Sie pflegen die Kunst der Andeutung: das Leben zwischen den Tönen, zwischen den Beats. Und beide Trios verfolgen dieses Ziel auf ihre ganz spezielle Weise. Eine gewisse Kargheit ist den zwei Formationen eigen – jedenfalls angesichts der aktuellen Tendenz zu ungehemmter Klangverfettung, zu rasanter Beschleunigung und zu jener Strategie, den Hörer eher zu überwältigen, als seinen Intellekt und sein Gespür für die feine Differenz zu respektieren.
In ihrer improvisierten Musik folgt das 1987 in Australien gegründete Trio The Necks den Spuren des Unmerklichen – in langsamen Bewegungen, bei denen die Instrumentalisten hinter die von ihnen geschaffene Musik zurückzutreten scheinen. Sie spielt sich von selbst, auf gewisse Weise, denn ihr fehlt vollkommen das Moment des Forcierten; es fehlt auch jede Andeutung einer Expressivität, die so wohlfeil im Angebot der handelsüblichen Rezepturen liegt. Stattdessen inszenieren Pianist Chris Abrahams, Bassist Lloyd Swanton und Perkussionist Tony Buck ihre – meist eine knappe Stunde dauernden – Stücke mit äußerster Subtilität und zwingender Eleganz.
Gewiss, ihre Musik ist „minimal“, wenn man sie an der Hochgeschwindigkeitsartistik notorischer Selbstentäußerungskünstler misst. In ihr kehren bestimmte Motive immer wieder; mal sind diese selbst leicht variiert, dann wieder hat sich im Lauf des Stückes ihr Stellenwert verändert. Und doch verbietet sich von selbst das Etikett des „Minimalismus“, der so oft von den archaischen Ekstasen des Wiederholungszwangs zehrt. So verschieden die klangliche Natur der Stücke von The Necks auch sein mag, so ist ihnen allen ein zentrales Thema gemein: die Befreiung der Wahrnehmung aus dem Korsett der Zeit. Es ist, als durchwandere man eine von Kronos befreite Seelenlandschaft, in der einige Punkte emotional aufgeladen, andere gänzlich distanziert erscheinen.
Dieses Moment der Distanz, ja fast könnte man von einer Selbstdistanzierung sprechen, findet sich auch in der Musik des Kölner Vibraphonisten, Keyboarders und Elektronikers Burnt Friedman (ursprünglich Bernd Friedmann). Er hat sich im Lauf der Jahre etliche Pseudonyme zugelegt, verschwand als Person hinter vielen Projektnamen, die wiederum seine zahlreichen Stilaspekte repräsentierten. Dieser Griff zu einem “nom de guerre” ist mehr als nur ein listiges Verwirrspiel. Vielmehr steht in der Praxis des Pseudonyms das Prinzip „Identität“ selbst zur Disposition; eine Identität, von der wir gewohnt sind, dass sie sich meist vor die Musik drängt: in der Popmusik als Image, im Jazz als „Selbstausdruck“. Besonders seine Aufnahmen mit dem Projekt Flanger streifen auf eine verspielte Weise die Nähe zum historischen Jazz – ganz so, als wolle er hier die Identitätsfrage für ein ganzes musikalisches Genre und dessen Geschichtsschreibung aufwerfen: als Neuinszenierung einer vergangenen Unschuld aus dem Geist der Ironie.
Es ist eine Haltung, die nichts Despektierliches an sich hat, ganz im Gegenteil: Besonders die beiden Alben Secret Rhythms und Secret Rhythms 2, die er mit dem Schlagzeuger Jaki Liebezeit produziert hat, erzählen viel von der klugen Balance zwischen Spontaneität, Improvisation und sorgfältiger Formgestaltung. Liebezeit, früher in der legendären Rock-Band Can, ist ein Präzisionsschlagzeuger der besonderen Art; einer der nicht im Übermaß der dahinprügelnden Überwältigungsstrategie folgt, sondern ein wahres Wunder an subtiler Selbstbeschränkung ist – durch seine Konzentration auf das Wesentliche. Er liebt die ungeraden Metren, jene „geheimen Rhythmen“, die gar nicht so geheim sind, vielmehr im 4/4-Einheitswahn der populären Musik schlicht vernachlässigt werden. Dank seiner eleganten Tonkultur, der intellektuellen Klarheit und einer intuitiven Formgestaltung hat sich der in Neuseeland geborene Saxophonist Hayden Chisholm innerhalb weniger Jahre in den Kreis der kreativsten und eigenständigsten Jazzmusiker weltweit gespielt. Immer wieder hat er mit Friedman zusammengearbeitet – aber öfter noch findet man ihn im Umfeld freier Improvisation, etwa bei Projekten des Posaunisten Nils Wogram oder im Verbund mit dem Saxophonisten Frank Gratkowski.
Beide Trios besitzen eine je eigene Affinität zum Rhythmus und zur Rockmusik. Und doch sind sie meilenweit von dieser entfernt: durch die Komplexität der verwendeten Metren und deren dramaturgische Inszenierung, die jenen hypnotischen Sog erzeugt, den der Titel des Projekts verspricht. In beiden Trios finden wir mithin Musiker, die sehr individuelle Stilpräferenzen pflegen – die ihre Variabilität jedoch in jeweils komplex gestaltete, facettenreiche Unkategorisierbarkeiten fokussieren: Musik von schierer Präzision für den wachen Geist.
Harry Lachner
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