Paris: Ein Traum in Rosarot
„La Vie en rose“, das Leben in Rosa, so stellt man sich Paris nicht erst seit Édith Piaf vor. Auch Balzac und Flaubert trugen dazu bei, das Bild von Paris als Stadt der Liebe und als romantische Idylle zu kreieren.
Paris ist aber auch eine Stadt voller Widersprüchlichkeiten und sozialer Ungerechtigkeit. 2023 waren rund zwanzig Prozent der Hauptstadt-Bevölkerung von Armut betroffen – eine Realität, die man auch in den Pariser Straßen oder in der U-Bahn wahrnimmt. Doch dieses Bild widerspricht natürlich jenem, das schon von Édith Piaf in „Sous le ciel de Paris“ besungen wurde.
„Die Kehrseite der Medaille“ vereint mehr als 100 Pariser Organisationen
Das weckt Bedenken: Bereits im Oktober 2023 haben sich 80 (mittlerweile über 100) soziale Organisationen zusammengeschlossen und das Kollektiv „Le Revers de la médaille“ – zu Deutsch „Die Kehrseite der Medaille“ – gegründet.
Das Kollektiv verfasste im Herbst einen offenen Brief an das Organisationskomitee für die Olympischen und Paralympischen Spiele und bringt darin ihre Bedenken zum Ausdruck, dass die Spiele mit sogenannten „sozialen Säuberungen“ einhergehen könnten, wie sie in der Vergangenheit im Rahmen großer Sport-Events bereits in anderen Orten stattgefunden haben.
Tagesschau Aktuelle Nachrichten zu den Olympischen Spielen in Paris
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Furcht vor „sozialer Säuberung“ der Stadt
Sie schreiben: „Unter ‚sozialer Säuberung‘ verstehen wir die Belästigung, Vertreibung und Unsichtbarmachung von Menschen, die von den Behörden als unerwünscht kategorisiert werden, an den Orten, an denen die Olympischen Spiele stattfinden werden.“
Die Menschen, die gemeint sind, seien Obdachlose, Sexarbeiter*innen, Drogenabhängige, Hausbesetzer*innen, Migrant*innen. Die Sorgen richten sich auch auf den Abbau von Notunterkünften, die Schließung von Anlaufstellen und den Rückgang der Verteilung von Lebensmittelhilfen in der Stadt.
Im Juni veröffentlichte „Le Revers de la médaille“ einen ersten Report mit einigen Zahlen: Innerhalb eines Jahres wurden über 12.500 Menschen aus den Straßen von Paris und der Region Île-de-France verdrängt. Das sei eine Steigerung von 38,5 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum in den Jahren 2021 bis 2022.
Orléans' Bürgermeister beobachtet Reisebusse mit Obdachlosen in seiner Stadt
Serge Grouard, Bürgermeister der Stadt Orléans, hat vor einigen Monaten die Ankunft von Reisebussen mit Obdachlosen in seiner Stadt angeprangert, die sich ohne sein Wissen ereignete. In einer Erklärung bestätigte die Präfektur dem Bürgermeister die Ankünfte, bestritt aber jeden Zusammenhang mit den Olympischen Spielen.
Französische Ministerin für Sport: „Keine soziale Säuberung im Zusammenhang mit den Spielen“
Auch bei France 2 stellte Serge Grouard der Ministerin für Sport und die Olympischen und Paralympischen Spiele, Amélie Oudéa-Castéra, die Frage, ob diese Aktion mit den Spielen im Zusammenhang stünde. Die „soziale Säuberung“ habe „nichts mit den Olympischen und Paralympischen Spielen zu tun“, sagte sie dezidiert.
Höheres Aufkommen an städtischen Räumungen
Verdrängungen seien keine neue Entwicklung und sogenannte „soziale Säuberungen“ nicht für die Olympischen Spiele ins Leben gerufen worden, erklärte Paul Alauzy, Sprecher des Kollektivs „Le Revers de la médaille“ und Koordinator bei Médecins du Monde, im Interview mit France24.
„Was sich jedoch im Vorfeld geändert hat, ist die Häufigkeit, mit der die besetzten Orte geräumt werden, und die systematische Entsendung der Evakuierten in eine andere französische Region.“
Auch wenn „soziale Säuberungen“ oder die Zunahme solcher Aktionen nichts mit den Olympischen Spielen zu tun haben mögen, sollte jedoch nicht nur der Glanz eines solchen Sport-Ereignisses in der „Stadt der Lichter“ im Scheinwerferlicht stehen. Denn soziale Ungleichheiten bleiben – mit oder ohne Olympia. Doch vermutlich wird das einzige Licht, das in den nächsten Wochen angemacht wird, das der Olympischen Flamme sein.