Zeitgeschichte

Der Kniefall im Sport: Was bedeutet die Protestgeste?

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Autor/in
Samira Straub

Die Deutsche Fußballnationalmannschaft machte vor dem EM-Achtelfinale gegen England einen Kniefall, um ein „Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierungen zu setzen“, so Kapitän Manuel Neuer. Doch woher stammt der Kniefall als Geste des Protests im Profi-Sport und was bedeutet er?

Der Kniefall im Sport: Was bedeutet diese Geste des Protests?
Colin Kaepernick (rechts) hat den Kniefall als Protestgeste im Profi-Sport populär gemacht.

Der 14. August 2016: Vor einem Football-Testspiel des Teams der San Francisco 49ers präsentieren rund 240 Militärkräfte eine große US-Flagge, die Nationalhymne wird vorgetragen und das Stadion erhebt sich.

Colin Kaepernick, der Quarterback der 49ers, erhebt sich an diesem Tag jedoch nicht. Während der Hymne bleibt der Amerikaner mit einem Knie auf den Boden, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren, wie er später sagt.

„Ich werde nicht aufstehen und Stolz für eine Fahne demonstrieren, die für ein Land steht, das Schwarze und andere People of Color unterdrückt. Für mich ist das wichtiger als Football.“

Kaepernicks Geste spaltet das Land bis heute

Während zahlreiche Patriot*innen in Kaepernicks Weigerung fehlenden Respekt vor seinem Heimatland sahen, wurde Kaepernick binnen kurzer Zeit zur Symbolfigur einer Protestbewegung, der sich schnell Tausende anschlossen: Der Kniefall („to take the knee“) wurde zum Symbol des Protests gegen Rassismus und Unterdrückung.

Der Kniefall im Sport: Was bedeutet diese Geste des Protests?
Nach und nach schlossen sich immer mehr Spieler Kaepernicks Protest an.

Nicht nur andere Sportler*innen adaptierten die Protestgeste für sich, sondern auch Demonstrant*innen und Aktivist*innen nutzen den Kniefall, um sich mit People of Color zu solidarisieren und auf Missstände aufmerksam zu machen. In der Black Lives Matter-Bewegung ist der Kniefall heute fester Bestandteil von Kundgebungen und Demonstrationen.

Der britische Außenminister Dominic Raab wurde im Juni 2020 heftig dafür kritisiert, dass er die Geste der BLM-Proteste fälschlicherweise als inspiriert von der Serie „Game of Thrones“ erklärte. Auf ihn habe sie eher wie „eine Geste der Unterwürfigkeit und Unterordnung“ gewirkt.

Karriereende wegen systematischer Ausgrenzung?

Kaepernicks Karriere endete nach der NFL-Saison 2016, in der er erstmals niederkniete. Die San Francisco 49ers entließen ihren Quarterback, der im Anschluss keinen neuen Verein mehr fand. Als Grund für die Entlassung vermutet Kaepernick selbst seine politischen Äußerungen, weswegen er die NFL wegen systematischer Ausgrenzung verklagte — die Clubs hätten sich abgesprochen, ihm keinen neuen Vertrag anzubieten.

Man einigte sich außergerichtlich und Kaepernick erhielt für seine entgangenen Einnahmen mehrere Millionen Dollar. Außerdem wurde er zum Gesicht einer großen Werbekampagne des Sportartikelherstellers Nike.

Believe in something, even if it means sacrificing everything. #JustDoIt https://t.co/SRWkMIDdaO

2019 sagten P!nk, Rihanna und Cardi B aus Solidarität mit Kaepernick und den Protesten gegen Rassismus ihren geplanten Auftritt beim Super Bowl ab.

Der Kniefall bei der Fußball-Europameisterschaft 2021

Zahlreiche Sportler*innen und Aktivist*innen weltweit präsentieren inzwischen die Kniefall-Geste, so auch in der englischen Premier League und bei der Fußball-Europameisterschaft 2021.

Der Kniefall im Sport: Was bedeutet diese Geste des Protests?
Die Spieler der „Three Lions“ praktizierten die antirassistische Geste schon in den Testspielen vor dem Turnier. Dass sie dabei teilweise von ihren eigenen Anhänger*innen ausgepfiffen wurden, ändert nichts an den Überzeugungen des Teams.

Teams wie Wales, England, Belgien und Frankreich setzten mit dem Kniefall vor dem Anpfiff ihrer Spiele bereits ein Zeichen. Gerade in Ländern, in denen durch die Kolonialgeschichte das Thema Rassismus stark in der Öffentlichkeit steht oder neu aufgearbeitet wird, wie England, Frankreich oder Portugal, entzünden sich daran immer wieder hitzige Debatten.

Nach den heftigen Diskussionen um die in Pride-Farben beleuchtete Allianz Arena im Vorfeld des Ungarn-Spiels der deutschen Nationalmannschaft war das Zeigen von Haltung auch hierzulande ein großes Thema.

Die Deutsche Fußballnationalmannschaft ging vor dem Achtelfinalspiel gegen England auf die Knie.
Die Deutsche Fußballnationalmannschaft ging vor dem Achtelfinalspiel gegen England auf die Knie.

Im Achtelfinal-Spiel gegen England ging „Die Mannschaft“ nun ebenfalls solidarisch auf die Knie - erstmals.

Die UEFA möchte keinen Spieler bestrafen, der einen Kniefall ausführt: „Jeder Spieler, der eine Gleichstellung von Menschen fordert, indem er kniet, hat die Erlaubnis dazu“, erklärt der Verband dazu auf seiner Website.

Manuel Neuer, Kapitän der Deutschen Fußballnationalmannschaft und seine Kapitänsbinde in Pride-Colors
Auch ein Protest-Zeichen? Der Kapitän der Fußballnationalmannschaft, Manuel Neuer, trägt schon das gesamte Turnier über eine Kapitänsbinde in Pride-Colors.

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