Donaueschinger Musiktage 2004 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2004: "Walisora Malih Warni"

Stand
Autor/in
Dieter Mack

Dedy Hernawan unterscheidet sich hinsichtlich der Strenge und Konsequenz der künstlerischen Position nur wenig von Ayo Sutarma. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass Dedy Hernawan von einem mehr kontemplativen Konzept ausgeht. Es geht ihm um das Erleben einer mikrotonalen und mikroklanglichen Welt. Es bedarf einer gewissen Gewöhnung, um alle Nuancen hörend nachvollziehen zu können.

Stellvertretend dafür stehen die beiden Werke "Galindra" (1996) für suling solo – das zudem die Polarität der beiden Skalen pelog und slendro thematisiert – und "Malih Warni" (2002) für tarawangsa solo. Die tarawangsa ist ein zweisaitiges Streichinstrument, das ohne Griffbrett gespielt wird. Für das Melodiespiel wird jedoch nur eine Saite benutzt, während die zweite, tiefere, in der Funktion eines schlie-ßenden Gongschlags nur gezupft wird.

Wegen der hohen neuartigen technischen Anforderungen hat sich Dedy bisher vor allem mit Solostücken beschäftigt, die er selbst aufführt. Es ist unter den traditionellen sundanesischen Musikern nahezu unmöglich, engagierte Spielerinnen und Spieler zu finden, die bereit sind, sich über einen längeren Zeitraum mit neuen Spieltechniken auseinander zu setzen. Dedy Hernawan erkannte, dass es nicht nur neue Klänge sein können, die musikalische Entwicklung implizieren. Auch alle anderen Parameter und zugleich die Spielfertigkeit müssen wachsen, will man nicht in den Konventionen des zufällig manuell Beherrschten stecken bleiben.

Somit überrascht es nicht, dass Dedy Hernawan inzwischen zu einer detaillierten Fixierung seiner Werke neigt. Viele seiner Neuerungen bewegen sich im Bereich der Mikrotonalität, die sich über einen Notentext besser darstellen und ausarbeiten lässt. Das verweist darauf, dass Dedy Hernawan sich bemüht, möglichst nicht von manuellen Gewohnheiten auszugehen. Einige Werke repräsentieren geradezu das Gegenteil, indem solche Gewohnheiten paraphrasiert werden:

Ich möchte meine Verbindung zur Tradition mit einem Kreis beschreiben... Dabei geht es schließlich darum, diese offensichtlich fest geregelte Tradition weiter zu bearbeiten. Und tatsächlich, die traditionelle Musik und Kultur bietet eine immense Anzahl von Ansatzpunkten, die auf kreative Art und Weise neu interpretiert werden können. Leider denken nicht viele Künstler so, da sie einfach nur in der Tradition "baden" wollen. Dadurch entsteht zusätzlich eine völlig übertriebene Haltung des Besitzenwollens bezüglich dieser Tradition, was zu einer "Sakralisierung" und Fixierung der Tradition führt. Wenn es darum geht, rituelle Werte innerhalb einer Gesellschaft zu pflegen und zu würdigen, dann kann ich dem zustimmen. Wenn dies allerdings eine Einschränkung der Kreativität bedeutet, dann muss ich es ablehnen. Auch in bestimmten Ritualen einer Gesellschaft darf das Kreative nicht vergessen werden.

Zu seiner neuen Komposition "Walisora Malih Warni" für zwei tarawangsa schreibt der Autor:

Der Begriff "Walisora" impliziert zwei Teile, "wali" und "sora". Unter wali versteht man einen überdurchschnittlich fähigen Spezialisten für eine bestimmte Tätigkeit. Sora bedeutet Stimme. "Walisora" ist also ein Spezialist für die Stimme. "Malih Warni" ließe sich hingegen mit "Vorhandensein von Farben" übersetzen. Die Ausgangsidee dieses Stücks bezieht sich auf das Phänomen einer Larve, die zum Schmetterling wird. Dieser biologische Vorgang der Veränderung der Existenzform wird auch als Metamorphose bezeichnet. Nun stelle man sich diesen Vorgang mit einer Kamera aufgenommen und in extremer Zeitlupe abgespielt vor. Dadurch ließe sich diese faszinierende Metamorphose in allen Details nachvollziehen... Eine zweite Assoziation verweist auf ein Chamäleon, das seine Hautfarbe immer wieder der sich wandelnden Umgebung anpasst.

Solche farbverändernden Verhaltensweisen findet man nicht nur bei einem Chamäleon, sondern auch bei manchen indonesischen Politikern, die sich offensichtlich dem Chamäleon wesensverwandt fühlen. Einmal sitzen sie im Parlament und verhalten sich wie typische Beamte oder so genannte Volksvertreter. Ein anderes Mal sitzen sie vor Gericht als Beschuldigte, kurze Zeit später agieren sie als Parteivorsitzende etc. Das Schlimme ist, dass diese Tatsache nicht mehr als Krankheit oder als gesellschaftliches Problem gesehen wird, sondern bereits gesellschaftsfähig geworden ist.

In der Musik gibt es nun die Klangfarbe "warna bunyi", die jedoch im Gegensatz zu den bildenden Künsten weder rot noch grün noch blau ist, sondern mit verschiedenen Graden von Helligkeit und Dunkelheit verglichen werden kann. Dabei spielen die Instrumententypen, das Material und die Art der Klangerzeugung eine wesentliche Rolle. Die zweisaitige Stachelgeige tarawangsa scheint mir in diesem Zusammenhang für subtile Veränderungen ein ideales Instrument zu sein.

Die zweisaitige tarawangsa wird nur in Westjava in der Region um Bandung und Sumedang gespielt. Traditionellerweise wird sie von einem zitherartigen Instrument jentreng mit sieben Saiten begleitet. Diese Musik erklingt zu bestimmten Ernteritualen und gilt als Volksmusik. Ausgewählte Personen tanzen zu dieser Musik und können dabei auch in Trance fallen.

Das Ausgangsmaterial der Komposition basiert auf einem traditionellen Stück namens Nangis. Dieses grundlegende Material erklingt gleich zu Beginn, wenn auch, vor allem auf Grund der veränderten Zeitstruktur, auf andere Art und Weise. Im weiteren Verlauf arbeite ich mit Kontrapunktähnlichen Verfahren. Die erste tarawangsa fungiert zu Beginn als Hauptmelodiestimme, später als Fundamentstimme und schließlich als Träger der "Klangfarbenmelodie". Ich verwende diesen Ausdruck, weil die originale Melodie durch die veränderte Spielweise eher im Sinne einer Klangfarbenbewegung gespielt wird.

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Autor/in
Dieter Mack