Donaueschinger Musiktage 1999 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 1999: "Vasí on"

Stand

Norbert Walter Peters

"Die akustische Skulptur als (Gefühls- und) Gedankenkonstrukt"


Norbert Walter Peters im Gespräch mit Barbara Barthelmes

Barbara Barthelmes:
Der Besucher, der auf dem Weg zum Pavillon ist, findet, bevor er diesen betritt, bereits auf der Höhe des Bildstockes beginnend, eine Klanginstallation vor. In welchem Verhältnis stehen Nachtstück und Tagstück hier zueinander?

Norbert Walter Peters:
Polarität ist ein wichtiges Moment in der Konzeption meiner Arbeit für den Park und den Pavillon. Zwei Polaritätsverhältnisse haben Sie dabei schon erwähnt: Zum einen das 'Drinnen und Draußen', das heißt, die 'Klanginstallation' am Bildstock und die Klanginstallation im Pavillon, welche natürlich thematisch miteinander verbunden sind. Als Hinweis habe ich deshalb die einzelnen 'Charaktere' bzw. 'Tapes' in meiner (Ton-)Inszenierung betitelt. So sind die jeweiligen Monokassettenrekorder mit Typo-Skripten 'personifiziert': Mondaspekt, Venusaspekt, Merkuraspekt sowie Ganzheits- und Wandlungsaspekt; der sechste Aspekt ist der Kreative Aspekt, den ich dem traditionell-christlichen Topos der 'Mutter-Kind-Darstellung' gewidmet habe. *1 Im Einzelnen handelt es sich bei dieser auf Endlosspule konservierten Geräuschmusik um Töne/Klänge/Geräusche, welche die vier Elemente im Kontext von Naturerlebnissen, von auditiven Ereignissen der Umwelt, von im weitesten Sinne 'künstlich' erzeugten Geräuschen sowie menschlichen und tierischen Äußerungen ‚personifizieren'. Diese 'Vierstimmigkeit' des jeweiligen Tapes ist nochmalig gedanklich entsprechend 'verklammert', indem diese langen und kurzen Signale Zustände signifizieren, die sich mit: 'chaotisch' – 'amorph' – 'kristallin' – ‚... in der Auflösung begriffen' umschreiben lassen.

Das zweite Polaritätsverhältnis ergibt sich daraus, dass ich die geschlossene Form des Tag- und Nachtstücks gewählt habe. Tagstück ist die Toninszenierung, die auf natürliches Licht angewiesen ist und daher als 'komponierte Aktion (KompAktion) über den Kreis‘ ihr Bild nur am Tag entfaltet; Nachtstück ist die Performance, die als (nichtöffentliches) schamanistisches (Aktions-)Ritual ihr 'Bild‘ erst im Dunkel der Nacht zu entfalten sucht.

Die körpereigenen Geräusche in der Performance bleiben innerhalb der vorbereitenden Zeremonie auf vokale Äußerungen beschränkt: summen, sprechen, aber auch spucken (des roten Ockerpigmentes). Und diese Zeremonie zielt auf das eigentliche 'Nachtstück' hin, das gänzlich in der Stille erfolgt: Ein Sich-Hineinbegeben in eine 'rituelle Körperhaltung' : extravertiert und introvertiert ein Bild (er)schaffend - vorgegeben als neolithische Figur -; dabei ein permanentes im-Presto-Rasseln im Ohr; wobei aus der Körperhaltung eine visionär-tranceartige - dramaturgischen Gesetzen folgende - Eigendynamik erwächst. Dies ist empirisch der Punkt, wo uns schon der 'Schamanen-Künstler' des Paläolithikums eine Bild- und mittlerweile erwiesene Klangsprache hinterlassen hat, und aus welchem die Tendenz abzulesen ist, "geistige Wahrheiten darzustellen", so Andreas LOMMEL, "die zu einer Vergeistigung der Kunst führt". *2

BB:
Wie kann der zeitliche Ablauf der Performance in den zeitlichen Zustand einer Installation überführt werden? Zumal die Klänge während der Performance zeitweise ruhen und in der Installation ein permanentes, endloses Moment darstellen?

NWP:
Die Dimension der Zeit für meine akustisch-skulpturale Arbeit 'Vasí-on' (der Titel ist ein Wortspiel, das u.a. auf dem neugriechischen Begriff der Grundlage vasis und dem lateinischen Ausdruck des Wandels vasion basiert) ist schon dadurch charakterisiert, wenn Sie diese diversen Zeitbegriffe anführen: einen 'zeitlichen Ablauf'; einen 'zeitlichen Zustand'; ein 'zeitweises Ruhen'; eine 'permanente, endlose Zeit'.

Ich möchte ein Beispiel anführen, welches diese Dimension von Zeit zu veranschaulichen hilft. Die Epoche der paläolithischen Höhlenmalerei ist ein für mich faszinierendes Zeitstadium, welches gleichzeitig die Intention meiner jetzigen künstlerischen Arbeit ausdrückt. Welcher Zeitbegriff spielt eine Rolle für den Wandel der Kunst, wenn es zu bedenken gilt, dass beispielsweise die Darstellungen der Nashörner in der Grotte CHAUVET (im Ardèche-Tal) zeitlich weiter entfernt sind zu den Wisentbildern der Höhle NIAUX (in der Ariège) als die gesamte Schaffensphase NIAUXs wiederum von unser heutigen Kunst?*3 Was ist Zeit, als integratives Moment, wenn wir uns mittlerweile veranschaulichen können, dass vokale und perkussive Rituale in den Höhlen stattgefunden haben, die, wenn auch temporär-schamanistisch, so doch visionär-immerwährend, das Weltbild eines Menschen beschreiben, der wie wir heute, mit dem gleichen vegetativen Nervensystem ausgestattet ist?

BB:
Ich möchte noch einmal auf den skulpturalen Aspekt Ihrer Arbeit zu sprechen kommen, auf den Raum des Pavillons. Sie haben den Raum des Pavillons vermessen. Wenn ich es richtig verstanden habe, hatten Sie dabei zwei Ziele: im Zentrum ein in Nord-Süd-Richtung gerichtetes Fünfeck und im Verhältnis des Goldenen Schnittes einen Kreis. Haben Sie sich in diesem Fall so wie in Ihrer Arbeit "Mae TavoLik" auch auf geomantisch 'ver-mutete' Architekturen und Räume bezogen?

NWP:
Die Klanginstallation "MaeTavoLik", 1998 realisiert in der 'Mulde' des Aachener 'LUDWIG-FORUM FÜR INTERNATIONALE KUNST', war ein wichtiger und neuer Aspekt für mich, um zu zeigen, wie wichtig der Ort und die Umstände selber sein können. Bei der Vorbereitung zu jener Arbeit war immer mehr zu spüren, dass plötzlich alles und jedes – Personen, Orte, Gedanken – ihre Vernetzung miteinander offenlegten, erschlossen mit Hilfe der 'geomantischen Ver-mutung' (als Wünschelrutengänger) einer neolithischen 'Langhaus-Tempelanlage' in der Nähe von Aachen. 'Kraftlinien' stellten dabei in ihrer Vernetzungsstruktur die Verbindungen her – welche selbst bis in den Wohnbezirk des Forums-Direktors hineinreichten; verwandte Linien, wie die prägnante 'Mondlinie' aus dem Altarbereich der trapezförmigen Langhausanlage (15 x 63 x 21m) 'tauchten' dabei plötzlich wieder im 'Geviert' des Forumsbereichs auf.

Für meine Begriffe ist hierbei Skulptur, wenn ich den intermediären Begriff der frühen 60er Jahre weitertransportiere, auch ein (Gefühls- und) Gedankenkonstrukt geworden, das darüber hinaus die Idee der 'Sozialen-/Wärme-Plastik' – im BEUYS'schen Sinne – aufgreift und weiterentwickelt. *4

'Vasí-on' ist ein solcher skulpturaler Prozess, der seit meinem Besuch der Donaueschinger Musiktage 1998 in Gang gebracht worden ist. Der Ort SCHLOSSPARK, in diesem Falle der Bezirk des Pavillons, ist in meinem Wahrnehmungsverständnis ein feminin ausgeprägtes Kleinod: ein Platz, in dem das Yin sehr stark dominiert, was auch schon seine Historie vermuten' lässt. Mit den Planeten Venus und Mond korrespondierende und durch die Landschaft mäandrierende Linien tangieren die Architektur – oder vielmehr wird die Architektur bewusst dort plaziert worden sein, was sich auch anhand der exakten Ausrichtung des klassizistischen Kubus auf zwei sich kreuzende Kraftlinien nachvollziehen lässt (siehe Abbildung 1).

Das war die Vorgabe, die mich dazu veranlasste ein – bereits ablegtes – Thema noch einmal aufzugreifen: CHOPINs Nocturne Nr. 11, g-moll, opus 37,1, als magisch-kompositorisches Spiel mit der Zahl 5, mit dem Goldenen Schnitt, der Fibonacci-Reihe und dem Ton-Anagramm seines Namens (siehe Abbildung 2). Bei der Anleihe an Chopins ausgefeilter Kompositionsstruktur ist es nur natürlich, dass eine mehrdimensionale Ausrichtung eine analoge Systemstruktur zu entwickeln sucht. Akustisch-skulptural und dramaturgisch wird dabei eine vielschichtige Szenerie geschaffen, die in ihrer visuellen Formsprache auf einfache geometrische Muster reduziert und die in ihrer auditiv plastischen Ausprägung auf eine subliminale Rezeption meiner 'Geräuschmusik' ausgerichtet bleibt.

BB:
Welche Funktion hat diese Vermessung im Hinblick auf das Nachtstück und das Tagstück?

NWP:
Wenn wir heute über die Funktion einer 'Vermessung' eines Ortes sprechen, möchte ich ein Beispiel aus der paläolithischen Höhlenmalerei anführen, das dies zu veranschaulichen sucht. Nehmen wir den Fries der 'gepunkteten Pferde' (siehe Abbildung 3) in der Höhle PECH MERLE (Cabrerets, Lot): Zu allererst wurde eine Wand im Dunkel der Höhle vorgefunden, auf die der 'Schamanen-Künstler' die Umrisse eines Pferdekopfes in Stein 'erkannte'. Zum anderen hat er 'festgestellt', dass diese Stelle bemerkenswerte akustische Eigenschaften besitzt: "The mirror-image symmetry of the centrally located spotted horses agrees well with the uniform sound reflections." *5 Der Fries, wie er sich heute darstellt, hat uns vermutlich eine vielschichtige Aussage hinterlassen, so als kosmisches Kalendarium mit dem Wissen um den 51,5° 'Basis-Winkel'; als schamanistisch-visionäre Beschreibung einer Seelenfahrt in die Ober- und Unterwelt, um nur zwei zu nennen.

BB:
Kann man sagen, dass für Sie der zeitliche Ablauf einer Performance oder eines Rituals in der permanenten, immerwährenden Zeit aufgehoben ist bzw. dass diese 'permanente, endlose Zeit‘ im Nachtstück durch ein schamanistisches (Aktions-) Ritual zum Vorschein gebracht wird und im Tagstück wie eine Art Echo widerhallt?

NWP:
Als lexikalischer Begriff kommt das Tagstück nicht vor. Erst aus der Gegenüberstellung mit dem Nachtstück – womit nebenbei auch die Kriterien der Sonatenhauptsatzform berührt werden – ergibt sich das bereits erwähnte Spannungsfeld, wobei das Nocturne häufig als träumerisch umschrieben, bisweilen auch mit den Stimmungen eines lyrisch-wehmütigen Charakters verbunden wird.

Damit ist gewährleistet, dass ich zwar den musikkompositiorischen Impetus berühre, um ihn aber für den Betrachter/Zuhörer auf ein letztes subtiles Erinnerungsmoment zu reduzieren. Als "Erscheinung einer Ferne, der Aura", im BENJAMIN'schen Sinne, "so nah das sein mag, was sie hervorruft". Gleichzeitig wende ich mich dem Ritual zu, heimlich, in der Reduktion auf einen spirituellen Standpunkt, ein Auf-Spu(e)ren, als "Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ". *6

Das Träumerische des Nocturne – das Relikt aus der Traumzeit/der Vision (Vasí-on)/der Trance – ist zu allererst ein dunkler, heimlicher Vorgang; ein "Auftauchen aus dem Hinströmen des absoluten Zeitflusses" (HUSSERL) *7. Als visuelle Projektion ‚hallt' es als Tagstück von den Wänden 'wider': "Das Sonderbare des Geheimen wird abgesondert, wird räumlich", und damit im Anklang an FLUSSER, "ausgeschnitten aus dem profanen Gemeinraum". *8

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SWR