- Lage der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland
- Unterschied zwischen Arbeit in Kliniken und Praxen?
- Millionen-Zusage für Kinderkliniken durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
- Forderungen des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (bvkj)?
- Ärztliche Versorgung von Kindern- und Jugendlichen gefährdet?
- Medikamentenversorgung
- Zeitintensive(s) Studium/Facharztweiterbildung
- Wirtschaftliches Denken und Arbeiten
SWR Aktuell: Herr Maske, wie schätzt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) die Lage seiner Ärztinnen und Ärzte ein?
Jakob Maske: Die Lage der Kinder- und Jugendärzte bleibt weiter angespannt, an der personellen Situation hat sich nichts geändert. Dies gilt sowohl für den Bereich der Ärzte als auch für den der medizinischen Hilfsberufe, also Krankenschwestern und -pfleger und Medizinische Fachangestellte. Wir haben weiterhin eine hohe Zahl von Infekten, die jedoch nicht mit den Zahlen im Dezember vergleichbar ist. Der RS-Virus spielt im Moment eine untergeordnete Rolle, wir sehen im Moment vor allem Kinder und Jugendliche mit Influenza oder Streptokokken-Infekten.
SWR Aktuell: Gibt es einen Unterschied zwischen der Arbeit von Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und der Arbeit in Praxen?
Maske: Letztendlich ist die Situation in beiden Bereichen weiterhin sehr angespannt, jedoch muss man auch hier wiederum sagen, dass der Dezember 2022 deutlich angespannter war. Inzwischen können wir die meisten Kinder wieder stationär unterbringen, es gibt noch Platz auf den Intensivstationen, Kinder müssen in der Regel im Moment nicht über hunderte von Kilometern verlegt werden.
SWR Aktuell: Hat sich die Situation nach der Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den deutschen Kinderkliniken 300 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, verändert?
Maske: Für den stationären Bereich kann ich das nicht ausreichend beantworten. Im ambulanten Bereich hat Herr Lauterbach für eine Entbudgetierung gesorgt, die dafür sorgt, dass genau diejenigen, die viel arbeiten und viele Kinder und Jugendliche versorgen, hierfür auch gerecht entlohnt werden, das heißt, tatsächlich auch die Arbeit, die geleistet wird, bezahlt bekommen. Dies ist tatsächlich ein Anreiz, auch jenseits des Budgets, das vorher bestand, weiterzuarbeiten.
SWR Aktuell: Was fordert der bvkj weiter zur Verbesserung der Situation?
Maske: Durch die Entbudgetierung sind noch nicht alle Ungerechtigkeiten in der Honorierung der Kinder- und Jugendärzte beseitigt.
Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass in den nächsten 5-10 Jahren circa 20 Prozent der Kinder- und Jugendärzte pensioniert werden im ambulanten Bereich. Nachwuchs ist bisher noch nicht ausreichend in Sicht. Das liegt vor allem an nicht ausreichend vorhandenen Medizin-Studienplätzen, an der zunehmenden Bürokratisierung der ambulanten Medizin, der teilweise unattraktiven Honorierung etc. Dies alles führt in absehbarer Zeit zu einer Verknappung der "Ressource" Kinder- und Jugendarzt, sodass absehbar eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung eintreten wird.
SWR Aktuell: Bleibt das Wohl der Patientinnen und Patienten auf der Strecke?
Maske: Akut ist die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen auf jeden Fall gefährdet und auf lange Sicht ist eine schlechtere Versorgung von Kindern und Jugendlichen absehbar. Schon jetzt kommen Eltern in die Situation, für ihr Kind keine adäquate ärztliche Versorgung zu finden.
SWR Aktuell: Seit Längerem besteht ein Problem bei der Medikamentenversorgung auch für Kinder- und Jugendliche. Wie beurteilen Sie hier die Lage?
Maske: Die Medikamentenversorgung ist weiterhin eine Katastrophe. Dies betrifft alle Medikamente, die für die Behandlung von Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen notwendig sind, also Schmerz- bzw. Fiebermedikamente, Antibiotika, Impfungen etc. Dies ist ein Problem, das im Moment unseren Alltag bestimmt, weil wir nie wissen, wann welches Medikament zur Verfügung steht und in der Regel das Mittel der ersten und auch häufig der zweiten Wahl nicht zu bekommen ist.
SWR Aktuell: Lässt sich aus Sicht des bvkj das Problem des Personalmangels kurzfristig lösen?
Maske: Das Medizinstudium braucht sechs Jahre, die Facharzt-Weiterbildung fünf Jahre. Dies ist die Mindestzeit, um sich niederlassen zu können, also ambulant arbeiten zu können. Wenn wir also heute beginnen, neue Studienplätze einzurichten, haben wir einen ersten (kleinen) Effekt in frühestens elf Jahren. Der bvkj fordert die Erhöhung der Studierendenzahl schon seit mindestens 1995. [...] Klipp und klar muss man feststellen, dass der Zug abgefahren ist, Mediziner zeitnah auszubilden. Auch im Bereich der Kinderkrankenpflegeausbildung hat Generalistik zu einem erheblichen Einbruch der Ausbildung von Pflegepersonal für diesen Bereich geführt. Auch hier wird es zeitnah zu einem erheblichen Mangel an Fachkräften kommen, daher kann man hier nur langfristig für Veränderungen sorgen. Das heißt also, dass wir das vorhandene Personal im Bereich der Medizin halten müssen. Dies gelingt natürlich nur durch Verbesserung der Arbeits- und Bezahlungsbedingungen.
SWR Aktuell: Stichwort "Kostendruck".
Maske: Krankenkassen fordern für die nächsten zwei Jahre in den Honorarverhandlungen eine "Nullrunde" für die ambulante Medizin und dies bei einer Steigerung der Kosten für Personal etc. und einer Inflationsrate von 10 Prozent. Dies wird bei vielen Kolleginnen und Kollegen, aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit dazu führen, nach der Rente nicht mehr weiterzuarbeiten, nicht mehr bis zur Rente zu arbeiten, sich erst gar nicht niederzulassen, den Kassenarztsitz zurückzugeben und nur noch privat zu arbeiten etc. All dies führt selbstverständlich zu einer schlechteren Versorgung der Kinder und Jugendlichen.
SWR Aktuell: Das sind trübe Aussichten, oder?
Maske: Zunächst mal muss man immer wieder wiederholen, dass der Beruf des Kinder- und Jugendarztes ein Traumberuf ist. Als Freiberufler muss man aber auch wirtschaftlich denken, das heißt, ich muss dafür sorgen, dass meine Angestellten genug Geld verdienen, um ihre Familien ernähren zu können, aber auch der Arzt selbst. Und natürlich trägt der Unternehmer "Arzt" eine hohe Verantwortung für seine Angestellten und sich. Wenn nun die Bezüge im ambulanten Bereich schlechter werden als in anderen Bereichen, zum Beispiel stationär oder in der Wirtschaft (Pharmaindustrie), wird es auch ein Abwandern in diese Bereiche geben und dadurch erneut zu einer Reduzierung der ambulant tätigen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte kommen.