Donaueschinger Musiktage 2001 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2001: Musikinstallation "Gehäuse"

Stand
Autor/in
Gerhard Eckel

Verstreute Anmerkungen zur Musikinstallation Gehäuse

Es sei vorausgeschickt, dass dieser Text vor Fertigstellung meiner Arbeit entstanden ist. Das liegt daran, dass ich mir in meiner Arbeit möglichst viele Möglichkeiten bis zum letzten Moment offen halte. So ist es auch bei der Installation im Gewölbekeller der Fürstlich-Fürstenbergischen Hofbibliothek. Die vier über einen kurzen Gang miteinander verbundenen Gewölberäume beschäftigen mich nun seit mehreren Monaten. Dennoch ist noch nicht entschieden, was letztlich dort erklingen wird. Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass ich alle wesentlichen Entscheidungen nur vor Ort treffen kann. Das wiederum hat mit meiner aktuellen Arbeitsweise zu tun. Ich versuche meine Installationen möglichst direkt aus der Raumsituation und meinen unmittelbaren Reaktionen darauf zu entwickeln. Im Bereich der Klangkunst ist das natürlich nichts ungewöhnliches. Wenn man diese Vorgangsweise jedoch ernst nimmt und sich der Situation, dem Kontext und den in diese hineingetragenen Ideen aussetzt, dann muss man auf alles gefasst sein. Vielleicht stellt sich heraus, dass der Raum – entgegen den ersten Eindrücken – überhaupt nicht für die geplante Arbeit geeignet ist. Vielleicht entdeckt man beim detaillierten Ausloten der Akustik ungeahnte Möglichkeiten und möchte diese – entgegen dem ursprünglichen Plan – aufgreifen. Diese Schwierigkeiten sind dabei nicht auf einen Mangel an Erfahrung zurückzuführen. Viel eher sind sie als Chance zu begreifen, den Horizont unserer Imagination durch das zufällige Eintreten des Unerwarteten zu erweitern. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, eine Situation zu schaffen, die einen produktiven Umgang mit dem Unerwarteten zulässt. Ich versuche daher für meine Arbeit ein Klima zu schaffen, das Zufälle oder Unfälle begünstigt und vorschnelle Entscheidungen erschwert. Dafür sind vor allem Zeit und Muße notwendig. Darüber hinaus sind geeignete Werkzeuge wichtig, um entsprechend reagieren zu können, also z.B. um mit dem Zufall zu spielen oder ein breites Spektrum von verschiedenen Situationen systematisch explorieren zu können.

Ich versuche in meinen Arbeiten, Klang, Raum, Zeit und Bewegung zu einer Einheit zu verbinden, mit dem Ziel, einen unverwechselbaren Ort hervorzubringen. Dabei spielen alle Aspekte des Kontextes eine wesentliche Rolle und so ist die Wahl des Raumes von zentraler Bedeutung. Im Falle der Hofbibliothek stand meine Entscheidung von dem Moment an fest, in dem ich den Gewölbekeller zum ersten Mal betrat. Die vier Gewölbe und der sie verbindende Gang, die symmetrische Anordnung, die Brechungen der Symmetrie, die Farben und Texturen des Bodens und der Wände, der Geruch, die Kühle und natürlich die charakteristische Akustik entsprachen genau der Art von Raum, die mir seit langem vorschwebte. Entsprechend gespannt war ich auf meine erste Arbeitswoche im Gewölbekeller im letzten Frühling. In den ersten Tagen habe ich mich mit den Eigenheiten der Akustik vertraut gemacht und nach einer Lautsprecheraufstellung gesucht. Einige Entscheidungen waren schon vorher gefallen und mussten auch nicht revidiert werden, wie z.B., dass jeweils vier Lautsprecher in jedem Raum am Boden liegen und an die Gewölbedecke strahlen würden. Diese Anordnung war im Konzept für die Raumkomposition angelegt und greift die Topographie des Gewölbekellers auf. Die genauen Positionen der Lautsprecher konnten jedoch nur experimentell ermittelt werden, da sie von der Form und Akustik der Räume sowie deren Reaktion auf mein Klangmaterial wesentlich abhängen. Nach drei Tagen des akustischen Ausleuchtens, des wiederholten Verschiebens, Hörens und Gehens stand dann die erste brauchbare Aufstellung fest. Diese diente in der Folge als Basis für eine systematische Exploration des vorbereiteten Klangmaterials in bezug auf seine Entfaltungsmöglichkeiten in der geschaffenen Raumsituation. Dabei ereigneten sich dann glücklicherweise mehrere produktive Unfälle, die mir neue Möglichkeiten mit der Akustik des Gewölbekellers zu arbeiten erschlossen haben. Im Laufe der Woche kristallisierten sich dabei zwei grundsätzlich verschiedene, aber ähnlich interessante Entwicklungslinien heraus, die ich in der Zwischenzeit im Studio ausgearbeitet habe. Die Entscheidung, welche der beiden Arbeiten bei den Musiktagen zu hören sein wird, werde ich aber voraussichtlich erst in der letzten Woche treffen – und zwar nachdem ich beide Arbeiten vor Ort einer Feinabstimmung unterzogen habe.

Beiden Arbeiten ist gemeinsam, dass sie in einem insgesamt etwa zweiwöchigen Dialog mit dem Gewölbekeller entstanden sind. Dabei kommt der Vor- und Nachbereitung dieses Dialogs der gleiche Stellenwert zu wie der Zeit vor Ort. Ziel beider Arbeiten ist es, das Publikum in Bewegung zu versetzten, indem eine Situation geschaffen wird, in der die Räume und die Lautsprecher zu einer Art begehbarem Instrument werden. In beiden Fällen wird die Musik erst in der Bewegung erfahrbar. Der Umstand, dass nur eine der beiden Arbeiten zu hören sein wird, macht für mich einen besondern Reiz der Installation aus. Im Moment habe ich das Gefühl, dass dennoch beide Arbeiten präsent sein werden.

Festivaljahrgänge
Donaueschinger Musiktage 2001
Themen in diesem Beitrag
Gerhard Eckel, Installation
Stand
Autor/in
Gerhard Eckel