Ayo Sutarma arbeitet auf der Basis eines explorativ-experimentellen Ansatzes und bemüht sich vor allem um eine strukturierte Ausarbeitung des gefundenen Materials im Sinne seiner immanenten Wesensart. Trotzdem spielt bei ihm die Notation, entsprechend seiner kulturellen Tradition, bisher nur eine untergeordnete Rolle. Hingegen ist er immer wieder auf der Suche nach konstruktiven Widerständen, die ihm Anregung zur Ausarbeitung seiner radikalen Konzepte geben. Musizieren muss für Ayo Sutarma immer mit einer existentiellen und damit auch physischen Erfahrung zusammen gehen.
'Meine gesellschaftliche Haltung muss sich natürlich auch in meiner Musik widerspiegeln. Und eines der Prinzipien ist das "Kontra"-Verhalten. Hinsichtlich des Zeitlichen versuche ich dies so zu bewerkstelligen, dass im Rahmen von musikalischen Ereignissen immer wieder Überraschungen passieren, die außerhalb jeglicher Erwartung liegen; also ganz im Gegensatz zur populären Musik, die solche Überraschungen möglichst vermeidet. Bezüglich der Musikinstrumente versuche ich ebenfalls, Neues selbst zu entwickeln. Auch dies verstehe ich als eine Gegenhaltung zur immer stärkeren Abhängigkeit der Gesellschaft von elektronischen Geräten ... '
So entstehen Stücke, die mit schneidender Penetranz sehr begrenzte Problemstellungen konsequent ausloten, wie zum Beispiel in dem kacapi-Solostück Baling-Baling, das nur durch verschiedene Anzupftempi und -orte die Nuancen einer Saite mit ihren changierenden Obertönen zum Erklingen bringt.
Radikaler ist "Kota Rolela" für tarompet solo, ein traditionelles Doppelrohrblattinstrument. Es zeigt die Tendenz des Komponisten, Randphänomene der traditionellen Musikpraxis zur Basis eines neuen Stücks zu machen. In diesem Fall bezieht er sich auf bestimmte glissandoartige ornamentale Spielweisen, die er zu einem großen zwölfminütigen Glissando bei gleichzeitigem Einsatz von Zirkularatmung rekomponiert hat.
Von ähnlicher Konsequenz ist auch "Siduyoko" für zwei Stimmen, die beim Einatmen Klänge produzieren, eine Technik, die Ayo Sutarma von bestimmten Artikulationen einem dalang (einem traditionellen Schattenspieler) übernommen und zu einem eigenständigen Stück entwickelt hat.
"Curug Sigay" aus dem Jahre 2002 ist insofern außergewöhnlich, als es mit Schülern im Alter von 14 bis 18 Jahren ausgearbeitet worden ist. "Curug Sigay" heißt soviel wie Wasserfall, ist aber nicht direkt programmatisch zu verstehen. Das Werk entspricht einer Art abstraktem Dialog oder "Trialog" konträrer Charaktere, die schnittartig, aber nach einer schlüssigen inneren Logik zusammengefügt wurden.
Ayo Sutarma verwendet dabei das Klangmaterial einiger herkömmlicher, jedoch unkonventionell eingesetzter Instrumente. Hinzu kommen Klänge, die mit unkonventionellen Klangerzeugern hergestellt werden (Plastikbecher, Murmeln etc.) Das klangliche Ergebnis (nach intensiven Proben über mehrere Monate) ist von erstaunlicher Stringenz, die in der derzeitigen zeitgenössischen Musikszene ihresgleichen sucht. Explorativ Gefundenes bleibt nicht gleichsam "auf halber Strecke" und beliebig aneinandergereiht liegen, sondern wird solange geformt und konzentriert, bis sich ein konziser musikalischer Ausdruck entwickelt hat.
Das für Donaueschingen komponierte Werk Balung Tunggal ist eine Weiterentwicklung der Konzepte von Curug Sigay und Kota Rolela.
Da es Ayo Sutarma auch auf eine enge soziale Bindung ankommt, er aber im Gegensatz zu den meisten Kollegen wenig zu Kompromissen bereit ist und bisher keine Notation verwendet, kann seine Musik nur aus langzeitigen Arbeitsprozessen entstehen, was wiederum für die Arbeit mit Jugendlichen und gegen professionelle Musiker spricht. Gerade dann aber hat seine Musik eine erstaunliche Intensität und Konsequenz, ganz zu schweigen vom erzieherischen Wert für die beteiligten Schülerinnen und Schüler. Dass er gerade deswegen jedoch starken Widerstand in der Gesellschaft erfährt, erscheint ihm wegen der täglichen Konditionierung der Gesellschaft durch Politiker und Massenmedien unvermeidlich:
'In meinem Umfeld wird ein kreativer Mensch, ein Komponist, als eine nicht normal agierende Person angesehen; als jemand, der sich merkwürdig verhält, der Grenzen überschreitet, oder ganz einfach nicht den gängigen gesellschaftlichen Normen entspricht. Das ist genau die Herausforderung, die mich befriedigt, die mich zum anderen Menschen macht, vor allem, wenn ich komponiere. Nicht verwunderlich, dass meine Umgebung immer eine "Medizin" sucht, um mich zu "kurieren". Ich versuche jedoch umgekehrt meinen Mitmenschen klar zu machen, dass sie selbst durch all die täglichen Einflüsse verschiedenster Ideologien und deren kapitalistische Hegemonie sozusagen "impotent" geworden sind. Wer ist also krank? Bin ich es? Sind sie es? Wenn beide krank zu sein scheinen, sollten wir uns einfach auf dieser Basis gegenseitig wertschätzen.'
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 2004
- Themen in diesem Beitrag
- Ayo Sutarma, Balung Tunggal für 2 Stimmen, Perkussion und Tarompet