Ich lebe zur Zeit in Tango, die die nördlichste Gemeinde der Provinz Kyoto ist. Tango liegt am Japanischen Meer und ist umgeben von reichlich Natur. Der Grund, von Tokyo wegzuziehen, war, ein Klangprojekt, das ich vor ca. 10 Jahren begonnen hatte, nun in der Natur, ganz konkret auf dem Längengrad, der die Japanische Standardzeit bestimmt, fortzusetzen. Dieses Projekt Space in the sun war anfangs eher etwas Privates, ganz Intimes, um einen Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Natur die Tiefe des "Zuhörens" zu erfahren. Dieses neue Projekt sollte 1988 genau zum Herbstanfang anläßlich der Tagundnachtgleiche stattfinden. Hierfür brauchte ich ungefähr 18 Monate Vorbereitungszeit, um die Umgebung zu formen, in der der Klang gehört werden sollte. Diese Umgebung bestand aus zwei Lehmziegelmauern von 3,2 m Höhe und 17,4 m Breite, errichtet im Abstand von 7 m aus 20 000 Erdziegeln, die ich aus dem in dieser Region vorkommenden Lehm formte und in der Sonne trocknete. 12 Stunden habe ich an einer der Mauern, der Nordwand, gesessen und den Klängen der Natur gelauscht. Ausgangspunkt von Space in the Sun war eigentlich die Idee, einen ganzen Tag von Tageseinbruch bis zum Sonnenuntergang auf die Natur zu horchen. Das nach oben und den Seiten offene Bauwerk lag wie eine Brücke über dem 135 Meridian. Höhe und Länge der Mauern, zwischen denen der Klang wie ein virtuelles Bild zwischen zwei Spiegeln zirkulierte, wurden bestimmt durch den natürlichen Sehwinkel. Aber als ich an jenem Morgen dort saß, brach die hohe Erwartungsspannung, das komplette akustische Tagesspektakel mitzubekommen, im Nu zusammen. Es klingt leider sehr zenbuddhistisch, aber ich habe in diesem Augenblick gelernt, daß konzentriertes Zuhören letztendlich ein "Verlassen" der Konzentration bedeutet. Seitdem lebe ich in jener Gegend mit der selbstgestellten Aufgabe, die Sinne zu befreien, um die Tiefe des "Zuhörens" zu erfahren.
Im Jahre 1995 erarbeitete ich in einem kleinen Fluß namens Sanjo-Shirakawa in Kyoto, der 30 cm tief und 10 m breit war, die Klanginstallation Make Up. Hierfür benötigte ich 1 Monat Bauzeit und nochmals eine Woche für das Aufstellen der Arbeit. Ich wohnte in einem alten Tempel in der Nähe und ging jeden Tag den Fluß "putzen"; wie eine Frau, die sich vor dem Schminken das Gesicht säubert. Zuletzt legte ich unter zwei Brücken hindurch eine 600m lange Eisenspirale in die Mitte des Flusses. Diese Spirale war gewissermaßen als akustischer Klangverstärker gedacht, um die Existenz des Flusses mitten in der großen Stadt wahrnehmen zu lassen. Mit dieser Arbeit erweiterte ich eine frühere Aktion, Visiting the Bach, (Bach-Aufsuchen), aus meinen Self-Study Events, einer frühen Übung in Selbsterfahrung der 60er Jahre in die Dimension des öffentlichen Raumes.
Beim Sonambiente Festival in Berlin 1996 markierte ich einen Monat lang inmitten von Berlin 25 Klangpunkte (Otodate) mit einem von mir entworfenen Symbol, in dem Fußform und Ohrform miteinander verzahnt sind. Der Sinn dieser Arbeit war, die Symphonie der Stadt zu hören, in einer Zeit des lärmenden Neuaufbaus ihres Zentrums. Dies war auch eine Fortsetzung des Projekts Durchforschen der Echo- Punkte ebenfalls aus der Serie Self-Study Events.
Im vergangenen Jahr stellte ich das Werk Die Blume in der Stadtgalerie Saarbrücken auf. Die Galerieangestellten sollten jeden Tag Wiesenblumen in die Vase stecken, die ich auf den Tisch Mitte im Raum hinstellte. Die Blume in der ruhigen Umgebung spielte die Rolle eines Dirigenten, der die in jedem vorhandenen "inneren Musik" des Zuschauers herauslockte. Dieses Projekt war eine Fortsetzung meiner Serie Hören am Stein.
Chorus ist ein Klangereignis als Spurensuche (following), das dem bisherigen Klang des "Zielgerichteten" (throwing) gegenübersteht, wobei ich eine Wechselwirkung erwarte, die durch Verschiebung von der persönlichen auf die öffentliche Erlebnisebene entsteht. Das Geräusch des Flusses, das man auch "Der erste Schrei der Donau" nennen könnte, wird von jenem Bach gesammelt, der vor dem Pavillon fließt. Die offenen Verbindungen zwischen Röhren lassen auch das Geräusch der Umgebung in das Rohrsystem einfließen, wo es mit dem Geräusch des Flusses resoniert und bis zum Endstück im Pavillon weitergeleitet wird. Die Spitze des in den Raum führenden Rohres liegt auf einem großen Flußstein. Von ihm aus und zu ihm zurück liegt ein Rohrsystem, das ein Dreieck bildet. Von dessen Spitze wird der Klang in beide Richtungen der Dreieckschenkel geleitet, und entströmt schließlich stimmungsvoll veredelt und abgerundet aus der auf dem Stein befindlichen Öffnung dieses Dreieckes. Das Gebäude, das früher als "Fischhaus" fungierte, soll mit dieser Installation als der Ort eines Hörspieles für die im Raum schwebende Musik wiedergeboren werden.
In der Tat ist der Raum so still, daß man an der Rohröffnung sehr konzentriert und intensiv lauschen muß, um das feine Bachgeräusch zu hören. Das ähnelt dem menschlichen Körper, der ohne Wahrnehmung des Fließens der Körperflüssigkeit duldet. Damit der Raum als Ort der wachen Sinne funktionieren kann, ist die reine und aktive Teilnahme der Zuhörer unentbehrlich. Erst dann wird der Rahmen des Self-Study Events vollkommen sichtbar und offen.
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 1998
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- Akio Suzuki, Chorus, Klanginstallation