Werke des Jahres 1999

Jazz Session

Stand

Dave Douglas

Neue Perspektiven

Achim Hebgen im Gespräch mit Dave Douglas

F: In den letzten Jahren hast du dich in einem ganz erstaunlichem Maße international durchgesetzt, und das, obwohl deine Musik sehr anspruchsvoll ist und du schwerlich in traditionelle Kategorien paßt.

A: Ich mache mir keine Gedanken über irgendwelche Musikmärkte, ich erkläre mir den Erfolg so: in den letzten Jahren hatte sich für mich die Möglichkeit ergeben, das zu spielen, was ich spielen wollte und zu experimentieren und meiner Vorstellung von möglichen Musiken nahe zu kommen. Das hat Jahre gedauert, und ich hatte lange zu kämpfen, bis ich in der Lage war, meine Musik zu machen. Aber: In diesem Prozess habe ich unendlich viel gelernt und diese Erfahrung würde ich für nichts hergeben.
Ich arbeite hart und an sehr unterschiedlichen Konzepten, ich bewege mich von Projekt zu Projekt, von Musiken, in denen praktisch alles notiert ist bis zu Musiken, in denen fast nichts niedergeschrieben ist.
Ich finde diese Unterschiede sehr interessant, doch ich bin selten zufrieden, wenn alles auskomponiert ist. Für mich ist es wichtig, mit meinen musikalischen Freunden zu arbeiten, ich möchte in der Lage sein, etwas vorzugeben, das etwas aus ihnen hervorbringt - und dann entsteht Musik, die von uns allen zusammen geschaffen worden ist. Um so arbeiten zu können, brauchst du natürlich ganz bestimmte Musiker, und umgekehrt, als Komponist hast du die improvisatorischen Möglichkeiten, das Vokabular deiner Musiker genau zu kennen, um es einerseits zu fordern und zum anderen das Beste aus ihnen herauszubringen.

F: Mit anderen Worten: Als Komponist hast du eine Balance zu finden zwischen Kontrolle und Freiheit, damit die Schlüssigkeit, die Logik deiner Komposition gewahrt bleibt.

A: Das ist das Problem, ganz klar. Du kannst dafür den Musiker verantwortlich machen, oder den Komponisten: Das ist eben die große Herausforderung, eine Komposition zu schaffen, die Improvisation integrieren kann, und die die Improvisation in intelligenter Weise einsetzt und unmerklich vom einen ins andere übergeht. Das höre ich ja fast regelmäßig nach Konzerten mit meiner Musik: "...den Unterschied zwischen Improvisation und Komponierten habe ich nicht ausmachen können." Das ist für mich ein Kompliment: Denn genau so sollte es sein: Dass es sich anhört, als wenn es genau so geschrieben wäre, und trotzdem haben die Musiker die Möglichkeit sich auszudrücken - innerhalb einer logischen Struktur.

F: In welcher Weise hast du darüber Kontrolle?

A: Das genau ist die große Herausforderung - und die sieht bei jedem Stück anders aus. Bei jeder neuen Komposition habe ich das Gefühl, ich entwickle eine neue Strategie, um Ausgeschriebenes und Improvisiertes auszubalancieren. Erst recht, wenn ich mit einem neuen Ensemble arbeite, das braucht dann einen ganzen Set neuer Parameter, jeder Musiker ist ein anderes menschliches Wesen.
Das ist ein Grund, warum ich so viele verschiedene Ensembles leite: Weil ich genau für diese jeweiligen Musiker, für diese Menschen schreiben möchte.

F: Solches Arbeiten setzt also wechselseitiges Sich-Verstehen voraus, es ist eine Geben und Nehmen zur selben Zeit.

A: Absolut! Diese menschliche Beziehung zu meinen Musikern, ist überaus wichtig. Wenn ich mit Musikern zusammen komme und wir gemeinsam uns in eine neue Richtung entwickeln können, so etwas bereitet mir größte Freude.

F: Im Grunde ist das ja eine alte Jazz-Tradition, die Du weiter entwickelst. Wenn man zurück denkt, wie Duke Ellington oder Charles Mingus gear-beitet haben, sie haben auch für ganz bestimmte Musiker geschrieben.

A: Natürlich - und Vergleichbares gibt es auch in der Neuen Musik, bei John Cage, Harry Partch, Mauricio Kagel. In der Zusammenarbeit mit dem Ensemble entsteht eigentlich das Stück - und eine Aufnahme eines so realisierten Stückes - das ist dann sozusagen die endgültige Partitur -
bis dann bei einer weiteren Aufnahme eine neue Version - oder Vision, könnte man auch sagen - entsteht.
Composers/ Perfomers in der improvisierten Musik sind in einer einzig-artigen Position - weil sie in ihrem eigenen Stück spielen und dadurch entsteht eine andere, intensivere Beziehung zu den übrigen Musikern -
und das erleichtert den Integrationsprozess in gewisser Weise.

F: Wie siehst Du dich selber - bist Du ein Avantgardist?

A: Ich weiß nicht - seit so vielen Jahren mache ich jetzt Musik, reflektiere das natürlich, und mit Ensembles, die aus meinen Freunden bestehen, entwickle ich Ideen weiter.
Wenn ich heute auf die letzten handvoll Jahre zurückschaue, dann sehe ich so: ich habe eine bestimmte Vorstellung, wohin ich die Musik gehen lassen möchte, und ich bin froh, die entsprechenden Fähigkeiten und Ausbildung zu haben, die mir erlauben, diese meine Vorstellungen in die Realität umzusetzen.
Es ist leicht Visionen zu haben, aber überaus schwierig, sie umzusetzen, wenn man die Fähigkeiten dazu nicht hat; es ist nicht zu schwer, sich handwerkliche Fähigkeit anzutrainieren, aber ohne Vision - da wüßte ich kein Warum oder Weshalb ich all das mache.
Ob ich ein Neuerer bin, weiß ich nicht, aber das weiß ich: jedesmal, wenn ich ein neues Stück komponiere, dann versuche ich auf ein Plateau zu gelangen, wo vor mir noch keiner war und etwas zu spielen, was vor mir so noch keiner gespielt hat oder eine neue Kombination von Klängen zu schaffen, die zwar vorher existiert haben, aber nicht so in dieser Verbindung.

F: Also ‘neu’ heißt hier eine veränderte, eine neue Perspektive für das Alte zu schaffen?

A: Ich liebe Musik aller Perioden und jedweder Herkunft so sehr, es ist für mich unmöglich, mich nicht damit auseinanderzusetzen. Aber es kommt darauf an, wie du dich damit auseinandersetzt und was du daraus machst, eine neue Perspektive zu finden.

F: Wenn du dich mit so vielen und unterschiedlichen Musiksprachen auseinandersetzt, erweitert das deine musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten?

A: Es gibt mir neue Perspektiven, ich kann einen Schritt zurücktreten und
sozusagen das Werk, an dem ich gerade arbeite, unter den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachten und aus diesem neuen Blickwinkel Dinge, die eigentlich nicht zusammen gehören, so zusammenfügen, dass sie zusammen gehören.
Ich bin ein Komponist, und ich denke jeder Komponist hat das Bestreben etwas Einzigartiges zu sagen; ich bin ein Jazztrompeter, der sich die unterschiedlichsten Spieltechniken angeeignet hat. Ich habe Erfahrungen gesammelt in den zahllosen Jazz- und Neue Musik-Ensembles,
ich habe mich mit zahlreichen Kompositionstechniken auseinandergesetzt und letztendlich - aus reiner Neugier - alle denkbaren Arten von Musik angehört: alle diese Elemente bilden meine Persönlichkeit, und sie fließen in die Musik ein, die ich schaffe.

F: Es scheint mir, du forderst dich selbst immer wieder aufs Neue - allein die vielen Gruppen, die du leitest, und von denen jede für eine andere musikalische Konzeption steht.

A: Ja, und ich fordere mich in dem Sinne, zu machen, was ich bisher noch nicht gemacht habe.
Wenn ein Projekt funktioniert und Erfolg hat - dann trete ich einen Schritt und sage mir: o.k., das war ein Erfolg! Am nächsten Morgen wache ich auf und beginne am nächsten Projekt zu arbeiten - mit einem völlig anderen Szenario an Musikern, mit einem völlig anderen Konzept - das ist die Arbeitsweise, die ich liebe.

Text und Redaktion: Achim Hebgen

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SWR