Wer aktuell mit seinem kranken Kind zum Arzt möchte, der braucht vor allem eins: Geduld. Oft sind etliche Telefonanrufe, lange Wartezeiten oder weite Anfahrten nötig, um überhaupt einen Termin zu erhalten. Aus Frust suchen viele Eltern schließlich die Notaufnahme auf, obwohl eine reguläre Behandlung in vielen Fällen völlig ausreichend wäre. Doch auch die Kinder- und Jugendkliniken schlagen Alarm: die Notaufnahmen sind überlastet, Eltern und Kinder müssen auch hier oft Stunden warten, hinzu kommen phasenweise Belastungen durch Infektwellen.
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (bvkj), Thomas Fischbach, forderte aufgrund der Überlastung der Notaufnahmen unlängst eine Gebühr für Eltern, die in nicht-dringenden Fällen mit ihren Kindern den Notdienst beanspruchen. Die Forderung solle ein Diskussionsanstoß sein, so Fischbach - und in der Tat gibt es seitdem rege Diskussionen.
Forderung nach Elterngebühr löst Diskussionen aus
Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hält eine solche Gebühr nach eigenen Angaben nicht für zielführend, da die Überlegungen zur medizinischen Versorgung von Kindern nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen sollten. Stattdessen setzt das Land Rheinland-Pfalz verstärkt auf Aufklärung durch telefonische Patientenberatungen. Thomas Koffler, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin in Mainz, weiß aus seinen Schichten in der Notdienstversorgung, dass viele Eltern mit ihren Kindern den Notdienst aufsuchen, obwohl es sich nicht um einen ernsten Fall handelt. Viele Eltern seien schlichtweg überfordert. Telefonische Beratungen sind daher auch aus seiner Sicht hilfreich, es fehle hier jedoch zurzeit an einer angemessenen Finanzierung: "Wir beraten in den Notdiensten bereits ganz viele Eltern unentgeltlich", berichtet Koffler.
Kritik am Vorschlag einer Selbstbeteiligung der Eltern kommt auch von Seiten der Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz. Hauptgründe für die Überlastung der Notdienste seien der Ärztemangel und die langen Wartezeiten in den Praxen, vermutet die Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz. Solange diese Defizite in der Versorgung durch niedergelassene Praxen bestünden, sei eine Diskussion um Strafgebühren fehl am Platz.
RLP droht keine Unterversorgung - Praxen trotzdem an Belastungsgrenze
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Rheinland-Pfalz beurteilt die kinderärztliche Versorgung in Rheinland-Pfalz insgesamt als gut. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat nach Angaben des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums bislang in keiner Region eine bevorstehende Unterversorgung festgestellt. Für die Kassenärztliche Vereinigung sei es jedoch zunehmend schwer, alle geplanten Arztsitze zu besetzen. Besonders in ländlichen Regionen kommt es daher zu Engpässen. Aufgrund des Kinderärzte-Mangels haben Eltern aus der Eifel bereits eine Petition gestartet, in der sie Land und Bund dazu auffordern, sich um einen Kinderarzt in der Vulkaneifel und in den Kreisen Mayen-Koblenz und Cochem-Zell zu bemühen.
Die KV RLP meldet in Rheinland-Pfalz derzeit in den Regionen Birkenfeld, Cochem-Zell, Donnersbergkreis, Eifelkreis Bitburg-Prüm, Germersheim, Ludwigshafen am Rhein, Rhein-Hunsrück-Kreis, Rhein-Lahn-Kreis und Westerwaldkreis freie Arztsitze. Einen Großteil dieser Arztsitze versucht die KV RLP durch umfangreiche Fördermaßnahmen nachzubesetzen, beispielsweise mit den sogenannten Strukturfonds. Darin enthalten sind finanzielle Förderungen für Ärzte, die sich in ländlichen Regionen niederlassen.
RLP mit den wenigsten Kinderärzten
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Christoph Gensch, kritisiert die Lage der Kinder- und Jugendmedizin in Rheinland-Pfalz. Auf 100.000 Einwohner kämen nur etwa 20 Kinderärzte, das sei unter den Bundesländern der letzte Rang. Auch die KV RLP berichtet nach eigenen Angaben, dass viele Kinderarztpraxen bereits an ihrer Belastungsgrenze arbeiten würden und keine neuen Patienten aufnehmen könnten. Darüber hinaus würde in nächster Zeit ein großer Teil der praktizierenden Ärzte in den Ruhestand gehen und Nachfolger werden dringend gesucht.
Forderungen nach einer Reform der Bedarfsplanung
Kinderarzt Thomas Koffler sieht die Gründe für den Personalmangel in einer unzureichenden Bedarfsplanung und der hohen Arbeitsbelastung in den Praxen.
In der Erwachsenenmedizin gibt es für fachärztliche Tätigkeiten eine zusätzliche Bedarfsplanung, wie beispielsweise in der Dermatologie. In der Kinder- und Jugendmedizin wird dagegen lediglich der Bedarf in der Allgemeinpädiatrie erhoben und eingeplant. Kinderärzte mit fachspezifischen Qualifikationen versorgen Kinder- und Jugendliche demnach allgemeinpädiatrisch und darüber hinaus noch hinsichtlich ihrer Fachgebiete. Dies habe zeitliche Engpässe zur Folge, da besonders die fachärztlichen Tätigkeiten sehr zeitaufwendig seien, berichtet Thomas Koffler. Auch die KV RLP ist der Meinung, dass das aktuell verfügbare Angebot der steigenden Anfrage nach kinderärztlicher Versorgung in Rheinland-Pfalz nicht mehr gerecht werde und plädiert für eine Abschaffung oder eine grundlegende Reform der Bedarfsplanung.
Das Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz argumentiert, die Bedarfsplanung sei weiterhin nötig, damit sich junge Ärzte nicht nur in den besonders attraktiven Regionen, sondern auch im ländlichen Raum niederlassen würden und somit eine ausreichende ärztliche Versorgung auch auf dem Land sichergestellt werden könne.
Steigender Arbeitsdruck und Unterfinanzierung belasten die Kinderarztpraxen
Die steigenden Kinderzahlen, die zunehmende Zahl von U-Untersuchungen und die Folgen der Pandemie führen nach Angaben des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums aktuell zu einer wachsenden Nachfrage in den Praxen. Hinzu kommt ein enormer bürokratischer Aufwand. Laut Koffler müssten beispielsweise gerade im fachärztlichen Bereich aufgrund der aktuellen Versorgungsengpässe mit Medikamenten regelmäßig Medikamente eingesetzt werden, die keine Zulassung für das Kinder- und Jugendalter haben. Das bedeute eine Menge zusätzlicher Anträge und Fragenkataloge, die bearbeitet werden müssten. "Wir sind mittlerweile jeden Tag damit beschäftigt, eine Unmenge an Attesten auszufüllen: ob ein Kita-Besuch möglich ist, ob ein Kind von der Mittagsbetreuung befreit werden darf und so weiter."
Zusätzlich zur wachsenden Arbeitsbelastung klagen etliche Praxen darüber, dass sie zu wenig Geld für ihre Leistungen erhalten. Koffler berichtet, er könne manche Leistungen im fachärztlichen Bereich gar nicht abrechnen und auch die Notdienste würden derart katastrophal vergütet, dass der Praxisinhaber an den Notdiensten nichts verdiene, sondern sogar noch draufzahlen müsse: "Es ist schlichtweg ein Skandal, dass die Untersuchung einer Katze mittlerweile mehr wert ist, als die Untersuchung eines Säuglings, Kindes oder Jugendlichen", so Koffler.
"Es gibt sogar Berechnungen, dass eine allgemeinmedizinische Praxis sich nur trägt, wenn der Praxiseigentümer mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitet. Im Zeitalter der Work-Life-Balance kaum mehr vorstellbar." Die Folge: dringender Personalmangel bei Kinderärzten und medizinischen Fachkräften.
Koffler hofft daher in Zukunft auf eine ausreichende Bezahlung aller Leistungen, um auch medizinische Fachangestellte ausreichend vergüten zu können, einen geringeren bürokratischen Aufwand und eine höhere Wertschätzung der Kinder- und Jugendmedizin in Gesellschaft und Politik.