Fernsehen von allen, für alle

Wie der Offene Kanal die TV-Landschaft verändert hat

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Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt
Mareike Gries
Mareike Gries, Autorin und Moderatorin bei SWR Kultur

Als es das Internet noch nicht gab, war Sendezeit rar. Ins Fernsehen kam man als Otto-Normal-Mensch höchstens als Statist. Anders war das ab 1984 beim Bürgerfunk vom Offenen Kanal.

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Egal ob live aus dem Club oder aufgezeichnet im hauseigenen Studio – seit es Smartphones und YouTube gibt, kann jeder zum eigenen Sender werden. Und Unzählige tun das auch. Vor wenigen Jahren war das noch undenkbar, die Fernsehwelt schien unerreichbar. Außer beim Offenen Kanal.

40 Jahre Offener Kanal Ludwigshafen

1984 wurde der erste Offene Kanal Deutschlands in Ludwigshafen gegründet. Die Idee: Bürgerfernsehen als Ausdrucksform der Demokratie, der medialen Mitbestimmung und des öffentlichen Diskurses. Der Offene Kanal sollte neben öffentlich-rechtlichen Medien und Privatfunk eine dritte Säule in der deutschen Medienlandschaft bilden.

Finanziert werden die Offenen Kanäle in Deutschland von den Landesmedienanstalten und, beziehungsweise oder, von örtlichen Trägervereinen. Sie leben also teilweise auch von Rundfunkgebühren. Inzwischen gibt es in Deutschland nach Angaben des Bundesverbandes knapp 140 Bürgermedien – Radio, Fernsehen, Ausbildungskanäle.

Schwere Kameras, große Mikros, schlechtes Image

Profi-Kameras waren damals nicht nur teuer und schwer, sie waren auch kompliziert zu bedienen, genauso wie Schnitt- und Tontechnik. Die Offenen Kanäle boten Schulungen an, einige beschäftigten aber auch eigene Mediengestalter, die teilweise sogar beim Offenen Kanal ausgebildet wurden.

Die Qualität der Fernsehsendungen- und Beiträge war entsprechend unterschiedlich. Nicht selten war der Ton verrauscht und das Bild verwackelt.

Zwei Menschen mit Mikro werden mit einer Kamera gefilmt.
1996 startete der Sender „Offener Kanal Television“ als erster offener TV-Kanal Niedersachsens. Hier zu sehen sind Christiane Schöwer als Leiterin und Hans-Gerd Warnecke als Vorsitzender von der „Offener Kanal Television“, heute „Bürgerfernsehkanal TV38“.

Diese typischen Anfängerfehler haben sich aber mit der Zeit verwachsen, denn natürlich hielt der technische Fortschritt auch bei den Offenen Kanälen Einzug. Das hat aber gleichzeitig dazu geführt, dass nicht alle Offenen Kanäle bis heute überlebt haben.

Denn: Wozu noch ein Bürgermedium, wenn doch längst jeder eigene Videos produzieren und verbreiten kann? Wolfgang Ressmann hat darauf eine schlüssige Antwort. Er leitet seit zehn Jahren den Offenen Kanal in Ludwigshafen und ist Vorsitzender des Bundesverbands Bürgermedien.

Ort der Medienbildung

„Fernsehen ist noch immer ein Leitmedium. Die Beiträge im Offenen Kanal haben teilweise eine höhere Reichweite als YouTube-Videos“, erklärt Wolfgang Ressmann. Man ist auch über das Lokalfunkportal eine Empfangsmöglichkeit in ganz Europa.

Außerdem gebe es eine gute Betreuung, sachkundige und gute Technik. Gleichzeitig würden mittlerweile viele Bürgermedien ihre Inhalte zusätzlich über verschiedene Internetplattformen ausspielen. Medienpädagogik und die Vermittlung von Medienkompetenz werden bei den verschiedenen Offenen Kanälen nach wie vor großgeschrieben. In Zeiten von Fakenews sei dieser Punkt besonders wichtig.

Das Tolle ist: Es sind von Profis bis zu den Anfängern aus der Schule alle da. Und die sieht man dann natürlich auch im Programm. Dank der technischen Neuerungen auch meist in guter Qualität.

Die Zeit ist nicht stehengeblieben

Frau in einer Regie
TV-Redakteurin Mathilde Seelbach (hier 2004) war eine der Veteraninnen des Offenen Kanals Berlin, der später in „ALEX Berlin umbenannt wurde.

Gleichzeitig ist der Offene Kanal nach wie vor ein Ort des Ausprobierens und Experimentierens, allerdings mit Unterstützung. Viele Bürgermedien kooperieren mit Schulen und verschiedenen sozialen Einrichtungen.

„ALEX Berlin“, der Offene Kanal der Hauptstadt, ist beispielsweise vernetzt mit den Veranstalter*innen des Christopher Street Days (CSD) und des Karnevals der Kulturen. Neben Videos produziert der Sender mittlerweile auch Podcasts, hat einen Blog. Die Zeit ist dort definitiv nicht stehengeblieben.

Offener Kanal als Sprungbrett

Mann vor Logo
Christian Ulmen in Berlin, als er 1998 für den Musiksender MTV arbeitet. Seine Karriere startete aber in Hamburg bei einem Offnenen Kanal.

Na klar – Viele hoffen, vom Offenen Kanal aus den Sprung in die etablierten Medien zu schaffen. Manch einem ist das auch geglückt. Schauspieler und Entertainer Christian Ulmen zum Beispiel war beim Offenen Kanal in Hamburg, bevor er zum Musiksender MTV wechselte. Auch Moderator Jan Böhmermann hat ganz klein angefangen, als Reporter bei einer Sportsendung vom Bremer Bürgerfernsehen.

Jan Böhmermann sitzt an einem Tisch vor einem Mikrophon.
Jan Böhmermann, Moderator und Journalist, spricht während eines Interviews in seinem Büro in den Räumen von Studio Ehrenfeld.

Oder Nadine Krüger: Seit 2009 moderiert sie das ZDF-Magazin „Volle Kanne“, ihre ersten Erfahrungen machte sie bereits als Schülerin beim Offenen Kanal Berlin, wo sie vom Privatsender Sat.1 entdeckt wurde. Später arbeitete sie auch für verschiedene Formate beim Kultsender VIVA.

Moderatorin vor blauem Hintergrund mit roten Kunstblumen
Die Moderatorin Nadine Krüger posiert 2009 mit einem Strauß künstlicher Mohnblumen nach ihrer ersten Sendung als Moderatorin der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".

Offene Kanäle wichtiger denn je

Bis heute ist der Offene Kanal oft eine allererste Anlaufstelle für junge Menschen, die sich wünschen „irgendwas mit Medien“ zu machen. Dem Bild des wackeligen Rentnerfernsehens sind die meisten Sender längst entwachsen.

Wie auch die übrige Medienlandschaft haben sich die Offenen Kanäle weiterentwickelt. Gerade zu einer Zeit, in der jeder alles senden kann, sind sie wichtiger denn je.

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