Donaueschinger Musiktage 2017 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2017: "Lessons in Darkness"

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"Lessons in Darkness" von Eivind Buene. Uraufführung, Kompositionsauftrag des SWR und des Norske Komponistenfonds, im Rahmen von Campus Musikfabrik durch die Kunststiftung NRW gefördert.

Mit der Arbeit an diesem Stück begann ich im Winter 2017, einer Zeit mit wenig Optimismus. Der Winter im Norden bietet nur wenige Stunden Licht und lange Nächte, während derer man über die uns umgebende politische Finsternis ebenso nachdenken kann wie über die persönliche Dunkelheit, nachdem man zu vielen Beerdigungen im Laufe des Jahres beigewohnt hat. Der Titel spielt auf die barocke Tradition der Nachtgesänge aus den Klageliedern des Jeremias an. Es gibt keine Zitate oder Verweise. Die Aufmerksamkeit gilt denen, die uns in Finsternis unterrichtet haben: Alfred Deller, wenn er Couperin mit kaum erträglicher Zerbrechlichkeit singt, oder Céline, der geschrieben hat, dass wir nichts wissen über die wahre Geschichte der Menschheit; alles was wirklich von Interesse ist, findet in der Dunkelheit statt. Möglicherweise hat er recht. Wir sind nicht wirklich an der Finsternis interessiert, sondern daran was sie verbirgt. Das ist es, was uns ängstigt. Was ist es, was wir über uns selbst nicht wissen?

Musik hat sich schon immer mit dem Unbekannten beschäftigt. Das Komponieren notierter Musik als Suche nach Klang in der Stille berührt die Dunkelheit. Es ist ein Akt des Glaubens, der Utopie; Hoffnungen auf die Zukunft, die der Gegenwart eingeschrieben sind. In diesem Sinne beherbergt das Komponieren zugleich die Negation und die Bejahung. Selbst eine Musik der Verzweiflung bietet Anregungen durch den Ausdruck bloßer menschlicher Energie. Ein Ensemble ist ein Vorschlag zur Gemeinschaft: gemeinsame Handlungen, gemeinsame Anstrengungen, gemeinsamer Ausdruck. Es geht nicht darum, Individualismus auszulöschen, sondern um die Beziehung des Individuums zur Gemeinschaft. Und die Möglichkeit, scheinbar Unvereinbares zusammenzubringen, damit sich unterschiedliche Denkhaltungen und Klänge aneinander reiben.

Was als Studie über die Finsternis begann, wurde ebenso zu einer Möglichkeit, mit dem Ensemble Musikfabrik die Bedingungen der Gemeinschaft zu erforschen. Und der Prozess förderte einige meiner grundlegenden Faszinationen: die Reibung zwischen Komplexität und Einfachheit; der Klang spezifischer "Zeitinstrumente" wie das Fender Rhodes oder der Moog Synthesizer; die Balance zwischen strenger Organisation und dem innewohnenden Chaos; die Begegnung von Statik und Extase. Und das Zusammentreffen von unterschiedlichen Klangsystemen: temperierte gegen reine Stimmung; die mechanische Zeit gegen die körperliche Zeit; Oszillatoren gegen Streicher und Holzbläser.

Das Stück besteht aus drei Sätzen, drei Lektionen, die attacca gespielt werden. Die erste Lektion setzt sich mit der Spannung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft auseinander. Es mag zwar ein "Thema" geben, aber keine Entwicklung, sondern nur Akkumulation, Steigerung und Wiederholung. Ein klagender Chorgesang, verloren im Schatten anderer Stimmen. Die zweite Lektion behandelt die Dunkelheit in einem musikalischen Sinne in den tieferen Lagen der Instrumente: Kontrabass, Kontrafagott, Kontrabassklarinette und die tiefen Lagen der Blechbläser. Die dritte Lektion arbeitet mit Simultanmusiken, mit denen sich das Ensemble in kleineren Einheiten selbst organisiert und schließlich zu einem schwebend-zitternden Zusammenklang findet.

Ein Musikstück verdichtet sich im Prozess melancholischer Schönheit, wenn es im Konzert Wirklichkeit wird. In dem Moment, wo ich das schreibe, ist die Musik allerdings noch fantastisch unerhört. Es gibt keinen Stil, keine Entdeckung. Jedes Stück sucht nach einem Begegnungspunkt mit der Welt. Jedes Stück, das die Welt nicht ändert, ist ein Fehlschlag. So scheitern wir immer wieder. Und nicht unbedingt zum Vorteil. Dennoch liegen im Scheitern unendliche Möglichkeiten. Wenn wir die dunkle Nacht hören, dann lernen wir.

I started working on the piece in midwinter 2017, a time of not much optimism. Winter in the north offers a few hours of daylight and long nights to contemplate both the political darkness encompassing us and a certain personal darkness after attending too many funerals the last year. The title alludes to the baroque tradition of evening songs on the lamentations of Jeremiah. There are no quotes, no referencing. But there is an awareness of those who have given us lessons in darkness. Alfred Deller, voicing Couperin with unbearable fragility. Or Céline, who wrote that we know nothing of the true history of mankind; all that is interesting takes place in the dark. Maybe he's right. We are not interested in darkness itself, but what it hides. That is what scares us. What is it that we don't know about ourselves?

Music has always dealt with the unknown. Composing notated music is reaching into the dark, searching for sound in silence. It is an act of faith, of utopian belief; hopes for the future inscribed on the present. In this sense, composing harbours negation and affirmation by the same token. Even music of despair will offer proposals, if only by its expression of sheer human energy. An ensemble is a proposal of collectivity: collective action, collective effort, collective expression. It is not about obliterating individualism, but always negotiating the relationships between the individual and the collective. And the potential to bring together seemingly incompatible entities, to let different systems of thought and sound rub against each other.

What started out as a study of darkness also became an opportunity to investigate matters of collectivity, in collaboration with Ensemble Musikfabrik. And the process triggered some of my basic fascinations: The friction between complexity and simplicity; the sound of certain 'period instruments' like the Fender Rhodes and the Moog synthesizer; the balancing act between strict organization and inherent chaos; the meeting between stasis and ekstasis. And the sound of different systems colliding: tempered vs. just intonation; mechanical time vs. embodied time; oscillators vs. strings and reeds.

The work is in three movements, three lessons, played attacca. The first lesson deals with the friction between the individual and the collective. There might be a 'theme' but there is no development, only accumulation, intensification and repetition. A plainsong lament lost in the shadows of other voices. The second lesson deals with darkness in a musical sense, through the lower regions of the ensemble: double bass, contrabassoon, double bass clarinet and the deep registers of the brass instruments. The third lesson works with simultaneous musics where the ensemble self-organize into smaller units and ultimately converge in some provisional, shaky concord.

A piece of music eventually solidifies in that process of poignant beauty when the work becomes a physical fact of the concert hall. But as I write this, the music is still fantastically unheard. There is no style, there is only the exploration. Every piece is searching for a point of contact with the world. Every piece that doesn't change the world is a failure. So we fail again. And not even better. For in that failure lay infinite possibilities. We listen to the dark night, and that is when we learn.

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Autor/in
SWR