“Ein Meisterwerk der schwarzen Pädagogik - oder doch eine herrliche Groteske, so stark überzeichnet, dass man die unterstellte Bedrohung des Kindeswohls ohnehin nicht für bare Münze nimmt: Über Heinrich Hoffmanns "Der Struwwelpeter" lässt sich streiten. Michael Quast und Sabine Fischmann jedenfalls haben hörbar Spaß an den wenig korrekten Geschichten vom Suppen-Kaspar und vom Zappel-Philipp und führen sie gemeinsam mit dem Ensemble Modern im Volkstheater in Frankfurt auf. Der Hörspielregisseur Björn SC Deigner wiederum hat das zwischen Musical und Rockoper changierende Spektakel fürs Radio aufgenommen und abgemischt, sodass dieser "Struwwelpeter" eben nicht nach Bühne klingt, sondern nach Hörfunk.” (Stefan Fischer, SZ 2022 - anlässlich der Ursendung)
Ein ambivalentes Buch zwischen schwarzer Pädagogik und surrealer Anarchie
Die Geschichten im „Struwwelpeter“ spielen mit dem Grusel und der grotesken Übertreibung, das Unheimliche hat hier wie im Märchen ebenso seinen Platz wie der gnadenlose Versuch, das Verhalten „wilder“ Kinder zu zivilisieren. Das Buch ist anarchisch, surreal und alles andere als politisch korrekt. Kinder lieben gerade die schaurigen Geschichten bis heute.
Hingegen können sie auch als Beispiel für eine repressive Erziehungsideologie der „Schwarzen Pädagogik“ angesehen werden. Die Adaptionen und Parodien des „Struwwelpeter“ bezeugen ihre Ambivalenz und die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten.
Der Originaltext als schrilles Hörspiel-Musical
Bis in die Sprache hessisch verortet, hat das Buch nationale, ja internationale Ausstrahlungskraft. Die in allen Sprachregionen Deutschlands verstehbare SWR-Hörspielfassung basiert auf der szenisch-konzertante Bühnenversion des „Struwwelpeter“, welche das Volkstheater am Hirschgraben und das Ensemble Modern erarbeitet haben. Das Hörspiel präsentiert, von zwei Conférenciers gerahmt, die originalen Texte als Musical. Es ist zugleich der Versuch, dem Spagat zwischen Aufklärung, Phantasie und Gesetzgebung, der sich in den Geschichten spiegelt, Ausdruck zu verschaffen.
Die anarchischen Tradition des Volkstheaters trifft dabei auf die Präzision von Musikstücken, die von Mitgliedern des international renommierten Ensemble Modern komponiert wurden. Sie sind divers in ihren Stilen, reichen vom ironischen Klassik-Zitat oder den vom Tempo und Rhythmus getragenen schrillen Musiken der 1920er Jahre bis zum Pop und der dissonanten Strenge der „Neuen Musik“ aus dem Geist der Demokratie.
Mit: Michael Quast und Sabine Fischmann
Musik: Ensemble Modern
Dirigat: Markus Neumeyer
Hörspielfassung: Michael Quast und Ensemble Modern
Komposition: Uwe Dierksen, Christian Hommel, Hermann Kretzschmar
Regie: Björn SC Deigner
Produktion: SWR / Volksbühne am Hirschgraben / Ensemble Modern 2022