„Sie müssen den Hörer anmachen!“
Voller Begeisterung hatte ich als 17-Jähriger sein „Jazzbuch“ gelesen, und als ich 1980 ein Praktikum in seiner SWF-Redaktion in Baden-Baden machte, holte er mich zum Abschluss in sein Büro. „Herr Huesmann“, sagte er, „was ich Ihnen jetzt sage, mag vielleicht zynisch klingen. Aber es ist wichtig: Sie können schreiben, was Sie wollen, aber eines muss es haben: Stil muss haben.“ Er gab mir Tipps und schloss mit den Worten: „Herr Huesmann. Sie müssen den Hörer anmachen!“
Wie kein anderer das Bild vom Jazz in Nachkriegsdeutschland geprägt
Den Hörer „anmachen“ – Berendt konnte das. Intim, sanft, raunend. Berendts Stimme, das war der Sound des Verführers und Verkünders. „Hallo, liebe Jazzfreunde“, so begann er seine Sendungen. Es war, als würde ein Vertrauter zu einem sprechen. Wie kein anderer hat Joachim-Ernst Berendt im Nachkriegsdeutschland das Bild vom Jazz geprägt. Über vierzig Jahre hinweg war er die führende Stimme, die einem wachsenden Publikum erklärte, was Jazz ist, was diese Musik bedeutet und welchen Stellenwert sie in der Kunst hat.
Jazz war für Berendt der Sound von Freiheit, Individualität und Toleranz
Jazz war für den 1922 in Berlin geborenen Berendt kein Sound, der unterhaltsam im Hintergrund plätschert. Jazz war für ihn politische Musik. Seismograf und Katalysator für gesellschaftliche Entwicklungen. Eine Musik, die wie keine andere steht für Freiheit, Individualität, Toleranz, für kulturellen Austausch und demokratische Werte.
Die Gräuel der Nazi-Zeit prägten Berendts Blick auf den Jazz
Das hatte mit seinen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Gräuel der Nazi-Zeit, in der Jazz geächtet und unterdrückt wurde, hatten sich tief in seine Biografie eingeschrieben. „Ich wuchs ja in dieser Familie des Widerstandes auf.“ erzählte er. „Mein Vater war Pfarrer, einer der wichtigen Leute der Bekennenden Kirche, des Widerstandes der evangelischen Kirche. Er ist im Konzentrationslager Dachau getötet worden. Und von dort ging es dann tief in den Jazz hinein, gleich von 1945 an, sofort nach dem Krieg.“
Über 10.000 Jazzsendungen für den Südwestfunk moderiert
Über 10.000 Jazzsendungen hat Berendt für den Südwestfunk moderiert, zu dessen ersten Mitarbeitern er gehörte. Legendäre Sendereihen sind so entstanden, die „Jazztime Baden-Baden“, die „SWF-Jazz-Session“, seine wegweisende Reihe „Jazz & Lyrik“. Aber der Anfang war schwer: „Ich weiß noch, wie ich 1946 meine ersten Jazzsendungen gemacht habe. Gleich am ersten Sendetag habe ich eine gemacht, da kamen Briefe. Ich sollte vorsichtig sein, wenn ich nachts nach Hause ginge, sonst würden mir ein paar gute deutsche Männerfäuste den rechten Rhythmus, wohlgemerkt, den rechten, beibringen“.
Als Musikvermittler war Berendt ein Besessener
Die Radioarbeit allein genügte Berndt nicht. Sein „Jazzbuch“ ist mit einer Auflage von über einer Million war das meistverkaufte Musikbuch der Welt. Aber auch als Konzertveranstalter und Festivalmacher trieb er die Entwicklung voran. Berendt initiierte und leitete die Berliner Jazztage, das heutige Jazzfest Berlin. Er sorgte auch dafür, dass der Jazz einen regelmäßigen Platz bei den Donaueschinger Musiktagen bekam. Auch das Klanglabor „New Jazz Meeting Baden-Baden“ ist eine Erfindung von Joachim-Ernst Berendt.
1966 Joachim-Ernst Berendt gegründet: Das SWR NEWJazz Meeting
John Coltrane und Thelonious Monk ins Fernsehstudio nach Baden-Baden geholt
Seine Fernsehreihe „Jazz gehört und gesehen“, in der John Coltrane und Thelonious Monk auftraten, lief drei Jahrzehnte lang zur besten Sendezeit in der ARD. Berendt produzierte über 130 Schallplatten, organisierte für das Goethe-Institut Tourneen, die deutsche Jazzmusiker durch Asien und Südamerika führten. Er rief den SWR-Jazzpreis ins Leben, die älteste Jazzauszeichnung im deutschsprachigen Raum.
Vom Jazz zu Weltmusik und Spiritualität
Später wandte sich der „Jazzpapst“, wie er von manchen gerne genannt wurde, esoterischen Fragen zu, widmete sich dem Spirituellen und wurde zu einem glühenden Werber für ein bewussteres, tieferes Hören.
Die Anfang der 80er Jahre ausgestrahlte Sendereihe "Nada Brahma. Die Welt ist Klang" erzielte eine rekordverdächtige Publikumsresonanz. Im Anschluss an die Radiosendung gab Joachim-Ernst Berendt die ebenso erfolgreichen Bücher "Nada Brahma − die Welt ist Klang" und "Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt" heraus.
Woher nahm er nur diese Kraft, diese Energie? Berendt vermutete: Es lag auch an der Musik, die er jahrzehntelang im SWF-Radio (SWR) leidenschaftlich vermittelt hat: „Jazz ist Intensität“.