Donaueschinger Musiktage 2011 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2011: "Die 50 Skulpturen des Institut fuer Feinmotorik"

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Institut fuer Feinmotorik

Institut fuer Feinmotorik

Wir, das Institut fuer Feinmotorik, sind ein Künstlerkollektiv, das in verschiedenen Formationen an diversen Formaten arbeitet. Die größte Aufmerksamkeit erlangten bisher unsere Experimente mit präparierten Schallplattenspielern, welche mit allen möglichen Bastel-Materialien, aber konsequent ohne Schallplatten bespielt werden.

Das Octogrammoticum

Obwohl wir uns seit unserer Gründung (1997) dem Konzept der präparierten Plattenspieler widmen, haben wir immer wieder versucht, uns neu zu erfinden: Wir haben Experimentalfilme veröffentlicht, ein Buch herausgegeben, Ausstellungen kuratiert, Workshops für Kinder veranstaltet, mit verschiedenen Musikern und Klangkünstlern kooperiert sowie Klangskulpturen gebaut. Diejenige Skulptur, mit der wir immer wieder intensiv experimentiert haben, ist das OCTOGRAMMOTICUM (Octo = Acht, Grammo = Abk. Grammophon, -ticum = Suffix): Ein Versuchsaufbau aus 8 Plattenspielern und 4 DJ-Mischpulten, alles auf einen Tisch gepackt, wobei die Plattenspieler mit allen möglichen Haushaltsmaterialien präpariert werden (Klebeband, Büroklammern, Papierschnipsel und Klebeetiketten, Gummibänder und Drahtspiralen etc.). Wir haben gelernt, diesen Tisch mit dem ganzen Krimskrams als unser selbstgebautes Instrument zu betrachten und damit Geräusche und Klänge zu erzeugen, die oftmals spröde und karg anmuten, aber doch eine ganz eigene Qualität und Anmut besitzen.

Institutionalisierte Freundschaft als improvisierter Prozess

Wenn wir an diesem vollgepackten Tisch namens Octogrammoticum stehen, improvisieren wir. Wir lernen uns neu kennen und entlarven uns als alte Bekannte. Es ist ein wenig wie das Abendessen einer Familie, bei dem nicht gesprochen wird, sondern darüber kommuniziert wird, was man weiterreicht. Doch niemand fragt: "Kannst du mir mal die Butter..?", sondern jeder reicht Käse, Pfeffer oder Gsälz, wie er es gerade für richtig hält. Oder wie bei einem alten Ehepaar, bei dem ein prekäres Gleichgewicht der Normalzustand ist. Durch diese Arbeitsweise von "institutionalisierten Freunden" entstand meist ein kontinuierlicher Strang akustischer Interaktionen, die sich vermischten, ineinanderflossen, überliefen, sich auf- und abbauten und irgendwann abrissen. Doch diesmal wollten wir etwas anderes.

Von der Arbeit am Material zur Studiotechnik

Als der SWR uns einlud, im Vorfeld des Arts Birthday 2011 einige Tage die Infrastruktur des ZKM für unsere Forschungen zu nutzen, haben wir uns erstmalig dazu entschieden, unsere Basteleien mit dem Octogrammoticum im Mehrspurverfahren aufzunehmen. Auch wenn es manchmal so klingen mag: Wir haben bei der Arbeit mit den präparierten Plattenspielern noch nie Effekte eingesetzt. Zwar wollten wir auch diesmal bei der Einspielung des Rohmaterials für die vorliegende Arbeit puristisch bleiben, um die unterschiedlichen Geräusche, Klänge und akustischen Texturen in ihrer Eigentümlichkeit aufzuzeichnen. Doch entschieden wir uns nach der Sichtung des Materials, einige rudimentäre Möglichkeiten wie Schnitt, Trennung der einzelnen Spuren sowie Mehrspurabmischung zu nutzen, um uns einen neuen Umgang mit dem Material zu ermöglichen. Wir stellten uns die Aufgabe einer präzisen akustischen Analyse: Was interessiert uns an diesem Material in Bezug auf den Klang und welche neuen Möglichkeiten ergeben sich durch einige simple Techniken der Studiobearbeitung hinsichtlich der Strukturierung des Materials? Es waren einerseits die bereits erwähnten, unverkennbaren klanglichen Eigenschaften, welche unsere Arbeit mit dem Octogrammoticum immer angetrieben hatten. Wir begannen dieser Qualität nachzuspüren. Statt Klänge übereinander zu schichten, versuchten wir sie herauszuschälen, damit sie sich in eigenständigen Gebilden entfalten und sich in ihrem eigenen Licht erhellen können. Andererseits bemerkten wir während dieses Prozesses, dass wir mit einer "musikalischen" Herangehensweise nicht weiterkommen und wir uns die Frage nach den Möglichkeiten außermusikalischer Kompositionsprozesse zu stellen hatten!

Von der Arbeit mit der Klangskulptur zur Erarbeitung von Klangskulpturen "zweiter Ordnung"

Die Lösung kam vom Octogrammoticum selbst: Wir machten uns daran, den Begriff der Klangskulptur, welcher in traditioneller Weise auf unser Instrument angewendet werden kann, als akustischen Begriff nutzbar zu machen und als Kompositionsmodell zu verwenden. Wir wollten Skulpturen aus Schall anfertigen, und keine musikalischen Kompositionen. Wie Bildhauer schnitten wir aus groben Blöcken langer Mehrspuraufnahmen kleinere, filigranere Figuren heraus, entfernten ganze Spuren, nahmen einzelne Fragmente aus ihrem Zusammenhang und ließen sie als singuläre Entitäten für sich selbst sprechen. Sie sind die wahren Kinder des Octogrammoticums: Klangskulpturen, die auf eigenen Füßen stehen! Mit diesen Skulpturen kehrt das Institut zu seinen Wurzeln zurück: zum Experiment mit Geräuschen, die nicht zwingend als Musik interpretiert werden sollen: zur Faszination akustischer Ereignisse! Diese Klangskulpturen "zweiter Ordnung" (da es sich um akustische Skulpturen handelt, deren Material auf unserer Klangskulptur eingespielt wurde) sind nicht physisch, doch weisen sie physische Qualitäten auf. Sie wollen nicht ineinanderfließen, sondern nebeneinanderstehen. Sie haben keine festen Standorte, keine vorbestimmte Reihenfolge. Es handelt sich um eine Skulpturensammlung, die immer wieder neu kuratiert werden kann, indem man die Reihenfolge der Stücke ändert, indem man die Länge der Pausen definiert, indem man eventuell sogar einzelne Skulpturen eingelagert lässt und nur einen Teil der Sammlung "ausstellt".

Das Resultat in Form einer temporären Ausstellung

Wir haben 49 einzelne Klangskulpturen in einem Ordner gelagert. Das ist die Skulpturensammlung, die wir aus dem Rohmaterial, den Aufnahmen aus dem ZKM, herausgearbeitet haben. Diese Sammlung und die Möglichkeit, sie auf verschiedene Arten immer wieder neu ausstellen zu können, ist das zentrale Element dieser Arbeit. Diese 49 akustischen Skulpturen zusammen mit der einen Klangskulptur, auf der das Material eingespielt wurde (Octogrammoticum), ergeben die 50 Skulpturen im Titel. Zusätzlich haben wir eine "Ausstellung" kuratiert: alle 49 Skulpturen der Sammlung wurden in einer Reihenfolge zusammengestellt und passende Abstände zwischen den einzelnen Skulpturen definiert. Es handelt sich hier um eine Möglichkeit, diese Skulpturen auszustellen – eine von den Künstlern selbst kuratierte Version.

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Institut fuer Feinmotorik