Donaueschinger Musiktage 2005 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2005: "Esa (In cauda V)"

Stand
Autor/in
Lydia Jeschke

Franco Donatoni

"Cauda" bedeutet im Lateinischen "Schwanz". In der mittelalterlichen Mensuralnotation bezeichnet cauda einen links absteigenden Vertikalstrich, der den Dauernwert des Tons festlegt. Im 15. Jahrhundert dann die melodische Erweiterung einer einzelnen Silbe meist am Schluss eines Abschnitts.

Kleinste Figuren oder Zellen sind auch für Donatonis Musik, namentlich seit den späten 1970er Jahren, signifikant. Sie sind Bausteine einer Musik, die unter Vermeidung persönlichen Ausdrucks oder Überschwangs die Arbeit an bestimmten, möglichst reduziert vorgestellten musikalischen Gedanken möglichst umfassend und transparent zu gestalten sucht. Im Gegensatz zu früheren Stücken Donatonis gibt es hier durchaus eine Verwandtschaft zur Sprache.

Ein gleichnamiges, dreiteiliges Gedicht von Brandolini d´Adda inspirierte das dreisätzige Stück für Chor und Orchester In cauda aus dem Jahr 1982, später folgten weitere In cauda-Kompositionen für Chor bzw. solistische Frauenstimmen und Orchester. Donatonis häufige Um- und Neubearbeitung seiner kompositorischen Materialien spielt auch in dem im Jahr 2000 entstandenen Orchesterwerk Esa (In cauda V) eine Rolle und verbindet die Komposition mit den anderen Stücken der In cauda-Reihe, namentlich mit In cauda III und Fire (In cauda IV). Trotz der großen Orchesterbesetzung ist Donatonis Instrumentation in Esa eher sparsam; nicht strukturelle Dichte, sondern Transparenz und differenzierte Klanglichkeit bestimmen die Musik, während Donatonis Basismaterial immer neue Transformationen erfährt.

Esa-Pekka Salonen, der in jungen Jahren bei Franco Donatoni studiert und als Musikalischer Direktor der Los Angeles Philharmonic das Stück in Auftrag gegeben hatte, äußerte sich anlässlich der von ihm dirigierten Uraufführung von Esa (In cauda V):
"Donatoni sah sich selbst als Handwerker, als Kunstschaffender, d.h. Hersteller von Musik, nicht als einsames romantisches Genie, das durch Wälder wandert und Weltschmerz fühlt. Sein Blickwinkel ist typisch italienisch: klar, praktisch, leicht, unsentimental. Der Schlüssel zur Komposition ist Arbeiten, peinlich genau und präzise. 'Lavorare e lavorare, sempre lavorare´, pflegte er zu sagen. Mir erscheint das alles sehr gesund. Als ich jung war, wollte ich ein eleganter intellektueller Akrobat werden wie Donatoni oder Berio. Erst viel später wurde mir klar, dass Menschen aus dem Norden niemals wie Menschen aus dem Süden sein können. Wir brauchen beide Pole. Ich liebe die kaleidoskopische Welt Donatonis, die plötzlichen Drehungen und Wenden und die bloße Schönheit der Oberfläche seiner Musik. Es gelang ihm nicht nur, seine sehr eigene Sprache zu entwickeln: Er lernte auch, sie zu sprechen."

Esa (In cauda V), gewidmet Esa-Pekka Salonen, war die letzte Komposition Franco Donatonis.

Stand
Autor/in
Lydia Jeschke