Die Reichhaltigkeit und Verschiedenartigkeit der Aymara-Blasinstrumente in der bolivianischen Musik des Altiplano hat mich schon immer beeindruckt. In 4000 Metern Höhe, wo so wenige Sauerstoffmoleküle vorhanden sind, bedeutet die bloße Existenz einer solchen Vielfalt bereits eine Art Herausforderung an die Bedingungen der Umgebung in dem Versuch, die so rare und kostbare Luft zu bezwingen.
Estratos beginnt mit einem akustischen Eintauchen in die mikrophysikalischen Eigenschaften jener Instrumente; die "Unzulänglichkeiten” ihrer komplexen spektralen Konstitution wie die "dicken” Einklänge und die Stauchung bzw. Ausdehnung der Obertonreihen werden dabei erforscht. Der Titel der Komposition leitet sich sowohl von der Stratosphäre her, einer der höheren Schichten über der Erdoberfläche, als auch von Stratum als den Ablagerungsschichten, welche die Erdkruste bilden und von denen es in den Anden in der Gegend um La Paz sehr charakteristische gibt.
Der Kompositionsprozess von Estratos reproduziert das geologische Modell durch eine Gegenüberstellung von verschiedenen polyphonen und strukturellen Schichten, welche komplexe Netze von unterschiedlichen rhythmischen Mustern und Schlägen bilden, von denen einige an die rhythmischen Laute von Fröschen und anderer nächtlicher Lebenwesen im brasilianischen Urwald erinnern. Die Struktur, die Instrumentation und die Verzahnung verschiedener ryhthmischer Muster assoziieren das für ihre Kultur charakteristische Konzept der Aymaras, das in dem steten Bemühen besteht, aus je zwei verschiedenen Dingen eine Einheit herzustellen. "Estratos" ist außerdem ein Audruck meiner Bewunderung für das Orquesta Experimental de Instrumentos Nativos und die Arbeit von Cergio Prudencio, dem die Komposition gewidmet ist.
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- Donaueschinger Musiktage 1999
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- Tato Taborda, ESTRATOS für native Instrumente