstitial Spaces gibt es keinen eindeutigen Plot, keinen roten Faden aber eine Menge von Spuren, denen man frei assoziierend im Hören folgen kann.
English
A person turns the doorknob, a dark shimmering chord fades out, the door swings open quietly, and hesitantly the stairwell is entered. We hear the crackling of the film sound and soft footsteps in the hallway before the door slams shut again. In between, nothing can be heard. Or was there something else hidden in the noise of the room?
Short audio excerpts from films, TV commercials, studio and field recordings form the basis of the audio piece Interstitial Spaces. The focus in the selection of the material was on periods of time between the "actual" events: the "not yet" or "no more"; the edges of the music; a last reverberation that fades into space; the inhalation before the first note sounds; the pauses for reflection, the hesitation, the silence that arises during the search for the right words. A gap, a lack that should be quickly remedied, or an in-between space in which we can linger? The musical pause is such a place. A place where seemingly nothing happens. So let's listen to the silence, let's zoom into the noise. What do we discover there?
The sonorous multitude of an orchestra tuning, a train station concourse vibrating with the sounds of hundreds of people and pieces of equipment – can we pick out individual acoustic events in this multitude that arouse our interest, that lead us on a trail? The seemingly incidental comes to the fore here. Spaces between presence and absence are explored acoustically, and there is a spotlight on apparent silence. Various shades of noise emerge, and hidden sounds, otherwise often overheard, emanate from it, becoming new anchor points of the event.
Interstitial Spaces begins with one of the very first sound recordings, in which Johannes Brahms is announced, barely intelligible, hidden in the noise of the phonograph, and a short excerpt of his own piano playing can be heard thereafter. We move through different acoustic spaces in the course of the piece. And in between, the sound of doors opening and closing, telephones being picked up, connections being made and broken again. Communication emerges across space and time, across the boundaries of language and music.
A composer conferring with a conductor while the orchestra tunes; snatches of speech emerging and disappearing from the tangle of instruments and conversations. Sounds stream from the windows of the surrounding apartments into a backyard in New York. Here the clattering sounds of dishes, there an argument, here radio, there piano playing. All these sounds make it impossible for us to follow what seems to be a conversation in the courtyard. We are left with only individual scraps of words and syllables. From a distance, street noise.
We hear rustling. An empty room? Here breathing, very close; the sounds of a hand turning the pages of a book and gently stroking a page.
All these events have something in common: the "signal to noise ratio" is in limbo, and hierarchies are unresolved. The question arises as to what is "valuable" information – what is "useful" and what is noise, what is in the foreground and what is in the background? Where do we put the focus? What is essential to be able to follow an action? Do we need to be oriented? In Interstitial Spaces there is no clear plot, no main thread, rather a multitude of traces which can be followed in a free associative way while listening.
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- Themen in diesem Beitrag
- Akustische Spielformen, Martin Brandlmayr, Interstitial Spaces. Ein Hörstück
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