Spotify wächst weiter – und es ist kein Ende in Sicht
Daniel Ek, Chef und Mitgründer des Musik-Streaming-Dienstes Spotify, freut sich im Firmen-Podcast vom 30. Oktober 2020: Trotz Corona und Kultur in der Krise brummt das Geschäft des schwedischen Unternehmens, wie die Ende Oktober veröffentlichten Zahlen des dritten Quartals 2020 zeigen.
320 Millionen Menschen weltweit nutzen den Dienst regelmäßig darunter 144 zahlende Premium-Nutzer*innen, fast 30 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich. Die Kündigungsrate liegt bei 4 Prozent: Wer Spotify einmal abonniert, bleibt meist dabei. Und hört dabei immer länger, egal ob im Auto oder über den Assistant-Pod im Haus – was aber auch daran liegt, das Spotify sein Podcast-Programm im vergangenen Quartal weltweit stark ausgebaut hat.
Wachstum scheint das hauptsächliche Ziel des Unternehmens, denn wie Ek im Sommer 2020 im Interview mit der Zeitschrift „MusicAlly“ erklärte: „Man kann nicht alle drei bis vier Jahre einmal Musik aufnehmen und denken, dass das ausreicht.“
Bei den Künstler*innen kommt (fast) nichts an
Für unabhängige Musiker*innen bedeutet Vogels Ankündigung jedoch nicht, dass bei ihnen die Kasse klingelt: Wie mehrere Berechnungen aus von Künstler*innen veröffentlichten Daten ergeben, ist die Tantiemen-Rate nicht nur niedrig, sondern mit den Jahren weiter gesunken: Ende 2019 erhielt ein*e Musiker*in pro Stream nur noch rund 0,38 US-Cent (ca. 1/3 Euro-Cent).
Diese Rate ist nicht für alle Künstler*innen gleich, sondern kalkuliert sich daraus, welche Anteile die Rechteinhaber*innen an den gesamten, auf Spotify generierten Streams haben: Wer mehr Streams generiert – oder wer bei einem Label ist, das viele Streams generiert –, kann auch auf höhere Tantiemen-Raten hoffen.
Ohne Konzerte, nur mit Streams überleben? Unmöglich
Die Haupteinnahmequellen von Musikschaffenden bei Konzerten – Eintrittsgelder, Merchandising, Tantiemen der gespielten Lieder und verkaufte Alben – sind durch die Lockdown-Regelungen und Beschränkungen durch Hygiene-Konzepte seit März größtenteils weggebrochen. Der britische Finanzminister Rishi Sunak riet Künstler*innen im Vereinigten Königreich sogar, umzuschulen.
US-Kampagne will Spotify zu Zugeständnissen bringen
Die US-amerikanische „Union of Musicians and Allied Workers“ (UMAW) führt aktuell eine Kampagne gegen die Geschäftspraktiken des schwedischen Streaming-Dienstes: „Justice at Spotify“ hat bis 5. November 2020 über 17.000 Unterstützer*innen gesammelt, insbesondere aus der Indie-Pop- und Electro-Szene, darunter die Band Algiers, Moor Mother, Zola Jesus, Lorely Rodriguez von Empress Of, Frankie Cosmos, die Downtown Boys und das Kollektiv Discwoman.
Mehr zur „Justice At Spotify“-Kampagne der UMAW
Die UMAW, eine Art Gewerkschaft für Musiker*innen und andere Berufsgruppen in der Musikbranche wie Toningenieur*innen oder Roadies, wurde im Mai in den USA gegründet, um die Interessen dieser Gruppen politisch und gesellschaftlich zu vertreten. Auslöser der Gründung war die desolate Lage vieler Künstler*innen durch die Corona-Pandemie, ähnlich wie bei Initiativen in Deutschland und Europa, etwa #AlarmstufeRot und #sangundklanglos.
Die sechs zentralen Forderungen der UMAW an Spotify:
- pro Stream mindestens 1 Cent auszahlen,
- das Auszahlungsmodell soll sich an den tatsächlichen Streams per Künstler*in orientieren
- „Hinterzimmer-Verträge“ (bspw. mit einzelnen Labels) sollen offen gelegt werden
- Pay-to-Play-Möglichkeiten sollen zuerst offen gelegt und dann abgeschafft werden
- alle an den Aufnahmen beteiligten Musikschaffenden sollen verzeichnet und im System auffindbar werden (betrifft insbesondere Toningenieur*innen, Arrangeur*innen, ...)
- die laufenden Gerichtsverfahren, mit denen Spotify die Anteile mancher Künstler*innen beschneiden will, sollen beendet werden.
Wer mehr Plays will, muss auf Tantiemen verzichten
Ob als Reaktion oder einfach nur zur Unzeit kündigt Spotify nun sein neuestes Feature an: Über eine Art Pay-to-Play-System können Künstler*innen ihre Stücke in den Autoplay- und Radio-Playlisten besser platzieren – den Listen also, die das Herzstück der algorithmus-gesteuerten „zufälligen Musik-Entdeckungen“ auf Spotify sind.
Das Feature, das vorerst probeweise in den USA anlaufen soll, erlaubt den teilnehmenden Künstler*innen, ihre Tracks durch eine Art Tag-System besser in den passenden, personalisierten Playlisten zu platzieren und damit zu pushen. Als Gegenleistung müssen sie eine reduzierte Tantiemen-Rate („promotional recording royalty rate“) auf den gepushten Tracks akzeptieren. Spotify behält sich vor, das Feature auch auf weitere Länder auszudehnen und bei anderen Playlist-Konfigurationen einzusetzen.
Heißt: wer es sich leisten kann, mit noch geringeren Tantiemen auszukommen, hat die Möglichkeit – ganz vielleicht, denn Platzierung und Plays sind nicht garantiert – mehr User*innen vorgespielt zu werden und über mehr Streams den finanziellen Verzicht wettzumachen.
Musiker*innen gegen kostenlose Musik online
Um dem Entwertungstrend zumindest symbolisch etwas entgegen zu setzen, plädiert Markus Schumacher, Musiker und Manager der Freiburger Band Äl Jawala, dafür, dass Musiker*innen im Lockdown-Monat November auf die Veröffentlichung von „Gratis-Musik“ online verzichten.
Die eher in der unabhängigen und DIY-Szene verortete Musik-Plattform Bandcamp setzt ebenfalls auf ein anderes Modell: Sie verzichtet jeweils am ersten Freitag des Monats auf ihren Erlösanteil, sodass der Verkaufspreis direkt den Künstler*innen zugute kommt. Was als vereinzelte Aktion begann, soll nun laut Ankündigung bis Ende des Jahres fortgeführt werden.