Donaueschinger Musiktage 2014 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2014: "Nacht"

Stand
Autor/in
Friedrich Cerha

Die Sprache ist ein Kommunikationsmittel, mit dem man sich seit geraumer Weile über alle Idiome aller Kunstgattungen verständigt. Man tut so, als seien diese beliebig transponierbar, als ob derartige Übersetzungsversuche überhaupt ein legitimes, zulässiges Unterfangen wären. Damit wurde die Literatur über Musik zu einem autonomen Bereich des Kunstbetriebs, der seine eigenen Kriterien, Experten, Moden und Meinungsmacher kennt. Dass man dem Gesprochenen, Geschriebenen vielfach mehr Vertrauen schenkt als dem eigenen Erleben, ist nicht aufs Musikalische beschränkt; "Lecture on heaven" wird aber trotz erheblicher gesellschaftlicher Veränderungen seit 1968 in Bezug auf Neue Musik noch erstaunlich oft dem Himmel vorgezogen.

Vom Komponisten wird erwartet, dass er sich als Mann der Literatur betätigt. Er soll Werkeinführungen verfassen, Aufsätze schreiben, Vorträge halten. Darin stehen dann musikalische Elemente im Vordergrund, die sich mit sprachlichen Mitteln gut darstellen lassen, oder – was häufiger der Fall ist – ideologisch und modisch gefärbte Aspekte, die für das Werk nicht unbedingt von entscheidender Bedeutung sind. Es wäre also durchaus Skepsis dem gegenüber angebracht, was Komponisten schreiben; in der Realität werden sie als Instanz in einem Gebiet betrachtet, in dem sie eigentlich dilettieren.

Ich mag es nicht, wenn man versucht, Kunst zu mystifizieren, wenn die ideologische Programmatik oder das Material und die Arbeitstechnik wichtiger werden als der lebendige Organismus des Werkes. Jede selbstsichtige Nabelschau enthält schiefe Perspektiven, jede Selbstdeutung, Selbsteinordnung oder Selbstbewertung ist in irgendeiner Hinsicht falsch. Ich bin einer, der Musik schreibt, Bilder malt und Steine behaut. Das heißt nicht, dass mir mein kritisches Bewusstsein abhanden gekommen ist und es bedeutet nicht, dass hinter meiner Arbeit nicht ein persönlicher Ausdruckswille, ein ausgeprägtes Ausdrucksbedürfnis steht. Wer sie kennt, weiß das. Selbstanalyse ist heilsam, aber Deutungsversuche überlässt man besser den Rezipienten, und die Kommentatoren urteilen auf ihre Verantwortung.

Wenn ich über meine Arbeit schreibe, dann eher um auf vorsichtige Weise das Stück für den Hörer zu charakterisieren. Zu diesem Werk: Ich arbeite gerne bei Nacht – manchmal bis zum Morgengrauen. In der Nacht habe ich die Vorstellung: die Zeit gehört mir, am Tage: ich gehöre der Zeit. Und in der Nacht verläuft die Zeit mitunter langsamer, – manchmal kann ich sie sogar stillstehen lassen. Und während am Tag die Klänge der Welt oft unbemerkt vorbeiziehen, ist die Aufmerksamkeit in der Stille der Nacht auf die wenigen, manchmal weit auseinanderliegenden geschärft und wir warten hellhörig auf das nächste: Den Wind in den Bäumen, das Rascheln des Laubes, das Knacken eines Astes, ein müder Vogelruf oder ein weit entferntes Auto.

Und da ist die Größe des Nachthimmels: Ich liebe es, im August die Sternschnuppen zu beobachten: kurze Leuchtpunkte von enormer Geschwindigkeit in der dunklen Unbewegtheit. In meiner Fantasie potenzieren sich diese Ereignisse: Myriaden von Sternschnuppen fallen in dichten Bahnen vom Himmel. Sie bilden rasch bewegte Vorhänge. Und diese "Vorhänge" gliedern mein Stück. Sie tauchen immer wieder auf, werden im Verlauf des Stückes immer langsamer, gewichtiger, kommen weniger von "oben", haben immer weniger Leuchtkraft. Dazwischen steht, was in nächtlichen Stunden für mich Klang geworden ist.

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Donaueschinger Musiktage 2014
Themen in diesem Beitrag
Friedrich Cerha, Nacht für Orchester
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Autor/in
Friedrich Cerha