Aeneis VI, 268:
"Ibant obscuri sola sub nocte per umbram
perque domos Ditis vacuas et inania regna:
quale per incertam lunam sub luce maligna
est iter in silvis, ubi caelum condidit umbra
Iuppiter, et rebus nox abstulit atra colorem."
"Sie gingen, nur vom Dunkel der Nacht umgeben, durch den Schatten, durch den öden Palast des Dis und sein wesenloses Reich: So bietet sich ein Weg im Wald bei vagem Mondschein in zweifelhaftem Licht dar, wenn Iuppiter den Himmel in Schatten gehüllt und die schwarze Nacht den Dingen die Farbe geraubt hat." (Übers. E. u. G. Binder)
Die wegen ihrer rhetorischen Virtuosität kaum übersetzbare Anfangszeile dieses Abschnitts beschreibt die ersten Schritte des Aeneas in einem grausamen und trostlosen Chaos, dessen phantastische Szenarien uns Vergils technische Sorgfalt vergessen lassen. In langsamen, assonanzenreichen Silben ertastet der Autor eine ungewisse Welt. Der Weg seines Helden – topographisch kaum nachvollziehbar – wird bestimmt von dessen Hoffnung, die Zukunft gestalten zu können. Und doch richtet sich Aeneas' Blick gegen den Strom der Zeit, anachronistisch, immer wieder zurück auf Vergangenes.
Gehen lernen. In der eigenen Bewegung ein Maß finden, das Halt verspricht, wenn Unbeschreibliches und Verbrauchtes, Erhabenes und Absurdes, Empfindsames und Monströses den Umgang mit Unvereinbarem erzwingen. Zu begreifen, wie sich dieses Maß mit jeder neuen Gliederung ändert und es Zeit zu nennen. Die Abschnitte des Stückes kontrastieren in Material und Schreibweise schroff. Allein die Hoffnung, die Spannkraft antithetischer Beziehungen möge die Fülle der Phänomene zusammenhalten, erlaubte es, die eigene Mitte nicht vorauszusetzen, sondern zu suchen.
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- Hanspeter Kyburz, Ibant obscuri für großes Orchester
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