Ein verkörperter Augenblick: ein intensiv strukturiertes Bewusstsein der Gegenwart und der puren physischen Existenz des Körpers in dieser Gegenwart. Eine Kristallisation des Jetzt, ein Zeitpunkt, zu dem wir uns daran erinnern, dass wir lebendig und nicht alleine sind. Ein Überbewusstsein der Zeit und des Selbst, das zugleich beides auslöscht, kurz anhaltend, auf des Messers Schneide dessen, was war und was sein wird, jeder Herzschlag unwiederbringlich, jeder Atemzug ein memento mori. Meine Musik versucht genau einen solchen Wahrnehmungsraum zu ermöglichen, in dem jeder dergestaltige persönliche Erfahrungsmomente erleben kann.
Das englische Wort "witness" kann sowohl als Nomen als auch als Verb verwendet werden. "A witness" – zu Deutsch ein Zeuge – ist ein Beobachter, oft von einem Verbrechen, wohingegen das Verb "to witness", wie es im Stücktitel in seiner konjungierten Form gemeint ist, eine Aufforderung ist: "Nimm wahr!", ein Aufruf, die Welt und jeden anderen mit größter Aufmerksamkeit zu betrachten. Jenseits der offensichtlichen Wahrnehmungsaufmerksamkeit durch das Publikum als Zeuge der Aufführung zielt das Konzept in der Komposition auf die intensivierte Koordination der Musiker untereinander, die zur Realisation des Stückes erforderlich ist. Ein Großteil der Partitur basiert auf Einsätzen durch gegenseitiges Zuhören und weniger auf einem exakt ausnotierten Puls, der das Stück vorantreibt. Nur durch die gemeinsame Bewegung der Körper des Quartetts, die jede noch so kleine Aktion des anderen zu beobachten haben, wird es möglich, dass die von ihnen kontrollierten "Klangkörper" ("bodies of sound") ineinander übergehen, einander umhüllen und dabei wechselseitig ihr angestammtes Klangbild umformen – dabei möglicherweise die anderen im Raum anwesenden Körper dazu anleiten, die zarte Spannung der Muskeln, Fett und Blut umschließenden Haut oder die Wärme des Ausatmens auf den Lippen mit verstärkter Intimität zu empfinden.
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- Donaueschinger Musiktage 2012
- Themen in diesem Beitrag
- Mark Barden, witness. Quartett für Sopransaxophon, E-Gitarre, Schlagzeug und Klavier Günter Grass und Ensemble Nikel gewidmet
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- Mark Barden über sein Werk "witness."