Donaueschinger Musiktage 2007 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2007: "...sentiers tortueux..."

Stand
Autor/in
Michael Pelzel

Vor der konkreten kompositorischen Arbeit am vorliegenden Stück bin ich zufällig mit diversen Abbildungen und Skizzen von Projekten des Architekten Frank O. Gehry in Kontakt gekommen. Was mich neben der skulpturalen Gesamtwirkung seiner Gebäudekonzepte besonders interessierte, ist die Illusion einer Synchronizität von Statik und Bewegung. Viele seiner Bauten scheinen sich "bewegen" oder gar "zerfließen" zu wollen. Der vertraut gewohnte "feste" Aggregatzustand eines Gebäudes wird durch geschicktes Verbiegen und Verdrehen bekannter Formen scheinbar unterlaufen. Der subtile Gegensatz scheinbar organischen "Wuchses" und strenger, klarer Konzeption unter Berücksichtigung der statischen Gesetze scheint die spielerische Leichtigkeit und Faszination seiner Arbeiten auszumachen.

"vertraute Formen – verdrehte Perspektiven – zwei Klaviere im Sechsteltonabstand."
Im ersten Formteil des Stückes "...sentiers tortueux..." habe ich nebst der Tatsache, dass einer der beiden Flügel um einen Sechstelton tiefer gestimmt ist, mit einer Klavierpräparation gearbeitet. Zielsetzung ist hierbei nicht, einen möglichst heterogenen Klangapparat mit verschiedensten Klangfarben im Cageschen Sinne zu erhalten, sondern eher, eine Art andere Registrierung der Klavierklangfarbe zu finden. Ich habe ausschließlich mit Blindnieten verschiedener Durchmesser gearbeitet. Ein bis zwei Nieten werden zwischen die Saiten geklemmt, woraus gongartige Klänge resultieren. Wenn nur eine Niete bei einer dreifach bespannten Saite zugefügt wird, entstehen zwei verschiedene Tonhöhen, wobei die zweite, nebst der von der Normalstimmung her gegebenen, im bestimmten beschränkten Ambitus frei wie eine Violinsaite stimmbar ist. Eine Tatsache, welche ich mir bei der harmonischen Konzeption des Stückes zu Nutze gemacht habe. Neben den beiden Klavieren sind anfänglich auch die jeweils tiefsten beiden Saiten jedes Instruments mit einer selbst gebauten "Draht-Büroklammer" verfremdet. Es entstehen nasale, grundtonarme, gongartige Klänge, vor allem beim Pizzicato-Spiel. Unter Verwendung dieses Klangapparates ist der erste Teil nun quasi ein kleines Konzert für "Gong-Orchester", in welchem die gerade beschriebenen Klavier- und Streicherklänge zusammen mit dem Schlagzeug verwendet und verschiedene Klangmischungen erzielt werden, welche nur aufgrund dieser Präparierung möglich sind.

Im zweiten großen Formteil kehrt sich die Funktion der Klavierpräparierung sozusagen ins Gegenteil um, indem sie quasi zur Hilfskonstruktion zugunsten eines anderen Zwecks wird. Die meisten präparierten Töne werden in einer Spielpause der Klaviere vor dem zweiten Teil entfernt. Ich wollte nun einen Klaviersatz schreiben, welcher es mir ermöglicht, bei virtuosem Spiel verschiedenste mit dem sechsteltönigen Instrumentarium darstellbare Intervallabstände und Skalen schnell und spielpraktisch zur Verfügung zu haben. Ziel war es also, einen Klaviersatz zu entwerfen, welcher durch "Perforation" einer durchlaufenden Pulsation und die entsprechend komplementäre "Perforation" des anderen Instrumentes den ganzen 24tönigen Vorrat in beliebigen Intervallfolgen linear durchschreitet und somit sinnvoll ausnutzt. Ligeti hat in der Etüde Touches bloquées mit blockierten Tönen und stumm gedrückten Tasten etwas Ähnliches schon gezeigt. Für mein Stück wäre jene an sich sehr effektive Technik ungeeignet gewesen, u.a. wegen zu schneller Registerwechsel. Ich habe mich in diesem Stück daher für die Teilpräparierung der Instrumente entschieden. Jeweils immer in die "Leerschläge" auf die präparierten Töne klingt ein Ton komplementärrhythmisch im jeweils anderen Instrument. Dies ermöglicht nun die benötigte Spielweise auch in virtuosem Tempo. Ich habe dann verschiedenste "Skalen" mit dem mir zur Verfügung stehenden Material angewandt. Die präparierten Töne verursachen beim Anschlagen perkussive Geräusche, welche diesen Passagen ein eigenartiges, vielleicht maschinistisch-exotisches Gepräge verleihen. – Vielleicht Bekanntes neu beleuchtet.

Stand
Autor/in
Michael Pelzel