Als "Hotel zur Ewigen Lampe" bezeichneten ehemalige Gefangene der zentralen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen den Zellentrakt im Keller des Gefängnisses. In die Zellen drang niemals Tageslicht, dafür aber brannte in ihnen ununterbrochen elektrisches Licht. Verhören und Verhörtwerden, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, Kommunikation und/als Gewalt, die Macht der Sprache und die Sprache der Macht: Das sind die Themenhorizonte der etwa dreißigminütigen Sprechplastik Hotel zur Ewigen Lampe. Das Stück für einen Sprecher-Chor, zwei Musiker und eine Dirigentin entfaltet seinen Text anagrammatisch aus Zitaten von Erich Mielke, dessen Originalstimme in Wechselrede mit dem Chor tritt. Mit der ars combinatoria des Anagrammierens werden variierte Wiederholungen des "eingespeisten" Ausgangsmaterials und dementsprechend wandernde Sinnkonfigurationen erzeugt. Die Anagramme, chorisch gesetzt oder in Besetzungen für ein bis sieben Solisten, nehmen Mielkes Aussagen beim Buchstaben und fördern ihre verborgenen, von Mielke sicher nicht intendierten Sinnbezüge zutage. Methodisch freie, thematisch aber gebundene "Dialoge" als Frage- und Antwortspiele und instrumentale bzw. elektronische Sequenzen bilden die Interludien der anagrammatischen Texturen.
Erich Mielke liebte Jagdlieder, denen er ausdrucksstark seine Stimme lieh. Die anagrammatische Performanz der vertauschenden Bewegung und die Stimmen bewegende Vertauschung ist per se musikalisch. Den Prinzipien des Anagrammierens, Permutierens und Akkumulierens folgen auch die instrumentalen und elektronischen Parts des Stückes. In ihnen werden die vokalen Anteile transphonatorisch verarbeitet, live gesampelt und prozessiert, instrumental begleitet, rhythmisch punktiert, in den Modus "Erkennen-Sie-die-Melodie" versetzt. Das von Gunnar Geisse für das Stück entwickelte transphonatorische Meta-Instrument übersetzt mit Hilfe spektralanalytischer Information Sprache oder anderes auditives Material in Musik. Es ist in der Lage, in verschiedenste Instrumente und Besetzungen in Echtzeit zu "transphonieren", wie Geisse es nennt. Mit dem Einsatz dieses Instruments geht für mich ein alter Traum in Erfüllung: Es ermöglicht die rhythmische und melodische Amalgamierung von Musik und Sprache.
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- Michael Lentz, Hotel zur ewigen Lampe Eine Sprechplastik
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