Seine Augen liegen zu eng nebeneinander, aus seinem menschenähnlichen Gebiss hängt eine übergroße Zunge. Leo von Gripsholm gilt als eine der misslungensten Tier-Rekonstruktionen. Seiner Beliebtheit tut das aber keinen Abbruch – im Gegenteil.
Ein echter Löwe auf Schloss Gripsholm?
Eine Gruppe von Besuchern nähert sich zaghaft der Waffenkammer von Schloss Gripsholm in Schweden. Schließlich soll hier ein echter Löwe sein. Oder zumindest das, was von ihm übrig geblieben ist.
Sein Zuhause ist nicht eine Savanne in Afrika, sondern ein kalter Raum. Durch die Gitterfenster dringt ein wenig Licht.
„Der sieht superlustig aus“
Auch Joel ist gekommen. Mit seiner Mutter und seiner Schwester schiebt er sich an Ritterrüstungen vorbei.
Dann fällt sein Blick auf das Raubtier, das aber irgendwie anders aussieht. „Der sieht superlustig aus – vor allem diese viereckigen Zähne statt der scharfen Reißzähne wie bei einem echten Raubtier.“
Dabei ist Leo von Gripsholm, wie sie diesen Löwen hier gerne nennen, schon ein echtes Raubtier, nur eben seit ein paar Jahrhunderten tot und ausgestopft. Auch Charles' Mutter Maria muss sich ihr Lachen beim Anblick des Löwen verkneifen: „Wer den ausgestopft hat, hat, glaube ich, noch nie einen Löwen gesehen. Das Gesicht ist ja völlig entstellt.“
Holzgebiss statt Reißzähne
Leos Augen liegen sehr eng beieinander. Sie schielen und sehen eher aus wie die von kleinen Seehunden, die Zunge wie eine alte Schuhsohle.
Statt scharfer Reißzähne hat Leo ein übergroßes Holzgebiss, das an menschliche Zähne erinnert. Seine beiden linken Tatzen sind ausgestreckt. Würde der echte Leo so in der Savanne stehen, dürfte das arme Tier wohl einfach umkippen.
Touristen aus der ganzen Welt
Und trotzdem zieht Leo Touristen aus der ganzen Welt an. Auch Jana und Jan Kleinschmidt aus Deutschland sind nach Gripsholm gekommen und können nicht so recht fassen, was da eigentlich vor ihnen steht: „Durch die künstlichen Augen finde ich ihn nicht furchterregend, sondern eher komisch, unbeholfen.“
Doch nicht nur das Aussehen von Leo, dem Löwen, wirft Fragen auf. Die gesamte Herkunft des Tieres ist ein Mysterium.
Wie kam der Löwe nach Schweden?
„Wir wissen eigentlich gar nichts über die Herkunft des Löwen“, sagt der Guide, der die Besuchergruppe durch das Schloss führt. „Es gibt den Mythos, dass der Löwe ein Geschenk von einem algerischen Fürsten an den schwedischen König war. Aber mittlerweile wissen wir, dass diese Geschichte nicht stimmt.“
Sich einen Löwen zu schenken, war unter Adligen im 18 Jahrhundert keine Seltenheit. Der Löwe, seit jeher ein Symbol für Herrschaft und Macht – in Schwedens Staatswappen gibt es ihn gleich zweimal.
Tierkämpfe, um den König zu unterhalten
Vermutlich ist Leo mit anderen Löwen vor etwa 300 Jahren nach Schweden gekommen. Die Tiere sollen dann in einem Gehege in der Nähe eines Stockholmer Schlosses gelebt haben, um den damaligen König und seine Untertanen zu unterhalten.
Seit man Löwen importiert hatte, erfreute man sich an Kämpfen zwischen Löwen und Hunden, Löwen und Menschen oder sogar Löwen und Bären. Ob Leo bei einem dieser Tierkämpfe oder doch an einer natürlichen Ursache gestorben ist, weiß heute keiner mehr.
Exotische Tiere kannte man früher nicht
Der wahre Grund für das sonderbare Aussehen des Löwen findet sich am Ehesten nach seinem Tod. Denn Leo wurde ausgestopft zu einer Zeit, in der exotische Tiere und Zoos selten waren. Wer also einen Löwen ausstopfen wollte, hatte ihn wahrscheinlich vorher nie in echt gesehen.
„Eine Theorie ist, dass man sich am schwedischen Reichswappen orientiert hat. Diese Löwen haben auch ihre Beine angewinkelt und lange Zungen, die wie Flammen aussehen“, sagt der Tourguide von Schloss Gripsholm.
Lustige Augen, eine zu lange Zunge und wackelige Beine. Daran haben Sie sich hier im Schloss Gripsholm längst gewöhnt. Einen Schönheitswettbewerb wird Leo nicht mehr gewinnen, aber das muss er vielleicht auch gar nicht.
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